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Titel1816

Salondamen der Revolution  (Monika Köhler)

 

Das neue Zeitalter war angebrochen, Leipziger Modejournal von 1843: »Mit der Cigarre hat die Schilderung der Frauen angefangen, womit wird sie aufhören?« Schon sei die »Alleinherrschaft des philosophischen Gedankens dem Manne entrissen. Wenn früher in den literarischen Kämpfen die schriftstellernden Frauen nur philosophisches Charpie zupften, so insurgieren sie jetzt, wie kühne Guerillas, ganze Provinzen im Reiche der Idee.« Die Emanzipation – war sie schon da? Die Frauen schrieben »nicht mehr blasse Entsagungsromane, zur Erholungslektüre für decente, glattgescheitelte nachmittags-Prediger, sondern kecke Novellen, vollblütig kichernd wie der Decamerone des Boccaccio«.

 

Eine Ausstellung im Hamburger Jenisch Haus, »Salonfähig – Frauen in der Heine-Zeit« (noch bis zum 23. Oktober, Vortragstermine im Begleitproramm s. www.jenisch-haus.de), in Kooperation mit dem Heinrich-Heine-Institut Düsseldorf und dem Heine-Haus in Hamburg: Dort lebten zwei Cousinen Heines, Töchter seines Onkels Salomon, Therese und Amalie. In diese, »Molly«, verliebte sich Heine unglücklich und begann, Gedichte zu schreiben. Doch 1827 schon war er desillusioniert, bekannte bitter, dass er im Begriff sei, eine »dicke Frau zu besuchen, die ich in elf Jahren nicht gesehen habe«. Im Salon der Rahel Varnhagen in Berlin hatte er inzwischen die Schönste von allen kennengelernt, Friederike Robert, eine Schwägerin der Rahel. Sie wurde von allen umschwärmt. Heine nannte sie die »Cousine der Venus von Milo« und widmete ihr das Gedicht »Auf den Flügeln des Gesanges« – von Mendelssohn vertont. Sie starb früh, 1832, und fehlt hier in der Galerie der Salonfrauen um Heine. Eine Notiz in der FAZ dieser Tage (6. August): »Heine-Institut kauft Handschrift«. Das Institut in Düsseldorf konnte ein lange verschwundenes Manuskript erwerben, den schon 1824 in Göttingen – in Schönschrift – verfassten »Sonettenkranz an Friederike Robert, geb. Braun«. Heine hat ihn erst 1844 unter dem Titel »Friederike« veröffentlicht. Die enge Verbindung Heines zum Varnhagen-Kreis wird durch die Handschrift dokumentiert. Vermisst habe ich auch Henriette Herz (1764–1847), die den Typus des »Berliner Salons« schuf.

 

In Hamburg lebten Heines Mutter Betty und seine Schwester Charlotte Embden – einige Briefe sind in der Ausstellung. Charlotte verhandelte für ihren Bruder mit dem Verleger Campe und empfing Heine-Verehrer. Sogar, nach seinem Tod, die Kaiserin Elisabeth von Österreich, die einen Kult um den Dichter schuf und sich seine Gedichte einverleibte. Sie glaubte, der Meister »dictiert«. Ein Denkmal auf ihre Initiative in seiner Geburtsstadt Düsseldorf? Den Juden Heine wollte man dort nicht. Auf Korfu, im Park ihrer Villa, fand die Skulptur ein Exil. Der deutsche Kaiser Wilhelm II., der die Villa nach Elisabeths Tod kaufte, ließ diesen Heine umgehend entfernen.

 

Fast alle Frauen, die in der Ausstellung und dem Begleitband (Morio-Verlag, 160 Seiten, 19,95 Euro) erwähnt werden, waren Schriftstellerinnen und kämpften für die weibliche Emanzipation. Ölbilder, Stiche und Aquarelle lassen sie und ihr Umfeld, den Salon, lebendig werden. Rahel Varnhagen empfing ihre Besucher in der »Dachstube« bei dünnem Tee und Butterbroten. Als »modern« dagegen gab sich Therese von Bacheracht, die in Hamburg lebte. Bei ihren Treffen wurden Koteletts und Bier gereicht. Sie rauchte Zigarren. Hosen trug die von Bacheracht nicht. Ihr Vater war russischer Gesandter. Ihre Konvenienz-Ehe mit einem Diplomaten war bald geschieden. Karl Gutzkow half ihr zu publizieren. Worüber schrieb sie? Über das, was sie kannte: über den Adel. Nicht nur ihr nützte die Freundschaft mit berühmten Männern, um Erfolg zu haben. Und es gab nicht nur Lobeshymnen in Zeitschriften. Auf einer Karikatur wird sie von Gutzkow als Zigarre geraucht. Später heiratete sie ihren Cousin Heinrich von Lützow und gab das Schreiben auf. Mit ihrer Freundin Fanny Lewald hatte sie den kranken Heine in Paris besucht. Den »schönen Falter Therese« nannte er sie.

 

Fanny Lewald war die wohl produktivste der Salon-Frauen. Sie wurde 1811 in Königsberg, in einer jüdischen Familie geboren. Als 19-jährige ließ sie sich taufen, was sie bald bereute. In Breslau lernte sie ihren Vetter, den Politiker und Demokraten Heinrich Simon kennen, in den sie sich unglücklich verliebte. Später zog sie nach Berlin und begann zu schreiben. Ihre Themen: die Emanzipation der Juden und der Frauen. 1847 entstand das – anonym herausgegebene – Romanfragment »Diogena«, eine Persiflage auf ihre Rivalin, die Gräfin Hahn-Hahn. Die hatte eine Affäre mit Simon. Es kam zum Skandal. 1854 heiratete Fanny den Publizisten Adolf Stahr. Sie besuchten beide viele Male Heine in Paris. Ab 1847 führte Fanny Lewald ihren eigenen Salon in Berlin. Dort, bei ihren geselligen Montagabenden, knüpfte ihr Neffe Theodor Lewald wichtige Kontakte als junger Jurist für seine Karriere im Kaiserlichen Staatsdienst. Was schließlich dazu führte, dass er als Initiator und Organisator der Olympischen Spiele 1936 verantwortlich wurde. Eine Information, die sich in den Anmerkungen versteckt. Eine weitere Fußnote nennt einen anderen Neffen Fannys, Wilhelm Gurlitt, den Urgroßvater des Kunst-»Sammlers« Cornelius Gurlitt. Fanny veröffentlichte 26 Romane, 43 Bände mit Novellen, 30 autobiografische Schriften, Reisebriefe und diverse Zeitungsartikel. Dort forderte sie eine Altersversorgung für Lehrerinnen, öffentlichen Schulbesuch für Mädchen, Asyl für Obdachlose. Sie schrieb über Frauen und das allgemeine Wahlrecht und: »Zehn Artikel wider den Krieg«. Sie starb 1889.

 

Am bekanntesten ist Rahel Varnhagen, 1771 in Berlin geboren. Ab 1800 bestand ihr Salon am Gendarmenmarkt und zog Künstler, Schriftsteller wie die Humboldts, die Schlegels, aber auch Militärs an. Der Salon wurde zum Treffpunkt aller freiheitlich Gesinnten und Vorurteilslosen. War es so? »Im Nachhinein kann jedoch auch ein zu idealisiertes Bild solcher geselligen Zusammenkünfte entstehen«, schreibt Beate Borowka-Clausberg in der Einführung zum Begleitband. »Sie sollen kein Brentano werden, ich leid es nicht«, ließ Rahel durch ihren Mann Karl August an Heine ausrichten. Was meinte sie damit? Es ist eine Anspielung auf Kränkungen, die sie als Jüdin von Männern wie Brentano erleiden musste. Die so freiheitlichen Romantiker waren oft Antisemiten. Achim von Arnim tat sich darin besonders hervor. In der deutschen Tischgesellschaft, die 1811 gegründet wurde und sich als ein Gegengewicht zu den – jüdischen – Salons verstand, waren die preußischen »Patrioten«, die keine getauften Juden aufnahmen, versammelt. Brentano gehörte dazu. Was wollte Rahel Varnhagen mit ihrer Warnung ausgerechnet an Heine? Dass er sich evangelisch taufen ließ, bedeutete gar nichts. Er arbeitete gleichzeitig am »Rabbi von Bacherach«. Rahel selbst war schon 1814, kurz vor ihrer Heirat mit dem Diplomaten Varnhagen von Ense, zum Protestantismus übergetreten. Nach Aufenthalten in Wien und Karlsruhe kehrten sie 1819 nach Berlin zurück, und es entstand ein zweiter Salon in der Mauerstraße, der bis in die 1830er Jahre hinein existierte. Nach Rahels Tod 1833 veröffentlichte ihr Ehemann die Tagebücher, Aphorismen und ihre etwa 6000 Briefe.

 

Der Ausstellungsband widmet Rahels Schwägerin Rosa Maria Assing, die in Hamburg lebte, große Aufmerksamkeit. Sie musste als Erzieherin eigenes Geld verdienen – nach dem Tod des Vaters. Wie schockiert ihre Bekannten waren, als sie erfuhren, dass Rosa Maria bei einer jüdischen Familie arbeiten wollte – sie schrieb es einer Freundin. Das war im damals dänischen Altona. Assing beherrschte die Kunst des Scherenschnitts, wohl von Philipp Otto Runge beeinflusst. Sie veröffentlichte auch eine Novelle und Lyrik und leitete ab 1811 in Hamburg eine Töchterschule. Sie heiratete den Mediziner David Assur, der als Jude nicht in Hamburg praktizieren durfte. Beide ließen sich taufen, änderten den Namen. Die Töchter Ludmilla und Ottilie schrieben beide und übersetzten. Ludmilla gab die Tagebücher von Varnhagen heraus, was ihr eine Haftstrafe einbrachte wegen »Verletzung der Ehrfurcht vor dem König«. In Hamburg, in der Poolstraße, führten die Assings einen Salon, wo auch Heine verkehrte.

 

Über die Gräfin Hahn-Hahn erfährt der Leser Skurriles. Einen Salon führte sie nicht. In ihren Roman »Faustine« ließ sie eigene Eheerfahrungen einfließen. Ihr Mann, auch Jockey, vergleicht Frauen und Pferde. »Die Weiber müssen gehorchen lernen auf den Wink, die geringste Bewegung.« Diese Ehe hielt nicht lange. Ida Hahn-Hahn tröstete sich mit dem Baron Adolf von Bystram. Karikaturen der beiden im Bilderroman »Tutu«. Die Gräfin ließ sich die Augen wegen ihres Silberblicks operieren. Und büßte dabei ihr linkes Auge ein. Heine dazu, boshaft: »Wenn sie [die Frauen] schreiben, haben sie ein Auge auf das Papier und das andere auf den Mann gerichtet.« Das gelte für alle, »mit Ausnahme der Gräfin Hahn-Hahn, die nur ein Auge hat.« Als Adolf von Bystram starb, zog sich Ida in ein Kloster zurück, das sie selbst gegründet hatte. Ein Bild von ihr als Nonne und ein Votivherz aus ihrem Schmuck sind ausgestellt.

 

Mit George Sand und Madame de Staël war Heine durchaus nicht immer einverstanden. In »Lutetia« porträtierte er die Sand, die als Raucherin in Männerkleidern berüchtigt war und eine Schar von Liebhabern hinter sich herzog. Das männliche Pseudonym – viele Schriftstellerinnen wählten es für sich als Schutz.

 

Madame de Staëls Buch »De l‘Allemagne« zeigte für Heine ein allzu positives Bild über die Deutschen. »Deutschland, das Land der Dichter und Denker« – Heine hatte es anders kennengelernt. Und auch die Frauen im Salon zeigten ein anderes Gesicht, als es ernst wurde mit der Revolution. Das enthüllt ein kurzer, in der Ausstellung fast versteckter Brief vom 22.9.1848. Therese von Bacheracht an Gutzkow über die »Barrikadentage von Frankfurt«: »Krank an dem Schrecken über die Vorfälle« saßen sie »am Teetisch versammelt, [Adolf] Stahr, Fanny, Otto Lewald. Später beruhigten wir uns in dem Gedanken, dass die energisch ergriffenen Maßnahmen die äußerste Linke [Robert] Blum, [Franz] Zitz und [Gustav Adolph] Schlöffel von ihren Irrtümern heilen und sie zur Notwendigkeit vernünftigen Betragens zwingen würden«. Ja, so schrieb die emanzipierte Dame: »Möchte es so sein! Jeder von uns will und ersehnt Freiheit, aber Freiheit in Ordnung.« Dreiundzwanzig Jahre später erstand aus Ordnung Blut und Eisen das Deutsche Reich.