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Titel1119

Kunstbetrieb im Demogriff  (Harald Kretzschmar)

Noch ist es nicht soweit. Es ist erst ein alarmierender Ruf aus den bekannt profunden Tiefen der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden erschallt. »Demokratisierung des Kunstbetriebs?«

 

So fragen sie kess. Und wollen »Transformationsprozesse zwischen Ost und West 1960 bis 1990« ausloten. Im »Call for papers« wird die Leitfrage einer für den 10. und 11. Oktober angesetzten Tagung formuliert, »wie und wann unter verschiedenen Systembedingungen die Umsetzung demokratischer Prinzipien im Bereich der bildenden Kunst errungen werden sollte«. Na gratuliere! Ist da etwa ein Groschen (oder zum mindesten ein Cent) gefallen? Systemvergleich und Prinzipien – da ist der Triumph des einen Systems über das andere sicher. Aber nun konkret?

 

Demokratie ist nicht nur eine gegebene Institution. Demokratie verwirklicht sich im Handeln. Noch so viel gewählte Volksvertreterschaft garantiert nicht, dass Demokratie Gutes bewirkt. Diese wirkt nur da, wo ökonomisch herrschende Macht sie gewähren lässt. Nun also das Feld der Kunst? Kunst, die nicht gebraucht wird, ist genauso wirkungslos wie die, welche nicht erlaubt ist. Felder, wo das Wort Zensur mit Recht ein Fremdwort blieb, können trotzdem künstlerisch veröden. Kein Zufall: Wo Alltag völlig kunstlos bleibt, wuchern zuerst politische Gewaltfantasien. Demokratie steht ratlos daneben. Gut abgestimmt, schlecht gelaufen. Oft genug hat sie selbst mit Stimmenmehrheit künstlerisch Geformtes beseitigt, wenn es aus verpönter Zeit stammte. Im Abriss wurden Millionenwerte geopfert – Ersatz dagegen durch Sparvorgaben erschwert oder verhindert. Wüste Kontraste: Spekulationsgewinne in Kunst peitschen neue Idole hoch. Da gehen leicht alle vorherigen Maßstäbe flöten.

 

Die da aus der schönen Elbmetropole rufen, sind erst nach der letzten Elbeflut aus der bekannt üblichen Himmelsrichtung dorthin gekommen. Unbenetzt von nässender Naturkatastrophe agieren sie auf ideologisch hinreichend standsicher betoniertem Boden. Wassermassen spülten einiges durch, aber die Kunst blieb unbeschädigt: Entweder sichtbar oder im noch besser ausgebauten Depot unsichtbar. Je nach politischer Beliebigkeit oder Missliebigkeit. Leider ist das so. Die Zugereisten leben mitgebrachte Vorlieben ungehemmt aus – ohne das Einheimische lange zu erkunden oder etwa die Einheimischen lange zu fragen. Sie haben eine im wohlwollenden Abnicken ihrer Projekte inzwischen geübte Ministerin im Rücken. Und bei Abstimmungen im Parlament gewinnt Kultur selten Mehrheiten.

 

Nun leben sie mit uns in einer weithin sicht-, fühl- und hörbar demokratischen Gesellschaft. Da kann es schon mal geharnischte Kritik geben. Oder zumindest unangenehme Nachfragen. Ob Ostkunst überhaupt jenseits von Unterdrückung und Bevormundung etwas Nennenswertes darstellen konnte, war lange vakant. Jetzt ist es »durch«. Ja, das hat ja oft genug etwas durchaus Bedeutendes, raunt man halblaut. Und ist dennoch von Einordnung in deutsche Kunstgeschichte weit entfernt. Die Demokratie hat da offenbar nicht so recht funktioniert, als die Mehrheit der gesamtdeutsch Eingemeindeten in und um Dresden herum gar nicht gefragt war, was sie von »ihrer« Kunst hielt. Tagungen, spektakulär aufgemotzt und superklug garniert, geraten da leicht zu Showveranstaltungen mit Westdrall.

 

Oder verkenne ich da einen Sinneswandel? So schön als Paradigmenwechsel zu bezeichnen ist diese Einladung wohl noch nicht. Bis 21. April konnten »Beiträge aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen« bei Norma Ladewig und Martin Hartung eingereicht werden. Da kann man nur hoffen, dass Wissenschaft kritisch analysierend praktiziert wird. Tatsachen statt Mutmaßungen sind gefragt. Themenfeld eins regt bereits durchaus dazu an: Das »Ideal der Teilhabe an Kunstkonsum, Kunstpraxis und kunstpolitischen Entscheidungen« wird da genannt. Da taucht der vielfach missbrauchte, weil elitäre Begriff der »Avantgarde« auf. Die documenta-Ausstellungen sind ein Muster für einen diffus undemokratischen Begriff von »Weltkunst«. Impulse für künstlerische Innovation haben es schwer. Medial einmal hochgepuscht, verschwinden sie im Nu.

 

Themenfeld zwei macht das deutlicher. Da zitiert der Text Eric Hobsbawm mit der klugen Einsicht von dem elementaren Gebrauchtwerden der Kunst in den osteuropäischen Ländern. Diktatorisch markiert, war gerade die Kunst unter der Hand in vielfältigster Form das Instrument zur Durchsetzung demokratischer Prinzipien. In der bildenden Kunst hatte sich das demokratische Prinzip des Jurierens (statt des heute vorherrschenden Kuratierens) gehalten. Offiziell war Kunstübung und Kunstkonsum eben Pflichtfach im Bildungssystem. Es ist leicht, autoritäre Regime pauschal zum Schreckgespenst zu machen. Kunstförderung gab es – und sie hatte auch dort durchaus künstlerische Selbstbestimmung zur Folge. Wie stark die Kunstszene jener Länder einmal national und sozial geprägt war, davon kann man heute nur noch träumen.

 

Themenfeld drei wird noch konkreter im Formulieren von Fragen zum Pluralismus. Der Kunstmarkt gaukelt ihn vor und beseitigt ihn gleichzeitig wieder durch Willkür. Eine Masse von künstlerischen Egomanen bleibt eine Masse – kaum zu differenzieren, wenn markante

 

Charaktere und Talente trotzdem nicht so recht namhaft werden. Kunstakademien lehren inzwischen mehr Tricks fürs Marktgängige als exakte Fertigkeiten. Staaten lassen sich bei Auftragsvergabe und Ankäufen von den Lobbyisten des Kommerzes »beraten«. Wohlgemerkt: Die Kunst verdemokratisieren – das kann keiner wollen. Ein Konzertdirigent und ein Theaterregisseur müssen Autoritäten sein dürfen. Wieso aber häufen sich gerade jetzt die Fälle von Machtmissbrauch im Kunstbetrieb? Diese Tendenz zum Entdemokratisieren ist doch fatal. Der Umgang mit Stoffen von Weltliteratur und Weltkunstgeschichte ist so rabiat geworden – da taugen Genies nur noch als Stichwortgeber. Der Dienst an der Kunst könnte ja aus Versehen als Hommage an die Menschlichkeit verstanden werden ...