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Titel1709

Bankenmacht und Demokratie  (Hans See)

Die Deutsche Bank, so war kürzlich zu lesen, habe im zweiten Quartal 2009 rund 1,1 Milliarden Euro verdient, vor allem mit dem Anleihegeschäft. Das Analysehaus Independent Research meldete: »Die Deutsche Bank ist ein Gewinner der Krise.« Der Internet-Newsletter MM News knüpfte daran den Kommentar: »Während sich Joe (Joseph Ackermann) Geld bei der EZB für 1 % leiht, verleiht er es an Unternehmen nur noch zu 10 % und mehr weiter. Mit einer derartigen kriminellen Ausbeutung kann selbst der dümmste Banker Gewinne machen.« Überschrift: »Deutsche Bank: Banking jenseits der Sargzone«.

Das klingt kritisch. Ist es auch. Aber es ist Kritik aus den Schubladen »Systemimmanenz« und »Babylonische Sprachverwirrung«. Hier wird nicht etwa der Kapitalismus attackiert, sondern seine Anwendung durch die Deutsche Bank, und die Qualität der Beurteilung der geschilderten Geschäftspraxis liegt nicht über Stammtischniveau.

Zuerst wird festgestellt, die Deutsche Bank habe im zweiten Quartal 2009 rund 1,1, Milliarden »verdient«. Dann wird sie »als Gewinner der Krise« bezeichnet, was die Frage aufwirft, ob ein Gewinner das »verdient« hat, was er gewinnt. Dann wird gesagt, wie der Verdienst gewonnen wurde, nämlich durch bei der Europäischen Zentralbank billig geliehenes und an die Bankkunden teuer verliehenes Geld. Und nachdem wir also erfahren haben, wie man bei einer renommierten Bank in der Krise Milliarden verdient, wird plötzlich von »krimineller Ausbeutung« gesprochen.

Hier werden gleich drei völlig verschiedene Werturteile geliefert. Wer das Zitat aufmerksam liest, muß sich fragen, ob die Bank nach Ansicht des MM News-Autors Artur P. Schmidt die Milliarde verdient, gewonnen oder ergaunert hat. Denn nur jeweils eine der Bewertungen kann Geltung beanspruchen. Zwei davon müssen falsch sein. Richtig ist, daß die Deutsche Bank diese Milliarde nicht »verdient«, sondern, das wäre der korrekte Begriff, erwirtschaftet hat. Daß sie mit diesem Geschäft zu den Krisengewinnern gehört, ist nicht falsch, aber von geringem Informationsgehalt. Jeder weiß es. Falsch ist, daß es sich um »kriminelle Ausbeutung« handelt. Denn diese Art, Gewinne zu erwirtschaften, ist – auch wenn sich ein Rest von Gerechtigkeitssinn, den die neoliberale Gehirnwäsche übrig gelassen hat, dagegen auflehnt – völlig legal, Handelskapitalismus pur. Hier wird freilich nicht mit Kartoffeln, Autos oder Immobilien, sondern mit Geld gehandelt. Jemand kauft Geld und verkauft es weiter. Er zahlt für die Ware ein Prozent und verlangt vom Käufer zehn und mehr Prozent Zinsen. Der Zins ist nämlich nichts anderes als der Preis für Geld. Altmodisch ausgedrückt: Hier wird ein ganz normales Geschäft getätigt; es begann mit Glasperlen gegen Sklaven, es setzte sich fort mit Arbeitskraft gegen Hungerlöhne, und es hat nun das Stadium erreicht, in dem es ertragreicher ist, Staatshilfen abzugreifen und sie in das ganz alltägliche Wuchergeschäft des Kredithandels einzuschleusen.

Newsletter-Autoren, überhaupt Journalisten und Publizisten, die über Nacht zu Bankenkritikern avancieren, sollten sich doch einmal etwas genauer mit Banken und – wenn sie schon über »kriminelle Ausbeutung« schreiben möchten – mit dem »Bankenbanditismus« befassen, wie Bankenkritiker Jean Ziegler die meist geschickt zwischen Legalität, Illegalität und Kriminalität wechselnden Bereicherungspraktiken im finanzkapitalistischen Kreditwesen bezeichnet.

Bestimmte Banken, das haben wir von unserer derzeitigen Bundesregierung gelernt, sind systemrelevant. Andere nicht. In den USA haben in letzter Zeit über 70 Banken, auch sehr große, dichtgemacht. Sogar die bedeutende Lehmann Brothers. Das hat Finanzspekulanten und Regierungen der ganzen Welt alarmiert und angeblich sogar die Krise ausgelöst. Was aber vor allem ausgelöst wurde, war die Panik, die nötig war, um eine neue Entlassungswelle und Lohnsenkungen durchzusetzen.

Die Geschichte des Kapitalismus ist eine einzige lange Kette von Finanz- und Spekulationskrisen, also Bankenkrisen. Die gewöhnlichen Geschichtsbücher schweigen darüber. Der Kleinsparer, Kleinanleger, Kleinkreditnehmer und Girokontoinhaber weiß in der Regel gar nichts über das Bankengeschäft. Er weiß nicht, was die Banken mit seinem Geld machen, und er hat auch keinen Einfluß darauf. Dieses Schalterkundengeld spielt bei den Großbanken sowieso nur eine untergeordnete, bei vielen Banken überhaupt keine Rolle. Noch schlimmer als dieses Unwissen des normalen Bankkunden ist, daß es ihn gar nicht interessiert, wie stark Gewerkschaften, Parteien, frei gewählte Abgeordnete, Regierungen, Staatsapparat, auch dessen Kontrollorgane, von denen wir erwarten, daß sie den Mißbrauch wirtschaftlicher Macht verhindern, also Banken und andere große Wirtschaftsunternehmen kontrollieren, in Wirklichkeit von eben den Wirtschaftsunternehmen, besonders von den Banken, kontrolliert werden.

Ich höre schon den Einwand, daß doch in den Aufsichtsräten, vor allem der Landesbanken, Politiker säßen, um demokratische Kontrolle auszuüben. Ja, sie sitzen dort, aber gerade sie sind es, die seit Jahren systematisch die staatliche Deregulierungs- und Privatisierungspolitik – im Auftrag dieser Banken – vorantreiben. Wenn diese Brandstifter sich jetzt – auf Geheiß der Bankenfürsten – als Feuerwehrleute, ja sogar – mit dem Segen der Banker – als Sozialisten aufspielen, die angeblich Banken, in Wirklichkeit aber deren Schulden verstaatlichen, damit das Geschäft weitergehen kann wie bisher, lassen sich diejenigen, auf die die Last abgewälzt werden wird, schon wieder auf den Leim locken.

Banken, zumindest die, die offiziell als systemrelevant gelten, sind die eigentlichen Schaltkreise der Macht-, Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnisse. In den demokratiefreien Chefetagen dieser »Finanz-Industrie«, die »strukturierte Finanzprodukte« herstellt und sie kleinen und mittleren Geldanlegern als kapitalgedeckte Altersversorgung, als dritte Säule des Alters- und Risikosicherungssystems andreht (in Wahrheit sind »strukturierte Finanzprodukte« ein Euphemismus für »faule Kredite«), wird, wenn es gut geht, am Wählerwillen vorbei regiert, wenn es kracht, auch gegen ihn. Das wäre selbstverständlich unmöglich, wenn sich die Bankenchefs nicht der vollen Unterstützung durch die als regierungsfähig geltenden Parteien sicher sein könnten.

Wir haben es also mit einer indirekten Diktatur zu tun. Die Gesetzgebungsorgane und der Staatsapparat sind – wenn auch auf schmaler Wählerbasis – demokratisch legitimiert. Aber angesichts der nahezu absolutistischen Herrschaft der Kreditinstitute über die Masse der Konsumenten, Autokäufer, Häuslebauer, über Kommunen, Länder, Staaten, über große Teile der Realwirtschaft, über Handelsketten und Anlagefonds sowie auch über die wichtigsten Daten, die ein Herrscher braucht, um die Kontrolle über die Gesellschaft ausüben zu können, dürfen wir und sollten wir von einer – hauchdünn legitimierten – kapitalistischen Demokratie sprechen.

In einem Wirtschaftssystem, das allen Tüchtigen, die es mit Begriffen wie legal, illegal, kriminell nicht so genau nehmen, Reichtum verspricht, muß diese Demokratie nicht abgeschafft werden. Vieles darf erlaubt bleiben, solange die Systemgrenzen der kapitalistischen Demokratie nicht in Richtung sozialistische Demokratie überschritten werden, zum Beispiel die sozialpartnerschaftliche durch eine kriminalpräventive Mitbestimmung ersetzt wird. Nur wer den Oberbefehl in der Großwirtschaft hat, vor allem in Kreditinstituten und Versicherungskonzernen, kann die Grenzen der Demokratie ungestraft überschreiten. Marx drückt es ganz lapidar aus: »Der Oberbefehl in der Industrie (auch der Finanzindustrie; H.S.) wird Attribut des Kapitals, wie zur Feudalzeit der Oberbefehl im Krieg und Gericht Attribut des Grundeigentums war.«

Wer erkannt hat, daß nicht der Staat zum Wohle der Allgemeinheit die Wirtschaft, sondern die monopolkapitalistische Wirtschaft den (möglichst verschlankten, deregulierten und teilprivatisierten) Staat kontrolliert, und wer sozialschädliche Geschäfte wie die der Deutschen Bank auf Dauer verhindern will, sollte nicht nur für mehr Demokratie im Staat, sondern vor allem für Demokratie in den wirklichen Machtzentralen unserer Zeit kämpfen.

Heute lassen sich die Regierenden die Gesetzentwürfe von der Privatwirtschaft produzieren. Auch dies sind »strukturierte Finanzprodukte«. Daß und in welchem Ausmaß sie faul sind, wird sich zeigen, wenn die nächste Regierung mit Merkel und Westerwelle sie anwendet. Vielleicht brauchen wir dann nicht nur Bad Banks, sondern auch Bad Parliaments. Oder brauchen wir sie nicht mehr, weil wir sie schon längst haben?