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Wir sind Pabst  (Otto Köhler)

Der deutsche Soldat ist kein Mörder – er soll so nicht genannt werden. Und wenn er als Offizier Mord befiehlt, schon gar nicht. Denn dann ist es ein Mord im Auftrag des Staates, also kein Mord. Das wußte die Deutsche Bundesregierung unter dem hocherfahrenen Konrad Adenauer – der war von 1920 bis 1933 mit Unterstützung von Zentrum und SPD Präsident des Preußischen Staatsrates gewesen. 1962, im vorletzten Jahr seiner Kanzlerschaft, veröffentlichte das Bulletin der Bundesregierung die amtliche Anerkennung für den Mord an Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg. Es habe sich – so ließ die Regierung Adenauer offiziell verlauten – um eine »standrechtliche Erschießung« gehandelt. Und sie machte sich auch die Begründung des Hauptmanns zu eigen, der den Mordbefehl ausgegeben hatte: Deutschland habe nur so vor dem Kommunismus bewahrt werden können.

Der Hauptmann hieß Waldemar Pabst, und da er dieses Land gerettet hat, gehört die Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht zwecks Abwehr des Kommunismus zur (stand-) rechtlichen Grundausstattung unseres Staates, ein unverzichtbarer Bestandteil unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung: Wir sind Pabst.

Eine Anfrage des Generalstaatsanwalts der DDR nach Pabst, der »in der Bundesrepublik lebt und staatliche Unterstützung genießt«, rief 1969 nicht einmal bei Bundesjustizminister Gustav Heinemann, der bald darauf Bundespräsident wurde, eine Reaktion hervor. In der DDR war ein Ermittlungsverfahren gegen Pabst eröffnet worden, und Generalstaatsanwalt Josef Streit wollte wissen, »welche Schritte die Bundesregierung zu unternehmen gedenkt, um Pabst endlich strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen«.

Damals wurden aber Schritte etwas anderer Art unternommen: Nach einer Protestdemonstration vor dem Haus des 88jährigen Waldemar Pabst, der ansonsten unbehelligt als Waffenhändler in Düsseldorf lebte, lieferte die Politische Polizei ihm die Namen und Adressen von 19 Demonstranten als »Rädelsführern« aus (ein Verfahren, das Schule macht: Deutsche Behörden, vor allem in Ostdeutschland, legen bekannten Nazis Angaben über Nazigegner vor).

Das ist eine der vielen Entdeckungen, die die Bremer Historikerin Doris Kachulle in Pabsts Nachlaß im Bundesarchiv (BA-MA N 620/21) machte. Sie ist 2005 viel zu früh verstorben – bevor sie ihr groß angelegtes Forschungsprojekt zu Pabst und seinem Netzwerk vollenden konnte. Unter dem Titel »Waldemar Pabst und die Gegenrevolution« hat Karl Heinz Roth Vorträge, Aufsätze und Exzerpte aus Kachulles Nachlaß veröffentlicht (Edition Organon, Berlin 2007, 148 Seiten, 20 €). Roth würdigt in seiner Einleitung Doris Kachulle als Sozialwissenschaftlerin, die bei der Erforschung der deutschen und europäischen Gegenrevolution Neuland betrat. Und er sagt auch warum. Kachulles Auseinandersetzung mit Pabst verspricht neue Einsichten in die Geschichte der Gegenrevolution und ihres Übergangs zum Faschismus. Neue Erkenntnisse über das Doppelspiel der Mehrheitssozialdemokratie bei der terroristischen Ausschaltung der Arbeiterlinken: Pabst konnte sich bei der Ermordung von Liebknecht und Luxemburg auf die freie Hand berufen, die ihm Gustav Noske in Gegenwart von Friedrich Ebert gewährt hatte. »Es war richtig, daß Sie es so gemacht haben«, sagte Noske danach zu Pabst.

Neues Licht wirft Kachulles Forschung auch auf den Kapp-Putsch, an dem Pabst maßgebend beteiligt war. Um sich einer sehr maßvollen Verfolgung durch die Weimarer Republik zu entziehen, ging Pabst nach Österreich, wo er für die Austrofaschisten die Heimwehr aufbaute, um den Austromarxismus zu bekämpfen. »Heute kann sich der Bluthund aus dem Eden-Hotel in Österreich als zentrale Macht aufspielen«, schrieb 1928 die sozialdemokratische Wiener Arbeiterzeitung.

Zugleich war Pabst bezahlter Geheimagent des deutschen Außenministers Gustav Stresemann, den er bei seinen diskreten Reisen nach Deutschland heimlich traf. Auch Alfred Hugenberg empfing ihn, und er führte mit dem »Stahlhelm« Verhandlungen über eine deutsch-österreichische Zusammenarbeit. Nach Berlin zurückgekehrt gründete er 1931 die »Gesellschaft zum Studium des Faschismus«, die entscheidend zur Harzburger Front von Nazis und Deutschnationalen beitrug.

Nach 1945 fand der inzwischen in der Schweiz als Naziagent lebende Luxemburg-Mörder nicht sofort Anschluß in Bonn. Sein Freund Achim Oster empfahl den erfahrenen Pabst bei seinem Vorgesetzten Gerhard Graf von Schwerin, der als Adenauers Sicherheitsbeauftragter erste Schritte zur Wiederaufrüstung betrieb: »Pabsts Auffassung von der Notwendigkeit einer offensiven Bekämpfung des Bolschewismus hat sich seit den Tagen, in denen er die Verantwortung für die Liquidierung Liebknechts und Rosa Luxemburgs übernahm, nicht geändert.« Doch Graf Schwerin winkte ab und wurde bald darauf selbst aus seinem Amt geworfen. Zu spät. Pabst hatte 1949 in der Schweiz mit dem Aufbau einer »Antikominform« begonnen und dank seiner internationalen Geheimdienstkontakte weit lukrativere Geschäfte als Waffenhändler übernommen.

1962 fragt ihn der Spiegel in seinem Düsseldorfer Haus nach seiner Beteiligung am Tod von Luxemburg und Liebknecht.

Pabst: »Sie wissen ja ganz genau, was los war.«

Spiegel: »Wir wissen nicht genau, was los war.«

Pabst (lacht schallend): Das glauben Sie ja selber nicht. Ganz Deutschland hat es ja gewußt. Sie nicht? Ist ja großartig!«

Spiegel: »Ganz Deutschland hat gewußt, daß die beiden ermordet worden sind.«

Pabst: »Es kommt nur darauf an: War es notwendig, oder war es nicht notwendig?«

Die Antwort der Bundesregierung hatte der Mörder in der Tasche.