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Beckmanns Welttheater  (Peter Arlt)

Akrobaten schwingen sich in der Bildwelt Max Beckmanns durch die Luft, balancieren über das Schlappseil. Auf den Bildbühnen seiner Triptychen spielen Schauspieler König oder Christus, mythologische Figuren, wie Argonauten, oder andere Rollen, im Ausstellungstitel wie im Werk sinnbildhaft gesteigert zum Welttheater. Vom dunkel gewandeten Museum Barberini in Potsdam bekommen etwa 120 Gemälde, Zeichnungen, Druckgraphiken, Plastiken, Skizzenbücher sowie literarische Texte und Zeitdokumente eine wunderbare Bühne. Es sind Leihgaben englischer, US-amerikanischer und deutscher Museen, vom Museum Barberini zusammen mit der Kunsthalle Bremen kuratiert.

 

Vor der Präsentation von den Meeresbildern Max Beckmanns 2003 in Hamburg und seiner Meisterwerke 1994 in Stuttgart, seiner Gemälde 1905-50 noch vor der deutschen Einheit 1990 in Leipzig, zusammen mit Frankfurt/Main, wurde schon 1999 unter dem Titel »Welttheater« die Druckgrafik des Sprengel-Museums Hannover in Halle und Cottbus gezeigt. Blicken wir über dreißig Jahre zurück, da feierte den Künstler seine Geburtsstadt Leipzig zum 100. Geburtstag mit einer Ausstellung mit Druckgrafik und nur der Malerei, die in der DDR verfügbar war. Zudem würdigte der Verband Bildender Künstler ihn mit einem Kolloquium. Peter Michel hat nun in der jungen Welt vom 10. März die bedeutende Rolle Beckmanns für die Entwicklung des Realismus in der DDR beschrieben. Dies war dem besonderen Engagement Bernhard Heisigs geschuldet, der für die Malerei in der DDR Beckmanns Einfluss wünschte: »Als es in der westlichen Kunstszene auf den Leinwänden nur so spritzte und tröpfelte, war Max Beckmann für uns einer, der Mut machte, bei der menschlichen Figur zu bleiben.«

 

Jetzt bietet in Potsdam das Barberini-Museum den Werken eine großartige Präsentation, noch einmal, doch umfassend, aus dem malerischen, grafischen und plastischen Werk. Gezeigt wird die Bildwelt des Theaters, des Varietés, des Zirkus mit tiefgründigen mythologischen Verwurzelungen. Max Beckmann fasste den Krieg und das Leben in Handlungsszenen »im Theater der Unendlichkeit« auf. Da wäre, so schreibt er 1940 im Tagebuch, alles um »vieles leichter zu ertragen«. Der Wille, »die unsagbaren Dinge des Lebens festzuhalten«, führt ihn in die Weltauffassungen der antiken Mythologie, Gnosis, Kabbala, altindischen Philosophie, Kosmologie. Sein »Glaubensbekenntnis«: »Eine gemalte oder gezeichnete Hand, ein grinsendes oder weinendes Gesicht […] wenn ich etwas vom Leben gefühlt habe, so steht es da drin. […] Das Wichtigste ist mir die Rundheit, eingefangen in Höhe und Breite. Die Rundheit in der Fläche, die Tiefe im Gefühl der Fläche, die Architektur des Bildes.« Alles ist Form geworden. Funktionen der Form sind unter anderem das Ornamentbildende der schwarzen Kontur.

 

Für die existentiellen Erfahrungen des Fallens und Fliegens findet Beckmann Motive, gewonnen aus den luftakrobatischen Fesselballonauftritten von Käthe Paulus. Dokumente belegen in der Ausstellung, dass Beckmanns Motive von Bildern und Plastiken (»Brücke«) herrühren, vom Besuch des Circus Busch und des Apollo- und Metropol-Theaters in Berlin, des Cirque Medrano in Paris oder des UfA-Filmstudios Babelsberg. Auch nahm er Anleihen bei Tucholskys Tamerlan-Schlagertext. Am Schauspieler N. M. Zeretelli des Moskauer Kammertheaters exemplifizierte Beckmann das Energische und Melancholische dieses als Herrscher gezeigten Künstlers.

 

In das Welttheater führt Max Beckmanns »Berliner Reise« von 1922, ein lithographisches Mappenwerk, das die vom revolutionären Ausgang »Enttäuschten« in engen Räumen schweigen lässt. Dazu gehörte wohl auch Max Beckmann, der sich aber, wie sonst oft, bei ihnen nicht im Selbstbildnis untergebracht hat, weder bei den »Die Enttäuschten I«, der Gruppe aus Nationalisten und Monarchisten, die eine Restauration erwartet hatte, noch bei »Die Enttäuschten II«. Von dieser gelangweilten und inaktiven zweiten Gruppe mit Paul Cassirer, Alfred Flechtheim distanziert sich Beckmann auch, obwohl sie sich eher Liebknecht, Luxemburg, Marx verbündet fühlt, so Eugen Blume im Leipziger Katalog von 1984. Dort erwähnt auch Rudolf Pillep, dass Max Beckmann seit 1908 mit dem Sozialisten Gustav Landauer befreundet war und 1933 in seinem »Bekenntnis« ein »stärkeres kommunistisches Prinzip« gefordert habe.

 

Max Beckmann faszinierte ein Moment des Realismus: die »Magie der Realität«, die er mit der »Wut der Sinne« bearbeitete. In den frühen 20er Jahren (»Familienbild«, »Fastnacht«) eher veristisch, danach expressiv. Die Magie der Realität blieb weiterhin ein Ausgangspunkt künstlerischer Gestaltung. Immer wieder wird neu über die Kunst nachgedacht. Neue Aspekte werden entdeckt, die schon einmal entdeckt waren, doch darauf hindeuten, dass es ein weiterwirkendes Vermächtnis gibt.

 

 

Bis 10. Juni, Mo und Mi – So 10-19 Uhr, 3. Mai und 7. Juni 10-21 Uhr. Ebenso sind bis zum 10. Juni im ersten Obergeschoss die Bilder des Palastes der Republik ausgestellt und im Untergeschoss die sehenswerten, großformatigen Gemälde »Menschen und Landschaften« von Klaus Fußmann, darunter »Schindung des Marsyas« und stürzender Ikarus.