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Felicidades Comandante!  (Volker Hermsdorf)

»Bald werde ich neunzig Jahre alt sein, das hätte ich nie gedacht, es geschieht nicht als Ergebnis einer Anstrengung, es ist reiner Zufall.« (http://de.granma.cu) Fidel Castro Ruz, seit seiner Jugend Anführer der Kubanischen Revolution, sprach mit ruhiger Stimme. Seine Augen waren wach und klar, sein Verstand und die Erinnerung ungetrübt, doch der Körper von Alter und Krankheit gezeichnet. Eintausend Delegierte des VII. Parteitags der Kommunistischen Partei Kubas hingen am 19. April 2016 im Kongresspalast von Havanna an den Lippen ihres Comandante en Jefe. Es war still im Saal. Mit fast angehaltenem Atem und Tränen in den Augen hörten viele Fidel zu, als er in seiner kurzen Rede zurückblickend einige Stationen seines bewegten Lebens aufzählte.

 

Kein Revolutionär, kein Staatsmann, kein heutiger Politiker hat sein Leben so oft wie Fidel Castro für das, wovon er überzeugt ist, riskiert. Als junger Student in Havanna marschierte er in der ersten Reihe der Protestdemonstrationen, bei denen hunderte Kommilitonen von Polizisten des Diktators Fulgencio Batista erschossen wurden. Am 26. Juli 1953 führte er den legendären Sturm auf die Moncada-Kaserne in Santiago de Cuba an, der zwar militärisch scheiterte, trotzdem aber als Startsignal für die Revolution gilt. Fidel überlebte, wurde angeklagt und hielt am 16. Oktober 1953 seine berühmte Verteidigungsrede »La historia me absolverá« (Die Geschichte wird mich freisprechen). In ihr entwickelte er bereits die Grundzüge eines Regierungsprogramms der Rebellen. Seine Forderung nach freiem Zugang zu Bildung und Kultur, einem freien Gesundheitssystem und sozialer Sicherheit für alle, auch für die arme Mehrheit der kubanischen Gesellschaft, ist weitgehend bekannt. Doch angesichts der diktatorischen Regime in Lateinamerika, ging es Fidel nicht nur um das Los der eigenen Bevölkerung. Er forderte, »dass jene, die von den blutrünstigen Tyrannen, die unsere Brudernationen unterdrücken, verfolgt werden, im Lande Martís nicht wie bisher Hunger und Verrat erfahren, sondern Brot, Asyl und Brüderlichkeit finden sollen. Kuba sollte die Bastion der Freiheit sein und nicht ein beschämendes Mitglied in der Gemeinschaft der Gewaltherrschaften«. (Castro, Fidel: »Die Geschichte wird mich freisprechen«, übersetzt von Barbara Köhler, Berlin 2009, S. 41)

 

Nach einer Amnestie bildete Fidel im mexikanischen Asyl mit seinem Bruder Raúl, dem argentinischen Arzt Ernesto »Che« Guevara und anderen jungen Gefolgsleuten den Kern der Guerilla. Wieder riskierten er und seine Gefährten ihr Leben, als sie nach einer halsbrecherischen Überfahrt mit der betagten Motoryacht »Granma« am 2. Dezember 1956 an der Südküste Kubas landeten und in den Bergen der Sierra Maestra den bewaffneten Kampf gegen die Truppen des Diktators Batista aufnahmen. Dort im Osten Kubas saßen damals die Kinder in den wenigen Landschulen barfuß, halbnackt und unterernährt im Unterricht. Mehr als die Hälfte der Kinder im schulpflichtigen Alter besuchte überhaupt keine Schule, und rund neunzig Prozent der Landkinder waren von Parasiten befallen. Jedes Jahr starben Tausende Kinder an den Folgen der Armut, zu der sie verurteilt waren, weil ihre Eltern kein Land besaßen, auf dem sie etwas hätten anbauen können.

 

Gut zwei Jahre nach Landung der Granma plünderte Batista die Staatskasse und floh außer Landes. Rund zwanzigtausend Kubaner waren seinen Schergen zum Opfer gefallen und – teilweise nach grauenhaften Folterungen – ermordet worden. Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland, die Fidel Castro – im Gegensatz zur DDR und der Schweiz – nie besuchte, störten die Gräueltaten des Diktators jedoch nicht. Fulgencio Batista war vor seiner Flucht noch im Jahr 1957 mit dem höchsten Orden, den das Land zu vergeben hat, der »Sonderstufe des Großkreuzes des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland« ausgezeichnet worden. Fidel hätte diesen Orden niemals erhalten. Der Internationale Lenin-Friedenspreis, mit dem er 1961 ausgezeichnet wurde, der Große Stern der Völkerfreundschaft der DDR (1972) und der 2014 verliehene Konfuzius-Friedenspreis waren vermutlich eher nach dem Geschmack des Comandante.

 

Die deutsche Bundesregierung blieb Fidel und seiner Rebellenregierung auch nach dem Sieg der Revolution auf den Fersen. Der Hitler-Offizier und erste Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND), Reinhard Gehlen, nannte Kuba 1960 eine Bedrohung und forderte, dass »Washington dieser mit einem militärischen Präventivschlag begegnen« solle (Hechelhammer, Bodo (Hg.): »Der Bundesnachrichtendienst und die Kuba-Krise – Dokumente aus den Akten des BND«, Berlin 2012). Auch Bundeskanzler Konrad Adenauer verlangte 1962 – auf den Rat seines Kanzleramtschefs Hans Globke, Mitverfasser der Nürnberger Rassengesetze – von den USA den Einsatz militärischer Mittel gegen Kuba. Das Misstrauen galt der siegreichen Revolution auf der fernen Insel in der Karibik und vor allem ihrem Anführer Fidel Castro.

 

Bis heute erinnern die oft verzweifelt wirkenden Schmähungen seitens der Konzernmedien- und Politikwelt an Brechts »Lob des Kommunismus«: »Die Schmutzigen nennen ihn schmutzig« und »die Ausbeuter nennen ihn ein Verbrechen. Wir aber wissen: Er ist das Ende der Verbrechen.« Und weil das so ist, planten CIA und andere US-Dienste hunderte Attentate auf Castro. Doch der kubanische Revolutionsführer überlebte die Mordversuche derer, die ihn wie keinen anderen hassen. Dabei ist es nicht Fidel, der polarisiert, die Verhältnisse sind es. Verhältnisse, in denen – wie Karl Marx es ausdrückte – »der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist, Verhältnisse, die man nicht besser schildern kann als durch den Ausruf eines Franzosen, bei einer projektierten Hundesteuer: Arme Hunde! Man will euch wie Menschen behandeln!« (MEW, Bd. 1, S. 385)

 

Fidels Gegner werden ihm über den Tod hinaus niemals verzeihen, dass er sich freiwillig und ohne Not auf die Seite der Armen und der »Verdammten dieser Erde« gestellt hat, im Sinne seines großen Vorbildes José Martí. Fidel ist das gelebte Beispiel dafür, dass sich jeder entscheiden kann, auf welche Seite er sich stellt. »Ich war kein Arbeiterkind, noch fehlte es mir an materiellen und sozialen Ressourcen, um ein relativ bequemes Leben zu führen. Ich kann sagen, dass ich wundersamerweise dem Reichtum entkommen bin«, schrieb er vor gut einem Jahr in einem Brief an die Mitglieder des Studentenverbandes. (http://de.granma.cu) Zweifelsohne wäre Fidel ein begabter und erfolgreicher Anwalt gewesen, der es Dank des Wohlstandes seines Vaters und guter Beziehungen nach bürgerlichen Vorstellungen »weit« hätte bringen können. Doch er verschmähte die glitzernden Straßenkreuzer, die schönen Frauen, die mondänen Bars und die Luxusrestaurants in Havanna. Fidel tauschte den Maßanzug gegen die olivgrüne Uniform des Guerilleros, die Lackschuhe gegen staubige Militärstiefel, das Parkett der Salons gegen die moskitogeplagten Berge der Sierra Maestra. Er zog es vor, lieber sein Leben im Kampf für das, was ihm eine gerechte Sache zu sein erschien, zu riskieren, als ein nutzloses Leben zu führen.

 

In seiner berühmten Verteidigungsrede im Moncada-Prozess hielt der damals Siebenundzwanzigjährige seinen Richtern, die ihn einen Träumer nannten, ein Zitat José Martís entgegen: »Der wahrhaftige Mensch schaut nicht, auf welcher Seite man besser leben kann, sondern welcher Seite man verpflichtet ist.« (Castro, op. zit., S. 51) In den folgenden dreiundsechzig Jahren seines Lebens ist Fidel diesem Prinzip treu geblieben. Mit seiner Sturheit hat er den Lauf der Geschichte des Landes, des Kontinents und der Welt verändert und bewiesen, dass eine andere Gesellschaft als die, in der er aufwuchs, möglich ist. Fidel gab und gibt damit ein Beispiel für die Veränderbarkeit der Welt. Dafür hassen ihn seine Feinde und dafür ehren ihn, der sagte, es sei ein »Privileg, Revolutionär zu sein«, die Ausgegrenzten, die Benachteiligten, die Verfolgten und Unterdrückten, kurz die »Verdammten dieser Erde«.

 

Fidel ist immer ein Realist gewesen. »Vielleicht ist es das letzte Mal, dass ich in diesem Saal spreche«, sagte er im April zu den Delegierten des Parteitags. »Bald wird es mir ergehen, wie allen anderen. Alle kommen wir an die Reihe, aber die Ideen der kubanischen Kommunisten verbleiben.« (http://de.granma.cu) Die Menschen im Saal erhoben sich, ihm und des Gesagten zu Ehren. Auf die Glückwünsche der Mächtigen, derjenigen, die sich dafür halten, und derjenigen, die ihnen nachlaufen, kann Fidel Castro zu seinem neunzigsten Geburtstag verzichten. Alle anderen sagen in diesen Tagen einfach nur respektvoll Danke und herzlichen Glückwunsch: »¡Felicidades Comandante!«

 

Am 14. August liest der Schauspieler Rolf Becker ab ca. 20.30 Uhr aus dem von Barbara Köhler übersetzten Buch Fidel Castros »Die Geschichte wird mich freisprechen«. Die von Cuba si organisierte Veranstaltung beginnt um 19 Uhr mit einem kubanischen Essen. Ort: Stadtteilladen Zielona Góra, Grünberger Straße 73, Berlin-Friedrichshain.