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Titel1714

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Reinhard Müller, Redakteur »Zeitgeschehen« bei der F.A.Z. – In Ihrem Kommentar »Aus der Geschichte lernen« bringen Sie ein aufschlußreiches Zitat aus der Frankfurter Zeitung, auf deren Vorgängerschaft sich Ihr Blatt beruft. Kurz vor Beginn des Ersten Weltkrieges hieß es dort: »Wenn nicht im letzten Moment noch etwas Unerwartetes geschieht, ist der Krieg da, den niemand weniger gewollt hat und will als Deutschland und in den daher niemand mit so gutem Gewissen geht wie dieses.« Die damalige Situation, so knüpfen Sie an, sei »uns heute näher als noch vor einigen Jahrzehnten«, denn: »Für Moskau sind Krieg und Annexion wieder Mittel der Politik.« Anders als für den Westen, der die Gefechtslage noch nicht so richtig begriffen habe und deshalb sich schwer tue mit Sanktionen, vor allem aber auf »jede militärische Option lautstark verzichtet« habe. So wissen wir nun: Die NATO ist eine pazifistische Vereinigung und ihre Militärmanöver in der Nähe russischer Grenzen sind kein Säbelrasseln. Aber worin besteht die »Nähe« zwischen der Konstellation 1914 und der 2014, speziell im Hinblick auf den Osten? Wir können es, Ihrem Gedankengang folgend, zumindest ahnen: Damals wie heute ist es das Reich des Zaren, in dem das Böse lauert. Also bleibt der deutschen Politik das gute Gewissen, selbst wenn das kriegerische Treiben in der Ukraine einen größeren Krieg hervorruft. Die Zeitung, für die Sie arbeiten, zeigt sich besonders eifrig bei der Einstimmung auf eine militärische Option, selbstverständlich zum Zwecke der Verteidigung; diesmal sind nicht die »deutschen Grenzen«, sondern die »westlichen Werte« in Gefahr.

Joachim Gauck, bibelkundig. – Evangelische Pfarrer aus den neuen Bundesländern hatten Kritik an Ihnen geübt, wegen Ihrer Werbung für den geopolitischen Einsatz militärischer Mittel. »Pazifismus ist nicht der einzige vom Evangelium gewiesene Weg«, haben Sie erwidert, manchmal sei es eben erforderlich, »zu den Waffen zu greifen«. Das wirft die Frage auf, wie sich denn der Christ verhalten soll. In der Heiligen Schrift, sagen Sie, werden in dieser Sache verschiedene Wege aufgezeigt; welcher ist nun der richtige? Da hilft nur eines: Bundespräsidiale Wegweisung, ein Wort des staatlichen Hirten, sonst verirren sich die Schafe.

Renate Künast, Zwischenruferin. – Im Bundestag wurde über Karl Liebknecht debattiert. Soll er im Reichstagsgebäude eine Gedenktafel erhalten? Sevim Dagdelen von der Linkspartei legte in ihrem Diskussionsbeitrag dar, daß 1914 die meisten Abgeordneten der SPD dem Krieg Kredit gaben, weil sie ihn als »notwendigen Feldzug gegen den russischen Zarismus« ansahen, als »humanitäre Intervention«. Sie riefen dazwischen: »Sagt mal ihr Linken, was macht ihr da? Danach klagt ihr wieder, daß keiner mit euch reden will!« Eine Abmahnung, den Umgang mit Geschichte betreffend – Ihre Empfehlung: Historische Realitäten sind zu verschweigen, wenn deren Erwähnung einem aktuellen Koalitionskalkül hinderlich sein könnte. (In diesem Fall: einem unrealistischen.) Die Partei, in der Sie wirken, hat das längst begriffen.

Karl-Heinz Hansen (1927–2014), Antimilitarist. –
Als Bundestagsabgeordneter der SPD haben Sie es gewagt, gegen die NATO-Raketenrüstung zu stimmen. Auch mit Ihrer Kritik an den Berufsverboten machten Sie sich bei der Parteiführung unbeliebt. Ihr Ausschluß aus der SPD half manchem Jungsozialisten, Illusionen über diese Partei loszuwerden. Die tageszeitung rief Ihnen nach, Sie seien ein »moralischer Rigorist« gewesen. Wir behalten Sie als einen anständigen Menschen, als fröhlichen Spötter und guten Freund in Erinnerung. Jedes Jahr am 3. Oktober kamen Sie aus Bremen nach Berlin, um an unserer Nationalfeiertagsmatinee zum Gedenken an Carl von Ossietzky teilzunehmen. Die forcierte Militarisierung von Politik und Gesellschaft ist Thema der Matinee am 3.10.2014. Wir machen also weiter – nun leider ohne Sie.