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Doughnut-Ökonomie  (Manfred Sohn)

Doughnuts (auch Donuts geschrieben; gesprochen: Donats) sind die fettigen Backwaren in Form eines kleinen Rettungsringes, meistens halb mit Schokolade überzogen, die sich – aus den USA kommend – nicht nur bei Kunden von McDonald‘s, sondern weit darüber hinaus vor allem unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen großer und so stark wachsender Beliebtheit erfreuen, dass Läden, die ausschließlich dieses Gebäck in seinen verschiedenen bunten Variationen verkaufen, davon in unseren Großstädten leben können.

 

Kate Raworth, eine studierte Ökonomin, die unter anderen für das »United Nations Development Programme« gearbeitet hat, Mitglied des Club of Rome ist und zur Zeit an den Universitäten in Oxford und Cambridge unterrichtet, hat 2017 ein Buch mit dem etwas ungewöhnlich erscheinenden Titel »Doughnut Economics« veröffentlicht – Untertitel der englischen Ausgabe: »Sieben Möglichkeiten, wie ein Ökonom des 21. Jahrhunderts zu denken« (Übersetzungen jeweils M. S.). Innerhalb der grünalternativen Szene ist sie so etwas wie der aktuelle Star. Ihre rund 20-minütige Präsentation der Kerninhalte des Buches bei einer der im Internet millionenfach angeklickten TED Conferences wurde über 80.000 Mal aufgerufen. Raworth füllt gegenwärtig recht mühelos die Hörsäle deutscher Universitäten. Schon deshalb lohnt eine Bewertung aus marxistischer Sicht.

 

Ihre Kernbotschaft ist relativ einfach: Die entscheidende Sprache für politische Debatten sei die der Ökonomie. Die aber sei, wurzelnd im 19. Jahrhundert, durch Grafiken beherrscht, in deren Mittelpunkt Wachstumskurven stünden. Da diese Bilder das Handeln der gesellschaftlichen Eliten mehr bestimmen würden als alle sonstigen Debatten, müssten vor allem in den Köpfen der debattenprägenden Ökonomen die wachstumsorientierten Bilder ausgetauscht werden gegen ein anderes Bild, das Grundlage für ökonomische Entscheidungen im 21. Jahrhundert werden müsse.

 

Dafür schlägt sie den Doughnut vor. In seiner Mitte sei ein Loch, das die innere Begrenzung allen ökonomischen Handelns definiere. Sie nennt das critical human deprivation und meint damit vor allem die wachsende Ungleichheit, die Entbehrung und den Mangel, den immer größere Schichten der Weltgesellschaft zu erleiden hätten. Der äußere Ring des Doughnuts sei durch die critical planetary degradation gekennzeichnet – also die Missachtung der vom Club of Rome aufgezeichneten Grenzen des Wachstums, die zu einer Zerrüttung der natürlichen Lebensgrundlagen führen würde. So müsse sich alles ökonomische Handeln künftig innerhalb dieser ecological ceiling, also den ökologischen Grenzen und der social foundation orientieren, statt auf Wachstum zu starren.

 

Zwei Dinge fallen an dem im Original 350 Seiten starken Buch auf. Zum einen setzt die Autorin sich zwar mit einer Fülle von Ökonomen der letzten 200 Jahre auseinander, aber einer fehlt fast völlig: Karl Marx. Er wird an vier Stellen beiläufig erwähnt, aber es findet weder eine Auseinandersetzung mit ihm statt, noch finden sich Spuren seines Werkes im Text oder in der Literaturliste – abgesehen von einem Hinweis auf eine Online-Version von »Das Kapital«. Zweitens – und das hängt wohl damit zusammen – bleibt das Buch im Appellativen. Die Eigentums- und Machtfrage spielt für Raworth keine zentrale Rolle, die Klassenfrage im Grunde nur als Beklagen der Lage der unteren Klassen auf diesem Globus. Den Ausweg aus der von ihr aufgezeigten Gefahr einer die Menschheit dezimierenden Krise sieht sie vor allem in einer grundlegend veränderten Ausbildung der Studenten hinsichtlich ihres ökonomischen ABC – Ablösung also der Wachstumsorientierung durch die Doughnut-Ökonomie.

 

Dieser Ansatz wird genauso versanden wie viele ähnliche Bemühungen vor ihrem Wirken. Die Resonanz auf Kate Raworth zeigt immerhin, dass es weltweit vor allem unter jungen Erwachsenen eine sich verstärkende Suchbewegung gibt, um einen Ausweg aus den sich zunehmend bedrohlich verknotenden Widersprüchen des weltweit wirkenden warenproduzierenden Patriarchats zu finden. Wer aber versucht, »to make a difference in the world«, wie Raworth von ihrem inneren Antrieb für ihr Handeln schreibt, dabei aber die Worte »Wert« und »Klassenkampf« meidet, wird aus dem Klagestatus nicht herauskommen.

 

Kate Raworth: »Die Donut-Ökonomie«, deutsche Übersetzung von Hans Freundl und Sigrid Schmid, Hanser Verlag, 416 Seiten, 24 €