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Titel15+1612

Vom Ärgernis der Feindesliebe  (Hartwig Hohnsbein)

Bei allen Streitereien über den rechten Glauben, die die Christen in den ersten drei Jahrhunderten untereinander austrugen, stimmten sie in einem Punkt alle überein: Der christliche Glaube ist mit dem »Kriegshandwerk« unvereinbar. In der Römischen Kirchenordnung des »Kirchenvaters« Hippolyt (um 230), die von vielen anderen Gemeinden als Vorbild angenommen wurde, heißt es: »Wenn ein Taufbewerber oder Gläubiger Soldat werden will, dann weise man ihn zurück, denn er hat Gott verachtet«, und an anderer Stelle verlangt dieselbe Kirchenordnung von Soldaten, die sich im Militärdienst zu Jesus bekehren, daß sie sich verpflichten müssen, fortan jeglichen Tötungsbefehl zu verweigern.

Ein anderer »Kirchenvater«, der berühmte Origenes (um 250), sieht in den Christen wegen ihrer Ablehnung des »Kriegshandwerkes« geradezu Vorläufer einer neuen Menschheit: »Wir Christen ziehen das Schwert gegen keine Nation, wir lernen keine Kriegskunst mehr, denn wir sind Söhne des Friedens geworden durch Christus.« (Zitate aus Peter Bürger: »Hiroshima, der Krieg und die Christen«, 2005)

Die »Kirchenväter« verstanden als Zentrum der Verkündigung Jesu die »Regel der Feindesliebe« (Herbert Koch: »Einfach glauben, Botschaften des Jesus von Nazareth«, 2012) und die Ächtung der Gewalt beim Apostel Paulus: »Laß dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem« (Römerbrief, Kapitel 12 Vers 21). In den »Friedenspropheten« des Alten Testamentes sahen sie die Vorläufer Jesu, die eine bessere Welt angekündigt hatten, in der die Menschen nicht mehr lernen, wie man Kriege führt. Deshalb galt es, die »Schwerter zu Pflugscharen« umzuschmieden (Jesaja 2.4). »Steck dein Schwert ein, denn wer zum Schwert greift, soll durch das Schwert umkommen« (Matthäus 26.51), so nimmt Jesus die Prophetenworte auf.

Die Ächtung der Waffen und des Krieges fand in den ersten drei Jahrhunderten wachsende Zustimmung, als kaiserliche Militärdiktaturen im römischen Weltreich mit Gewalt und Unsicherheit die Bürger ängstigten. Die Christen wurden zu einer einflußreichen Massenbewegung. Das war wohl einer der Gründe, warum der römische Kaiser Theodosius das Christentum 380 zur Staatsreligion machte, mit deren Hilfe alle anderen Religionen und Abweichler bekämpft werden sollten. Die Theologen wußten sogleich, was sie da zu tun hatten: Aus der Friedensbotschaft Jesu machten sie flugs eine Kriegsbotschaft, Kriegsdienst galt fortan als Ehrendienst. Der Krieg selbst bekam geradezu Erlösungscharakter. Der bis heute hoch gerühmte Theologe Augustinus (um 430) formulierte das so: »Was hat man denn gegen den Krieg? Etwa daß Menschen, die doch einmal sterben müssen, dabei umkommen?« (Karlheinz Deschner: »Abermals krähte der Hahn«, 1980)

In den nachfolgenden Jahrhunderten hatte in der Christenheit der das höchste Ansehen, der im Kampf am besten töten konnte. Für ihn galt das 5. Gebot nicht. Daran änderte auch der Augustinermönch Martin Luther nichts. Nach seinem anfänglichen Aufbegehren gegen die römische Kirche fand er bald wieder zum alten augustinischen Denken zurück. Er sprach die Fürsten für das Abschlachten der aufrührerischen Bauern 1525 selig und gab auch den einfachen Soldaten zum Morden ein gutes Gewissen: »Die Hand, welche das Schwert führt und würget, ist nicht mehr Menschen Hand, sondern Gottes Hand, und nicht der Mensch, sondern Gott hänget, rädert, enthauptet, würget, krieget.« Diese Umwandlung der Friedensbotschaft in Kriegsverherrlichung und der Ächtung der Gewalt in ihre Befürwortung muß man mit den Worten von Friedrich Nietzsche (»Der Antichrist«) anklagen : »... Ich klage das Christentum an ... daß (es) aus jedem Wert einen Unwert, aus jeder Wahrheit eine Lüge ... gemacht hat ...« Und diese Umwandlung hielt auch im 20. Jahrhundert an, angereichert noch mit der Verherrlichung des »Opfertodes der Soldaten«, die dadurch angeblich jesusgleich werden. In der Broschüre, »Der Krieg als geistige Leistung«, die massenhaft vor dem Überfall auf die Sowjetunion 1941 an die Soldaten verteilt wurde, gibt ihr Verfasser, der spätere hannoversche Landesbischof Hanns Lilje, der sich auch bei der Remilitarisierung der Bundesrepublik hervortat, den Soldaten mit Hinweis auf das Jesuswort im Johannes-Evangelium 12 Vers 25 (»Wer sein Leben lieb hat, wird es verlieren«) folgenden Ratschlag für ihren Weg in den Tod: »Es muß nicht nur auf den Koppelschlössern der Soldaten, sondern in Herz und Gewissen stehen: Mit Gott! Nur im Namen Gottes kann man dies Opfer legitimieren.« Für den Neutestamentler Gerd Lüdemann war das eine üble Verfälschung des Bibelwortes, das auf keinen Fall auf den Dienst mit der Waffe zu beziehen sei. Lilje, so Lüdemann, »setzt die aktive Teilnahme am verbrecherischen Krieg Nazi-Deutschlands mit der Nachfolge Jesu gleich.« Dem Reichspropagandaministerium gefiel die theologische Leistung Liljes.

Heute feiert das Wort vom »Einsatz des eigenen Lebens« Auferstehung. Das betonte, ja verkündigte der neue Bundespräsident in seiner berüchtigten Rede bei der Bundeswehr am 12. Juni. Gauck, nach eigenen Aussagen »einmal Pfarrer, immer Pfarrer«, verkündigte dabei für die kommenden Kriege auch dieses: »... Gewalt kann – solange wir in der Welt leben, in der wir leben – notwendig und sinnvoll sein, um ihrerseits Gewalt zu überwinden.« Damit widerspricht er zwar den Worten des Paulus, aber Ex-Pastor Gauck weiß ohnehin immer alles besser, vor allem auch, wie man in Zeiten sprechen muß, in denen Deutschland wieder imperiale Kriege führt. Von Feindesliebe predigt man da schon gar nicht; das würde nur stören.