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Digitalisierung (4): Offene Fragen  (Marcus Schwarzbach)

Im Bundesarbeitsministerium ist Dialog-Zeit. Bundesarbeitsministerin Nahles forderte beim Start des Dialogs zu Arbeiten 4.0, Vorschläge zur digitalen Arbeit zu machen (siehe auch Ossietzky 3/2017 und 5/2017). Es fällt inzwischen auf, dass wichtige Themen fehlen.

 

Ideen von Betriebsräten zur Neuregelung der Personalplanung im Betriebsverfassungsgesetz wurden nicht aufgegriffen (siehe dazu: Schwarzbach: »Work around the clock?«, Seite 75). Gäbe es hier ein Mitbestimmungsrecht, müssten sich Arbeitgeber und Betriebsrat über die Personalbesetzung der Industrie 4.0 einigen. Der Betriebsrat hat dabei derzeit aber nur Beratungsrecht. Er erhält Informationen und kann seine Meinung sagen, zum Beispiel dazu, dass in einer Abteilung zu wenig Arbeitnehmer eingeplant sind, und Änderungsvorschläge unterbreiten. Umsetzen muss der Arbeitgeber diese nicht.

 

Im Dialogprozess wurde auch über Crowdworking und Solo-Selbstständige diskutiert. Während zu Beginn des Prozesses das Bundesarbeitsministerium hier noch dringenden Regelungsbedarf sah, wurde das Thema im »Weißbuch Arbeit 4.0« kaum angegangen. Crowdsourcing beinhaltet, dass Arbeit, die bislang im Unternehmen erledigt wurde, ausgelagert wird. Crowdworking-Plattformen wie »Clickworker« sind die Vorboten einer neuen Arbeitsorganisation. Bei den Internetmarktplätzen für Arbeit ist die Macht klar auf Seiten der Auftraggeber (siehe Teil 2 der Reihe »Digitalisierung«, Ossietzky 11/2017).

 

Schon heute geben Fachzeitschriften Personalabteilungen Praxistipps. »Crowdworking ist derzeit in der Arbeitswelt noch eine kleine Nische«, erläutert das Personalmagazin. Die Diskussion »Crowdwork als Arbeitsvertrag oder Preisausschreiben?« wird ergänzt um konkrete Formulierungsvorschläge für Verträge. So muss »durch Klauseln zur Geheimhaltung und Löschung der Arbeitsergebnisse beim Crowdworker sichergestellt« werden, dass Arbeitsergebnisse »vertraulich behandelt und nicht für eigene Zwecke« verwertet werden, warnt Rechtsanwalt Dietmar Heise (siehe https://www.haufe.de/personal/zeitschrift/personalmagazin/personalmagazin-102016-personalmagazin_48_381028.html).

 

Auch die Leiharbeitsbranche reagiert auf den Trend. Die Crowdworking-Plattform »Twago« wurde von Randstad, einem der großen Player der Verleihbranche, gekauft. Das »Randstad-Portfolio« sollte erweitert werden, »so dass keine interne Konkurrenz geschaffen wurde«, erklärt Jan Ole Schneider die Unternehmensstrategie (Personalmagazin 10/2016). Das Ministerium scheint hier zu warten, bis Konzerne Fakten geschaffen haben und die Plattformen für Werkverträge 4.0 nutzen.

 

Scheinwerkverträge über Online-Plattformen können hier genutzt werden, damit aus Arbeitnehmern »Selbständige« werden, die nicht unter das Arbeitsschutz- oder Arbeitszeitgesetz fallen. »Um den Missbrauch besser nachzuweisen, ist die Umkehr der Beweislast wichtig. Und wir brauchen eine rechtzeitige und umfassende Informationspflicht an den Betriebsrat, die auch empfindliche Folgen nach sich zieht, wenn sie verletzt wird«, fordert DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach Crowdworking-Regeln. Per Gesetz solle eine Beweislastumkehr erfolgen – tragen Betriebsräte Indizien vor, dass es sich um Arbeitnehmer handelt, die jetzt per Werkvertrag beschäftigt werden, müsse der Arbeitgeber das Gegenteil beweisen, fordert der Arbeitsrechtler Wolfgang Däubler (siehe dazu Schwarzbach: »Work around the clock?«, Seite 68).

 

Wie mit Formen der Scheinselbständigkeit umzugehen ist, ob der Betriebsbegriff nicht anders gefasst werden muss, wenn dezentral gearbeitet wird, bleibt im Weißbuch offen.

 

Dabei werden Gefahren durch die Digitalisierung im »Weißbuch Arbeiten 4.0« der Bundesarbeitsministerin durchaus angesprochen. Die vernetzte Technik bietet einfache Möglichkeiten, Beschäftigte zu überwachen. »Bei Büroarbeitsplätzen kann – zumindest theoretisch – jeder Anschlag auf der Tastatur, jede Speicherung oder Löschung, jeder Suchverlauf im Internet sowie die gesamte Kommunikation, etwa via E-Mail, komplett dokumentiert und ausgewertet werden.« (»Weißbuch Arbeiten 4.0«, Seite 34) Konsequenzen aus dieser Feststellung, wie ein Beschäftigtendatenschutzgesetz aussehen muss, fehlen.

 

Die neue Technik soll menschliche Arbeit ersetzen und setzt Beschäftigte zunehmend unter Druck. Forderungen nach Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich sind für die Ministerin und die am Dialog beteiligten Gewerkschaftsvertreter aber trotzdem kein Thema. Selbst die Idee einer Maschinensteuer, die sogar von Top-Managern unterstützt wird, spielt keine Rolle. Die Steuer zielt darauf ab, dass Unternehmen, die durch den Einsatz von Robotern das Personal reduzieren, nicht durch sinkende Lohnkosten und fehlende Sozialversicherungsbeiträge profitieren, während für die Gesellschaft weniger Geld zur Verfügung steht – gerade da die Industrie 4.0 massiv durch Forschungsgelder der Bundesregierung, also Steuergelder, gefördert wird.

 

Staatssekretär Thorben Albrecht, einer der Treiber des Dialogprozesses, lehnt eine Robotersteuer ab. »Die Betriebe brauchen das Geld für Innovationen, mit denen sie den Strukturwandel bewältigen müssen.« (siehe: www.haufe.de/personal/hr-management/arbeiten-40-nahles-stellt-weissbuch-zur-zukunft-der-arbeit-vor_80_388194.html). Die Sozialbindung des Eigentums ist für den Sozialdemokraten keinen Gedanken wert. Das Grundgesetz betont ausdrücklich im Artikel 14 die Sozialbindung, nach der Produktivitätsfortschritte und Gewinnsteigerungen nicht nur auf der Kapitalseite zu verbuchen sind, sondern auch den abhängig Beschäftigten zustehen, die diese mit erwirtschaften.

 

Der bisherige Dialogverlauf macht deutlich: Der Druck der Unternehmensverbände auf Arbeitsschutzrechte wird nur durch entschlossene Gegenwehr der Beschäftigten und offensives Agieren der Gewerkschaften zurückgedrängt werden können. Welche Vorstellungen die Unternehmen von der Arbeit der Zukunft haben, zeigt die Daimler AG in ihrer Stellungnahme zum »Arbeiten 4.0«-Prozess: »Flexible Beschäftigungsformen wie Zeitarbeit, befristete Arbeitsverhältnisse, Teilzeit und selbstständige Tätigkeiten ermöglichen den Unternehmen die notwendige Anpassungsfähigkeit in Bezug auf ein volatiles Umfeld« (»Weißbuch Arbeiten 4.0«, Seite 26).

 

 

Die Teile 1, 2 und 3 der vierteiligen Artikelreihe zur Digitalisierung erschienen in Ossietzky 9/2017, 11/2017 und 13/2017.