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Titel1709

Der Ehrenbürger  (Diether Dehm)

Der Ehrenbürger der Stadt Frankfurt am Main, Dr. Dr. h.c. Hermann Josef Abs, hatte einen besonders warmherzigen, festen Blick. Als Funktionsträger der SPD und zeitweiliges Mitglied des Frankfurter Magistrats durfte ich ihm häufig bei Empfängen über den Weg laufen. Von ihm, besonders wenn er mir, dem radikalen Juso, väterlich zuzwinkerte, war ich angezogen. Der Bankier war, das spürte ich, höhergestellt als wir Sozialdemokraten, die wir uns per Wahlen hochzukämpfen hatten. Bezeichnend für ihn war sein Schmunzeln: das Schmunzeln des Vermögenden, und sein Händedruck war für mich der Inbegriff von Ausgeglichenheit eines ehrlichen Kaufmanns, eines Vollmachtnehmers, der mit dem Eigentum Fremder getrost mandatiert werden durfte. Unser Ehrenbürger war, wie die Frankfurter Rundschau einst schrieb, »die Credibility in Person«. Und die vertrauenerweckend langen Augenwimpern (die das Pony vom Hai unterscheiden) wurden zwinkernd zur eigenen Sprache.

Oft habe ich mich gefragt, warum bei Verkündung von Tarifabschlüssen im Fernsehen die Arbeitgeber immer souveräner »rüberkommen« als die Gewerkschafter. Vor mir stand die Antwort. Dementsprechend malte ich mir aus, wie er einem jüdischen Hausbesitzer, der mit flackernden Augen in des Bankiers mildes Gesicht fragte, bevor er sein Deutschland Richtung Amerika verließ, einen fairen Preis für die Immobilie bot – bei einer Tasse Earl Grey.

Viele meiner SPD-Genossen sprachen voller Hochachtung von ihrem Frankfurter Ehrenbürger: Er sei durchaus auch »e bissie brogressiv, en eschte Gentleman«. Ein Frankfurter IG-Chemie-Mann nahm mich, als ich Abs zum ersten Mal sah, beschwichtigend zur Seite »Des is’n ganz feine Kell, en rischtisch feine Kell. Wenn de mit dem was aasmachst – handdruff, dann leeft des. Unn isch sach dir aans: der hat auch schon ema SPD gewählt, kannst mäs glaabe, wie de Albert Speer. Der Speer hat in saam Gefängnis sowieso nix anners gewählt wie wo unser SPD!«

Diese Gentlemen darf man sich nie als Fanatiker vorstellen. Sie antizipierten nur die Kompatibilität von Faschismus und Liberalismus, Berlusconi und Fini in einer Person. Hitler nannte sich 1934 vor Bankiers »wirtschaftlich einen Liberalen.« Alfried Krupp, der am 15. April 1946 von einem amerikanischen Offizier in Recklinghausen verhört wurde, führte aus: »Wir Kruppianer haben uns niemals viel um Menschen gekümmert. Wir wollten nur ein System, das gut funktionierte und das uns eine Gelegenheit gab, ungestört zu arbeiten. Politik ist nicht unsere Sache … Als ich über die antijüdische Politik der Nazis befragt wurde und was ich davon wüßte, sagte ich, daß ich nichts von der Ausrottung der Juden gewußt habe. Und weiterhin das: Wenn man ein gutes Pferd kauft, muß man ein paar Mängel hinnehmen.« Das »gute Pferd« waren die Gewerkschaftsverbieter und Lohnpresser der NSDAP-Führung.

Die, die Adolf Hitler an die Macht gebracht oder, wie Abs, gestützt haben, die Häuptlinge der Firma Degussa in Frankfurt zum Beispiel, die das Raubgold der Juden einschmolzen, um es zu vermarkten, betonten später stets, daß sie mit den Nazis nichts im Sinn hatten. Sie konnten nicht verstehen, daß mancher amerikanische Richter den Kopf schüttelte, als sie erklärten, es ginge doch wirklich nur um Rendite. Wer sich keine Mühe gab (und warum hätte sich Abs ausgerechnet diese Mühe geben sollen), bekam Berichte wie den vom 31. Mai 1943 des Strafanstaltsverwalters Günther gar nicht zu Gesicht: »… wurden bei den eingelieferten deutschen und russischen Juden die Goldbrücken, -kronen und -plomben ausgezogen bzw. ausgebrochen. Dies geschieht jedes Mal ein bis zwei Stunden vor der betreffenden Aktion … Es wurden seit dem 13. April 43.516 deutsche und russische Juden erledigt.«

Der Rechercheur Eberhard Czichon (»Wer verhalf Hitler zur Macht?«) schreibt über Abs: »Nach seinen geheimen Goldgeschäften im Auftrage Görings in Schweden bekamen die Deutsche und die Dresdner Bank 1941 die Genehmigung der Reichsbank, Gold aus ihren geheimen Beständen im neutralen Ausland zur Devisenbeschaffung für die Finanzierung der deutschen Rüstungsindustrie sowie für geheimdienstliche und diplomatische Operationen einzusetzen. Das so für den deutschen Expansionskrieg zu verscherbelnde Gold hatte drei Quellen: Erstens war es ›Beutegold‹ aus den Beständen der Notenbank Österreichs, der ÈSR und anderer von der Naziwehrmacht okkupierter Länder, namentlich Belgiens und Hollands… Zweitens handelte es sich um ›Raubgold‹, das aufgrund widerrechtlicher Verordnungen vorwiegend von Juden konfisziert wurde… Drittens war es »Opfergold«. Hier handelte es sich um Gold, das ermordeten oder überlebenden Opfern der Ghettos, Konzentrations- und Vernichtungslager geraubt wurde. Es stammte aus Aktionen der SS, die Goldschmuck, Goldmünzen und Zahngold plünderte.«

Es ist das nüchterne Kalkül, frei von jeder totalitären Glaubensrichtung, das einen schmunzelnden Kalkulierer mit warmen Augen sich fragen läßt: Wenn man schon den Mord nicht verhindern kann, warum soll denn dann auch so wertvolles Gold noch mit in die Grube sinken?

Bei der Gründung der Continentalen Petroleum AG schrieb Abs einen Aktenvermerk, dessen kühle Logik heute wohl auch in Spiegel, Zeit und FAZ, der Bertelsmann-Stiftung sowie in der EU-Kommission viel Freude auslösen dürfte: »Für die Betätigung im Ausland legt sich die neue Gesellschaft keinerlei Beschränkungen auf … Wie bekannt, sollen die an der Mehrheit fehlenden Aktien am freien Markt in Frankreich und Belgien durch uns erworben werden … Es bestehen aussichtsreiche Verhandlungen der IG Farben mit Standard Oil über die ungarischen Petroleumfelder, deren Gesamtwert von der Standard Oil auf 30 Mio £ geschätzt werden, die Übernahmebemühungen erstrecken sich auf die Mehrheit dieses Besitzes …«

In einem Vortrag »Aktive Kapitalpolitik« führte Hermann Josef Abs als Vorstandsmitglied der Deutschen Bank in einer Veranstaltung des Deutschen Instituts für Bankwissenschaft und Bankwesen e.V. am 25. Oktober 1940 aus: »Haben wir also nach dem Kriege mit einer so hohen Anspannung unserer kapitalmäßigen Leistungskraft zu rechnen, so könnte das die Frage aufwerfen, ob demgegenüber überhaupt eine deutsche Kapitalausfuhr ernsthaft zum Gegenstand der Erörterung gemacht werden kann … Typisches Beispiel sind immer wieder die südosteuropäischen Agrarländer… Leistungsfähigkeit… setzt aber immer wieder… Anschaffung von Maschinen voraus… wie den Ausbau der Verkehrswege… Der Clearingsaldo wird in die Form von… Anleihen gebracht und vom Partner in… Warenlieferungen… verzinst und zurückgezahlt… Einen Teil dieser Auslandsanlagen wird Deutschland mit der Wiedergutmachung des Versailler Unrechts zurückerhalten. Können wir aber dabei stehen bleiben oder… uns systematisch an der Industrialisierung der Rohstoffländer beteiligen?... Meine Herren, die Zukunftsaufgaben deutscher Kapitalpolitik sind… von ungeheurem Reiz und großer Spannweite.« Bei diesem Vortrag muß er in die Runde gezwinkert haben, treu und fest, mit jedem Einzelnen in der ersten Reihe Aug in Auge.

Nach dem Krieg sprach Abs immer wieder von dem Bedauern, das er auch in den Unterschrifts-Umlaufmappen am Rande vermerkt haben will. Dieses Bedauern muß sehr leise gewesen sein, leiser als das des gedemütigten Eugen Bandel bei der Karstadt-»Arisierung«, an dessen Stelle er in den Aufsichtsrat einziehen durfte. Jedenfalls setzte er sein Kürzel unter die Aktennotizen, auch in seiner Aufsichtstätigkeit bei der Deutschen Gesellschaft für Schädlingsbekämpfung (Degesch), die das Zyklon B herstellte. Er soll sich gewundert haben, wo das plötzliche Umsatzplus herkam, machte aber den Krieg für die Zunahme der zu bekämpfenden Flöhe und Läuse verantwortlich.

Abs war nicht für den Raub jüdischen Eigentums. Aber wie die Dinge nun mal lagen, wollte er wenigstens sein Geschäft damit machen. Also deklarierte er seinen Anteil am Raub als »Hilfe für die Bedrängten«, und viele der bedrohten Juden waren davon überzeugt, das Eigentum in seine »treuen Hände« gegeben und wenigstens noch etwas Geld dafür erhalten zu haben. Nein, Abs war kein Antisemit. Nach dem Krieg verkörperte er geradezu die Wiedergutmachung und machte auch daraus Gewinn.

Abs gehörte zu denen, die – nach Vorlage genauer Lagepläne für den Ausbau des KZ Auschwitz über die Filiale Kattowitz seiner Deutschen Bank – den entsprechenden Kredit zur Verfügung gestellt hatten. Dort war Abs ebenso Drahtzieher wie im Aufsichtsrat der IG Farben, die 1941 beschlossen, in Auschwitz-Monowitz die weltgrößte Anlage zur Herstellung synthetischen Gummis und Benzins zu errichten. Er kontrollierte auch den Vorstand des Mechanikwerks Rochlitz, der in Auschwitz, Buchenwald, Ravensbrück und Bergen-Belsen durch Sklavenarbeiter reich und reicher wurde, die überwiegend von Wassersuppe lebten. Wenn es nach ihm gegangen wäre, wäre mit Sicherheit das eine oder andere Bröckchen Speck mehr in die Wassersuppe gelangt. Aber schließlich konnte er sich ja nicht um alles kümmern. Bei der SchlesAG, beim VGF-Konzern, bei der Pittler AG und beim Solvay-Konzern kümmerte er sich um viele Einzelheiten, aber nicht ums Völkerrecht oder um die Zustände in den Lagern. Es war eben Krieg. Vor alliierten Richtern führte er aus: »Ein Krieg braucht Geld, Geld und noch einmal Geld. Und wir haben es besorgt.« Im Windschatten der Wehrmacht schlüpfte Abs – ruhig und elegant – im Namen der Deutschen Bank in die Führungsetagen der zentralen Finanzinstitute der besetzten Länder, um diese einzuverleiben und mit ihnen deren Industriebeteiligungen. In den letzten zwei Kriegsjahren, als seine Frankfurter unter den Bomben lagen, verdreifachte er seine Aufsichtsratsposten – zum Beispiel bei der Vereinigten Glanzstoff AG, in deren Werk Elsterberg aus der UdSSR verschleppte Kinder arbeiten mußten.

Erst 1999 veröffentlichte die Deutsche Bank aus ihren Archiven den sogenannten »Goldbericht«, der Abs als Helfershelfer beim Raub des Blutgolds enttarnte. Auch die Mitwirkung beim Bau von Auschwitz gab die Deutsche Bank erst 1999 zu, nachdem der DDR-Autor Czichon schon jahrzehntelang unabweisbare Belege dafür vorgelegt hatte.

Das »Office of Military Governance for Germany, US« (OMGUS) verlangte nach dem Krieg, »die Deutsche Bank zu zerschlagen und die Verantwortlichen vors Kriegsgericht zu stellen«. Aber Roosevelt starb, der Kalte Krieg begann, und Konrad Adenauer holte nicht nur den Mitautor der Nürnberger Rassengesetze, Hans Maria Globke, als Staatssekretär, sondern auch Hermann Josef Abs als Berater in seine Nähe. Bei der Deutschen Bank, die ebenso wie die Dresdner Bank (die SS-Bank) schon nach drei Jahren wieder unbehelligt und steuerbegünstigt agieren durfte, wurde Abs Vorstands- und dann Aufsichtsratsvorsitzender.

Aber haben wir nicht aus der Geschichte gelernt? Damit uns sowas, nämlich ein totalitäres System, nie wieder passiert? Wir haben doch die Symbole des DDR-Unrechtstaats vom kleinen Stadttheater bis zum großen Palast der Republik mit Stumpf und Stil aus dem Boden gerissen! Den Bankiers – im Unterschied zu roten Überzeugungstätern – darf durchaus öffentlich zugute gehalten werden, daß ihre kriminelle Energie nie an ideologische Glaubensgrundsätze und ethische Fanatismen geknüpft war. Sie war nur verbunden mit der kühlen Kalkulation vorgeschossenen Kapitals.

So generierten sie aus Krediten und steuerverkürzenden »Finanzprodukten« einen eigenen Geschäftszweig mit Gewinnmargen bis zu 30 Prozent. Ihre über 3000 Lobbyisten hatten in den 1980er/1990er Jahren die roten und schwarzen Rathäuser in Westdeutschland unter medialem Geleitschutz von Spiegel, Zeit und FAZ geradezu überrannt, bis dort die Kommunalbeamten den hinhaltend sozialideologischen Widerstand einstellten und öffentliche Einrichtungen zu Konditionen der Deutschen Bank zu privatisieren begannen. Schröder/Fischer nannten das später die »Agenda 2010«. Als Frankfurter Magistratsmitglied durfte ich staunend miterleben, wie die frühen Schröder-Fans (und Lafontaine-Feinde, also die »neue Mitte« in der Frankfurter SPD) jeweils einen Lobbyisten der Deutschen Bank in Jeans und Rolli gar zu SPD-Tagungen mitnahmen, der dann über »sale-and-lease-back« und andere Privatisierungsstrategien gegen Einrichtungen öffentlicher Daseinsvorsorge referieren durfte. Der Ehrenbürger drehte derweil das ganz große Rad der Deregulation.

Die vormaligen Gentlemen des Grauens wurden die großen Steuermänner der freiheitlichen Grundordnung, und Abs blieb ihr Pate. Unter seiner Führung geschah schließlich alles, um erneuerbare Energie auszubremsen und nur fossile wie atomare Energieumwandlung zu forcieren (s. Hendrik Paulik, Robin Wood: »Die Deutsche Bank – Manager der Klimakatastrophe«). Mit ihren Aufsichtsratsmehrheiten bei solchen Konzernen wie Daimler haben sie für Rüstungstechnologie und die Spritschlucker der E-Klasse gesorgt und ökologische Alternativen so lange als möglich zurückgedrängt. Es gibt kaum eine Katastrophe (ob Hitler-Regime oder Klima-Erhitzung bis zum Finanz-Tsunami 2009), an denen die kühl und nüchtern kalkulierende Deutsche Bank unbeteiligt geblieben wäre.