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In einem Kriegsmuseum  (Hartwig Hohnsbein)

London ist bekanntlich eines der wichtigsten Finanz- und Handelszentren der Welt. Mit seinen zahlreichen Theatern und Museen steht es in der Rankingliste der »Weltstädte für kulturelle Interaktion« 2009 sogar an erster Stelle. Bei den Museen wiederum ragt nach dem meistbesuchten British Museum das Imperial War Museum heraus, das, zusammen mit seinen fünf Außenstellen, jährlich fast 2,3 Millionen Besucher zählt. (Zum Vergleich: Das Pergamonmuseum ist mit seinen rund 1,1 Millionen Besuchern jährlich das meistbesuchte in Berlin, nach Neuschwanstein kommen jährlich etwa 1,3 Millionen Besucher). Das liegt wohl weniger daran, daß der Eintritt in die Welt der Kriege frei ist, der Hauptgrund für den starken Andrang dürfte vielmehr sein, daß Eltern ihre Kinder hier in jene Jahre des 20. Jahrhunderts hineinführen wollen, als England noch stark und siegreich und eben noch Weltmacht war.

Das Museum wurde 1917 gegründet und ist in einem sehr viel älteren Prunkbau in einem Park an der Lambeth Road untergebracht. Heinrich VIII. hatte das Gebäude 1547 der Stadt London als weltweit erste psychiatrische Anstalt zur Verfügung gestellt. Eine Inschrift über dem Eingang erinnert an diesen Blaubart unter Englands Königen.

Im geräumigen Atrium des Museums kann der Besucher Produkte des schrecklichen Wahns besichtigen, die Welt mit Waffengewalt zu unterwerfen: Kriegsgeräte und Erinnerungsstücke aus den beiden Weltkriegen. Die Eltern erklären ihren Kindern sachkundig und lösen damit immer wieder Begeisterung aus: Seht den Panzer, den General Montgomery fuhr; und da den »Devil«, den so erfolgreichen Tank, mit dem die »Fritzen«, die Deutschen, im 1. Weltkrieg so viele Schwierigkeiten hatten; dort: ein richtiges U-Boot mit Fernrohr, um den Feind zu erspähen; und dann, von der Decke herabgelassen, Flugzeuge, auch feindliche, also deutsche, die zum Sturzkampf auf London ansetzen; und mitten darin, hochaufgerichtet, eine unbeschädigt erbeutete »V-2«-Rakete.

Im Atrium wird an Verkaufsständen das angeboten, womit die Kleinen Kriege nachspielen können: Uniformen, Gewehre, Helme und vieles mehr vom Spielzeughersteller Airfix, der auch Computerspiele in seinem Sortiment führt, zum Beispiel kann der »Dogfighter« mit virtuellen Atombomben bestückt werden. Des weiteren gibt es Bücher zum Kriegsgeschehen. Begehrt sind die »Classic War Stories for Children«, aber auch »praktische Ratgeber« werden verkauft, darunter »Wie man verhindern kann, in einem Kriegsgebiet getötet zu werden«.

Die weiteren Abteilungen des Museums erstrecken sich über vier Etagen. In einer wird die »Militär- und Kulturgeschichte beider Kriege« mit Uniformen, Alltagsgegenständen aus jener Zeit und Beutestücken dokumentiert. Ein vielbestauntes Beutestück ist der bronzene Reichsadler von Hitlers Neuer Reichskanzlei. Eine andere Etage ist ganz dem Dritten Reich vorbehalten, ohne allerdings dessen industrielle Hintermänner zu zeigen, und dem Holocaust. Im Untergeschoß werden einige weitere Kriege des 20. Jahrhunderts dargestellt. Auf dem Gang zu den einzelnen Kriegskojen liest der Besucher Sinnsprüche zum Krieg, die ihn einstimmen sollen, zum Beispiel diesen, den der deutsche General Helmuth von Moltke aussprach: »War is a part of God´s creation.«

Nicht immer kann der Besucher der Geschichtskenntnis der Ausstellungsmacher vertrauen. Würde man ihnen glauben, so hätte der Vietnamkrieg damit begonnen, daß die »nordvietnamesischen Truppen in den Süden einmarschierten«, woraufhin »die USA Nordvietnam bombardierten« – als wüßten sie nichts vom »Tonkingzwischenfall«, den die USA erfanden, um losschlagen zu können. Zum Ende des Krieges heißt es: »1968 nahm US-Präsident Johnson ein nordvietnamesisches Angebot an, Friedensgespräche in Paris aufzunehmen, und beendete damit den US-Bombenfeldzug« – das Terrorbombardement seines Nachfolgers Nixon zu Weihnachten 1972 hat danach nie stattgefunden. Eine aufschlußreiche Begegnung mit anglo-amerikanischem Geschichtsunterricht.

Neuerdings soll der Unterricht zum Thema Krieg nicht mehr allein aus der Beschreibung von Schlachtfeldern und der Präsentation von Kriegsgerät bestehen, sondern Pädagogen und Schriftsteller sollen, wie das Museum selber seine »Mission« beschreibt, »den Menschen ein tieferes Verständnis vom modernen Krieg geben und wie er den Einzelnen und die Gesellschaft erschüttert«. Dazu findet in diesem Sommer in den Räumen des Museums ein »Literatur-Festival für Kinder« unter dem Thema »Es geschah zur Kriegszeit« statt, bei dem die Lieblingsschriftsteller der Kinder die »Klassischen Kriegserzählungen für Kinder« in Workshops und Lesungen aufbereiten und spielen lassen.

Höhepunkt dieser »Events« ist die Begegnung mit Michael Morpurgo, dem gegenwärtig bekanntesten Kinder- und Jugendbuchautor in England. Seinen Ruhm begründete das Buch von 1982 »War horse« (deutsch: »Schicksalsgefährten«). Darin schildert er die Greuel des Ersten Weltkrieges (wo auf den Schlachtfeldern neben den zehn Millionen Soldaten auch zwei Millionen Pferde in den Tod getrieben wurden) aus der Sicht des Kavalleriepferdes Joey – eine bewegende Erzählung, die in vielen Passagen geeignet ist, bei Kindern eine Antikriegshaltung entstehen zu lassen.

Seitdem hat Morpurgo weitere hundert Kinderbücher geschrieben, meist Bestseller, in denen ebenfalls viele Kriegserlebnisse verarbeitet sind. Doch sein Hauptwerk bleibt »War Horse«, das seit 2009 auch als Bühnenstück im »National Theatre« gespielt wird. Nach den Worten der Times ist es »das größte Theaterereignis des Jahrzehnts« und dient nun Steven Spielberg als Vorlage für einen Film, der Anfang 2012 in die Kinos kommen soll. Ob das tatsächlich ein »bewegender Antikriegsfilm« wird, sei dahingestellt, und ob Morpurgo mit seinen Lesungen im Imperial War Museum, diesem Tempel des Militärgottes, eine nachhaltige Antikriegshaltung bei Kindern erzeugen kann, ist fraglich - zu wünschen wäre das aber allemal!