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Titel14+1509

Als in Genf die Scheiterhaufen brannten  (Hartwig Hohnsbein)

Genf, Sitz vieler internationaler Organisationen, gilt heute als Ort der Toleranz, Weltoffenheit und Völkerverständigung. Das war nicht immer so.

Als der von der französischen katholischen Inquisition verfolgte Theologe und gefeierte Mediziner Michael Servet (er hatte den kleinen Blutkreislauf entdeckt und nachgewiesen, daß Atmung und Herzschlag zusammenhängen) am 13. August 1553 in die westschweizerische Stadt kam, wurde er aus einem Gottesdienst heraus umgehend verhaftet, ins Gefängnis geworfen und nach einem Willkürverfahren am 27. Oktober 1553 zum Tode verurteilt und noch am gleichen Tage hingerichtet. Sein Tod am Brandpfahl durch langsames Rösten bei kleinem Feuer war die martervollste aller Hinrichtungsarten, die damals nur in den allerseltensten Fällen angewendet wurde, dann nämlich, »wenn jemand die Religion in ihren Grundfesten erschüttert hat«. Genau das hatte Johannes Calvin, der damals »starke Mann« in Genf, der die Kirche, den Rat und das Gericht beherrschte, über ihn behauptet. Servets Vergehen: Er hatte die Trinitätslehre angezweifelt.

Die Lehre von der Heiligen Dreifaltigkeit ist zwar unbiblisch und galt erst seit dem 4. Jahrhundert auf Veranlassung des heidnischen Kaisers Konstantin als christlicher Glaubensschatz, für Calvin, den Reformator, gehörte dieses Dogma jedoch zu den »Grundfesten« des christlichen Glaubens.

So wurden die Ereignisse des Jahres 1553 zu einer Schande für die Stadt Genf, die sich aber nun anschickt, in diesem Sommer ein großangelegtes Jubiläum zu feiern: die 500. Wiederkehr des Geburtstages – nein, nicht Servets oder eines anderen Opfers,sondern des Täters Johannes Calvin.

Auch die deutschen Kirchen wollen nicht zurückstehen. Mit vielen Veröffentlichungen, Gemeindeveranstaltungen und Fernsehgottesdiensten, mit der großen Ausstellung zum Calvinismus in Deutschen Historischen Museum und mit einem »Calvin-Festtag« in Berlin wollen sie, mit Hinweis auch auf eine Sonderbriefmarke, einem weitgehend uninformierten Publikum weismachen, der Genfer Reformator sei ein höchst ehrenwerter Mann gewesen, weil er »die moderne Demokratie und die Idee der Menschenrechte beeinflußt« habe, ein »erstaunlich moderner Reformator«, aus dessen »kirchenleitendem Wirken vielfältiger Gewinn zu ziehen ist«, wie der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Wolfgang Huber, rühmend hervorhebt.

Calvins »kirchenleitendes Wirken« war darauf bedacht, mit allen Mitteln die »Ehre Gottes« zu verteidigen und zu vermehren. In seinem Hauptwerk, der bis heute immer wieder aufgelegten »Institutio – Unterricht in der christlichen Religion«, wird dieses Bestreben ausführlich entfaltet. Dabei ist das Buch mehr als ein Unterrichtswerk; es ist ein 1000seitiges Glaubensbekenntnis, dessen sämtliche Aussagen gleichwertig im Alltag umgesetzt werden sollen.

Aus der Fülle der calvinschen Glaubenslehren sollen hier zwei vorgestellt werden, die die abendländische Geschichte nachhaltig beeinflußt haben: die Prädestinations- oder Erwählungslehre und zum anderen die Lehre von der Kirchenzucht, die bei ihm mit dem »Erziehungsgebot« (»Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren«) verbunden ist. Die Erwählungslehre besagt, daß Gott vor aller Zeit und Ewigkeit als sein unerforschliches Geheimnis unabänderlich festgelegt hat, wer einmal zum Heil und wer zum Verderben für alle Zeit und Ewigkeit bestimmt ist. Der zum Heil Erwählte kann das daran erkennen, daß für ihn »Wohltaten geschehen« sind, die als Erfolg, Reichtum und Macht wahrzunehmen sind. Der Erfolgreiche ist zugleich der Gute, und er hat die Aufgabe, die Bösen zu bekämpfen. Mit diesem Glauben bekämpften die Einwanderer Nordamerikas, viele von ihnen »Calvinisten«, die Ureinwohner dort und rotteten sie erfolgreich aus; dieser Glaube half auch den US-Amerikanern, den verbrecherischen Vietnamkrieg zu führen und jetzt die »Kreuzzüge« gegen Irak und Afghanistan, gegen die »Achse des Bösen«.

Zum Kampf gegen das Böse und zur »Ehre Gottes« verordnete Calvin auch die »Kirchenzucht«. In Walther von Loewenichs »Kirchengeschichte« ist sie so beschrieben: »Bis ins Kleinste wurde das sittliche Leben der Gemeinde überwacht. Auch die Angeberei (gemeint: Denunziation) stellte man in den Dienst der guten Sache. Aussagen von Kindern und Dienstboten wurden verwertet. Jede Übertretung wurde mit schweren kirchlichen und weltlichen Strafen geahndet. Wer die Kirche versäumte, erhielt eine Geldstrafe, Gotteslästerung wurde mit dem Schwert bestraft. Auf Verbrechen gegen die göttliche Wahrheit stand der Scheiterhaufen...« In diesen Kampf zur »Ehre Gottes« gehörte auch, daß Calvin (ebenso wie Luther) die Verfolgung und Hinrichtung von »Hexen« befürwortete. Ihnen schrieb er Zauberei zu, so als 1545 in Genf die Pest wütete. Auf sein Drängen hin wurden innerhalb weniger Monate 34 angebliche Hexen verbrannt.

Doch nicht nur in der Gemeinde, auch in der Familie soll Gott geehrt werden; das geschieht dadurch, daß »Vater und Mutter geehrt werden«. Calvin schreibt: »Die hier gebotene Ehre umfaßt dreierlei Pflichten, nämlich Ehrerbietung, Gehorsam und Dankbarkeit. Die Ehrerbietung macht der Herr zur unverletzlichen Pflicht, indem er den, der Vater und Mutter flucht, zu töten befiehlt. Den Gehorsam fordert Gott, indem er für ungehorsame und widerspenstige Kinder gleichfalls die Todesstrafe androht.« Und Calvin teilt auch mit, wie solche Kinder liquidiert werden: »Gott läßt sie durch sein Gesetz schuldig sprechen und ordnet den Vollzug der Strafe an! Entgehen sie aber dem irdischen Gericht, so ahndet er selbst ihren Ungehorsam auf allerlei Weise… Viele derartige Leute kommen in Kriegen und Streithändeln um.« Daraus ergibt sich: Das mörderische Treiben des »erstaunlich modernen Reformators Calvin« war nicht den strengen Vorschriften des damaligen Strafrechts, der »Carolina« von 1532, geschuldet, sondern Ausfluß seines Glaubens.

Unter Lebensgefahr wagten es nur wenige, diesem Gotteseiferer zu widersprechen; einer der wenigen war Sebastian Castellio, der ihm in einer Schrift nach dem Mord an Servet zurief: »Einen Menschen töten heißt nicht, eine Lehre verteidigen, sondern einen Menschen töten.« Lange Zeit blieb dieser einzigartige Humanist vergessen, bis Stefan Zweig ihm 1936 in seinem Buch »Castellio gegen Calvin oder Ein Gewissen gegen die Gewalt« ein ehrendes Denkmal setzte. Zweig, der damals selbst Verfolgte, charakterisierte Calvin, den furchtbaren Juristen und Theologen, treffend: »...Nichts ist diesem großen Zeloten zeitlebens fremder gewesen als Konzilianz. Calvin kennt keinen Mittelweg, bloß den einen, den seinen... Nie wird er einen Kompromiß abschließen, denn ... einzig diese seine steinerne Unerschütterlichkeit, diese eisige und unmenschliche Starre erklärt das Geheimnis seines politischen Weges ...«

Zweigs Buch müßte in diesem »Calvin-Jubeljahr« für Humanisten Pflichtlektüre sein.