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Titel1517

G20: Keine Spaltung  (Ulla Jelpke)

Linksextremisten verwüsten Hamburg, legen einen ganzen Stadtteil in Schutt und Asche – darunter ging es nicht: Die Medienlandschaft sprach von einem Bild der Verwüstung, von einer Brandschneise, von »Anarchie«, von Zuständen »wie im Krieg«, nachdem es in einer der Gipfelnächte auf wenigen Quadratmetern Hamburgs ein paar Sachbeschädigungen und Plünderungen gegeben hatte. Gleich daneben konnten die Leute zwar weiterhin unbehelligt an Cocktails schlürfen, aber darauf hinzuweisen, hätte das Bild nur gestört. Denn das sollte lauten: Die Gipfel-Gegner sind ein Haufen gewaltbereiter Chaoten. Dieses Bild zu schaffen, darauf hatten die Sicherheitsbehörden schließlich monatelang hingearbeitet.

 

Die Eskalation begann nicht erst bei der »welcome to hell«-Demo am 6. Juli. Schon Wochen zuvor hatte der Hamburger Senat ein weitgehendes Versammlungsverbot in der Innenstadt verfügt – Ankündigungen der mitregierenden Grünen, sie würden keine »roten Zonen« in der Stadt mitmachen, erwiesen sich als Schall und Rauch. Auch Camps sollten nicht gestattet werden. Nachdem wenigstens einzelne Camps vor Gericht durchgesetzt worden waren, wurden »Schlafverbote« erlassen und die legalen Camps gleichwohl von der Polizei angegriffen.

 

Der Hamburger Polizeichef legte eine »niedrige Einschreitschwelle« fest und schärfte wenige Tage vor dem Gipfel seinen Beamten ein: »Ein Wasserwerfer hat keinen Rückwärtsgang.« »Melden Sie nicht, wenn eine Straße blockiert ist, sondern wenn sie wieder frei ist.« Das war ein klares Signal an seine Truppen: keine Deeskalation, sondern volle Konfrontation.

 

Und so kam es dann auch. Die »welcome to hell«-Demonstration wurde kurz nach Beginn von der Polizei angegriffen, angeblich weil etliche »Gewaltbereite« vermummt seien. Dass die meisten Leute schon begonnen hatten, ihre Vermummung abzulegen, hielt die Polizei nicht mehr ab. Als parlamentarische Beobachterin musste ich mit ansehen, wie Polizisten mit Pfefferspray und Knüppeln auf – nicht vermummte – DemonstrantInnen losstürmten, eine Panik auslösten, und das alles in einer eher engen Straße, die man nur durch Kletteraktionen auf einen höher gelegenen Straßenabschnitt verlassen konnte.

 

In den Tagen darauf wiederholte sich dieses Vorgehen: Wasserwerfer, Knüppel, Faustschläge, Pfefferspray, gegen Unvermummte, Unbeteiligte, am Boden Liegende … Darauf, Blockaden erst nach dreimaliger Aufforderung zu räumen, achtete die Polizei allenfalls dann, wenn Anwälte oder Parlamentarier anwesend waren. Videos, die Polizeigewalt bezeugen, finden sich im Internet zuhauf, unter https://g20-doku.org gibt es entsprechende Dokumentationen.

 

Doch die Rücktrittsforderungen, die von CDU, FDP und AfD an den Hamburger Innensenator gerichtet werden, beziehen sich nicht auf die Gewalt, die von seinen Truppen ausging, sondern darauf, dass er im Bereich der Straße Schulterblatt nicht genügend Gewaltpotential bereitgehalten hatte. Nur selten wurde darauf hingewiesen, dass das, was dort passierte, ja nicht einfach die Fortsetzung einer Demonstration war. Das hatte Ähnlichkeiten mit Unruhen, wie man sie in den Vorstädten westeuropäischer Großstädte hin und wieder erlebt. Hier dürfte ein Gemisch aus DemonstrantInnen und frustrierten Marginalisierten am Werk gewesen sein, »unterstützt«, wie man mittlerweile weiß, durch einige Neonazis, die ebenfalls vor Ort waren. Selbstverständlich muss man die Aktionen im Schulterblatt nicht gut finden, und gezielte Zwillenschüsse mit Stahlkugeln auf Polizisten sind eindeutig zu verurteilen. Darauf haben als erste die AktivistInnen der Roten Flora hingewiesen: Die physische Integrität von Menschen sei eine »rote Linie«, und die sei von manchen Akteuren überschritten worden. »Das fanden wir falsch«, so etwa der Rote-Flora-Aktivist Andreas Blechschmidt. Dass die Darstellung der Polizei, Gewalttäter hätten geplant, mit Gehwegplatten auf sie zu werfen, zutrifft, ist bislang nicht bewiesen. Träfe es zu, wäre das nichts, was mit einer humanistischen Politik vereinbar wäre.

 

Was nicht heißt, man könne nun einfach sagen, die Krawalle in der Schanze seien »nicht links« und hätten mit den angemeldeten Demos nichts zu tun. Solche Positionen, die bisweilen auch seitens der Partei Die Linke formuliert wurden, sind zu einfach. Wer zu Demos aufruft, muss auch im Blick haben, wer sich wohl am Rande der Proteste bewegen und was dort geschehen wird, und sich die Frage nach eigenen Strategien in Umgang mit unerwünschten Akteuren stellen (über deren Zusammensetzung damit noch nichts gesagt ist). Das ist eine Frage der Verantwortung, der die linke Szene nach meiner Einschätzung auch nachkommt. Bei alledem gilt: Es gab hier unschöne Entwicklungen, sinnentleerte Gewalt und Defizite auf linker Seite. Was allerdings die staatlichen Akteure angeht, wären solche Begriffe der reinste Euphemismus. Dort gab es keine »Fehler«, sondern eine strategisch gezielte Anwendung von Gewalt, um linken Protest einzuschüchtern und zu stigmatisieren.

 

Diese Strategie ist aber längst nicht so aufgegangen, wie von den Behörden geplant. Zwar war es in den Tagen nach dem Gipfel kaum möglich, das Polizeiverhalten zu kritisieren. Die Medien folgten der Linie von Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz: Die Polizei habe »alles richtig gemacht und einen heldenhaften Einsatz zustande gebracht«. Wer diese »Helden« zu kritisieren wagte, wurde umgehend als Sympathisant eines imaginierten mordlüsternen linksextremen Mobs dargestellt.

 

Es wurde geholzt, was geht, bis hin zur Gleichsetzung der »linken Chaoten« mit Nazis und Dschihadisten: »Linksextremer Terror in Hamburg war widerwärtig und so schlimm wie Terror von Rechtsextremen und Islamisten«, twitterte etwa Kanzleramtschef Peter Altmaier. Auch andere Politiker bliesen in dieses Horn und nahmen damit eine gefährliche Verharmlosung von Mördern vor, die mit LKWs in Menschenmengen hineinrasen wie auf dem Weihnachtsmarkt in Berlin oder die durchs Land ziehen, um Migranten zu ermorden, wie es die NSU-Terroristen getan haben, oder Brandsätze auf Asylunterkünfte werfen, wie es in Deutschland immer wieder geschieht.

 

Ins Spiel gebracht wurden sogleich weitere Gesetzesverschärfungen: Justizminister Maas fordert eine europaweite Linksextremisten-Datei – als seien nicht vor dem Gipfel schon etliche Personendaten ausgetauscht worden. Innenminister de Maizière legte nach und will potentiellen Demo-Gewalttätern elektronische Fußfesseln anlegen, um Aufenthaltsbeschränkungen zu überwachen.

 

Diese Forderungen zeigen an, welche Tendenz die politische Debatte in Deutschland annimmt: Es genügen ein paar Bilder von brennenden Autos, um die Polizei zu heroisieren und den Ruf nach einem stärkeren Staat zu unterstreichen. Während Bilder von prügelnden Polizisten, die es massenweise gab, kaum Besorgnis über den Zustand der Grundrechte auszulösen vermögen, werden einzelne Ausschreitungen von Nicht-Uniformierten zum Anlass genommen, nach weiteren Grundrechtseinschränkungen zu rufen.

 

Es gibt aber auch eine gute Nachricht: Die Hetze gegen die »Chaoten« hat es nicht vermocht, die Zehntausenden von Demonstrantinnen und Demonstranten zu spalten. Es gibt auch keine weit verbreitete »Distanzeritis« – mit einigen Ausnahmen, darunter leider auch Vertreter der Linkspartei. Im Großen und Ganzen aber haben sich die Gipfelgegner nicht irre machen lassen: Weit über 70.000 demonstrierten am 8. Juli gemeinsam. Im Schanzenviertel kamen zwei Wochen nach dem Gipfel mehr als 1000 Anwohner, Gewerbetreibende und Interessierte zu einem Gespräch mit den Demo-Organisatoren zusammen. Die mussten sich zwar vielen kritischen Fragen stellen, aber am Ende brandete Beifall auf, als ein Redner davon sprach, die weitere Existenz der Roten Flora im Kiez dürfe nicht in Frage gestellt werden.

 

Zudem zeichnet sich inzwischen ab, dass auch viele Journalisten beginnen, kritische Fragen zu stellen, und die Gewalt der Polizei thematisieren. Dazu haben sie auch einigen Anlass, schließlich wurden auch etliche Fotojournalisten verprügelt, und die Willkür des Bundespresseamtes beim Entzug der Akkreditierung für 32 Journalisten muss eine freie Presse ebenfalls zum Anlass nehmen, ihre Rechte zu verteidigen.

 

Die Strategie, antikapitalistische Proteste durch teils bestellte, teils dramatisierte Krawall-Bilder zu diffamieren und zu spalten, ist nicht aufgegangen. Das macht Mut für weitere Kämpfe.