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Titel1909

Der Wunsch nach dem Recht zu töten  (Volker Bräutigam)

»Willkommen zum Mittagsmagazin, das auch heute wieder alles Wichtige für Sie zusammengetragen hat ...«

ZDF-Nachrichtensendung am Montag, 7. September, 13 Uhr, Tag drei nach dem vom deutschen Obristen Klein angeordneten Bombenabwurf auf Mitmenschen in Afghanistan. Kriegsminister Jung hat längst konkrete Hinweise darauf, daß in deutschem Namen dutzende Zivilisten umgebracht wurden. Aber er und die gesamte Bundesregierung versuchen weiter den Schein vom Nichtkrieg und vom angemessenen Tod terroristischer Taliban zu wahren. Auch mit Hilfe des ZDF: »... denn die Untersuchungen sind noch nicht abgeschlossen. Trotzdem kursieren die unterschiedlichsten Darstellungen, und sie stützen sich auf nicht viel mehr als auf Spekulationen ...«

Im dergestalt anmoderierten ZDF-Filmbericht meldet freilich ein ZDF-Reporter aus Kundus, der zuständige Bezirksgouverneur spreche von 135 Toten, von vielen Zivilisten und von Kindern darunter. In den Krankenhäusern lägen dutzende Verwundete. Dazu sieht man Bilder schrecklich verstümmelter Kinder. Aber diesen Ansatz zu informativer Berichterstattung kontert die Mainzer Redaktion, indem sie einen Berliner Ministeriumssprecher behaupten läßt, die Bundeswehr verfüge nicht über »konsolidierte Facts« hinsichtlich ziviler Opfer des Bombenangriffs.

Zugeschaltet aus Berlin wird der Sprecher des Deutschen Bundeswehrverbandes, Wilfried Stolze, der es merkwürdig findet, »daß uns vorgeworfen wird, wir hätten dort Menschenleben in Gefahr gebracht aus der Zivilbevölkerung. Das ist undenkbar. Der deutsche Kommandeur vor Ort hat richtig gehandelt.«

Auf Nachfrage: »Können Sie sich erklären, warum nun gerade von den Amerikanern so scharfe Kritik kommt?« meint Stolze: »Das ist nicht nur unfair, das ist unverschämt, das gehört sich unter Partnern nicht ..., wir sollten uns gerade jetzt im Bundestagswahlkampf da nicht in so eine Diskussion hineinbegeben, äh, wie gesagt, das muß auch die Bundesregierung, das muß auch die Kanzlerin hier sehr scharf zurückweisen. Diese Attacke – auch auf den deutschen Verteidigungsminister – die ist völlig überflüssig.«

Verständnisinnig fragt die ZDF-Redakteurin weiter, ob es nicht verwunderlich sei, »daß sogar die Washington Post unter Berufung auf das NATO-Untersuchungsteam offensichtlich ganz andere Informationen hatte als der Bundesverteidigungsminister. Wie kann es sein, daß« (sie lächelt abfällig) »eine Zeitung mehr weiß als – äh – die zuständigen Leute hier in Deutschland?«

Stolze: »Auch ein eigenartiger Vorgang. Wenn wir von Kundus hören, daß bei einem Presse-Briefing der deutsche Presseoffizier hinaus mußte und nur dieser amerikanische Journalist drinnen bleiben durfte, dann ist das völlig unbegreiflich, warum dort Informationen gezielt weitergegeben werden und die Informationen, die dann so auf die Deutschen einprasseln, sind völlig einseitig ...«

Die ZDF-Moderatorin hat »äh äh äh, noch eine Frage zum in die Kritik geratenen deutschen Befehlshaber in Afghanistan, Oberst Klein. Gegen ihn wird jetzt sogar (sic!) von der Staatsanwaltschaft in Potsdam ermittelt äh ...« (sie lächelt mitfühlend, »... das ist für die meisten Leute nicht nachvollziehbar, immerhin handelt es sich da um eine militärische Aktion und nicht um eine zivile Straftat?«

Wieviel Kenntnis von unserem Rechtssystem und generell von Rechtsstaatlichkeit darf man von ZDF-Journalen erwarten? Der Soldaten-Repräsentant fühlt sich prompt zum Praeceptor Germaniae berufen:
»Ist es auch, Oberst Klein ist bekannt als sehr, sehr umsichtiger Offizier, es dürfte für ihn eine sehr schwere Entscheidung gewesen sein, in der Nacht ... äh, kurz nach Mitternacht, äh, Luftunterstützung anzufordern. Und er wird sich da auch, äh, was bei gedacht haben. Er weiß auch, daß man das abwägen muß. Es ist nun hoffentlich nicht so, daß die Staatsanwaltschaft in einem weiteren Fall nun monatelang gegen einen deutschen Offizier ermittelt ...«

Man denke das Undenkbare: staatsanwaltschaftliche Ermittlungen gegen einen deutschen Offizier!

»... das hat es ja schon gegeben, nach einem Anschlag, den es zu verhindern gab auf einen deutschen Checkpoint ...«

Eine freche Lüge. Damals wurden aus einem Kontrollbunker der Bundeswehr heraus fünf in einem Personenkraftwagen vorbeifahrende unbewaffnete Zivilisten erschossen, darunter eine Frau und zwei Kinder. Die deutschen Wachposten hatten sich angeblich bedroht gefühlt. Sie wurden inzwischen mit der Begründung »putative Notwehr« vom Vorwurf des Totschlags freigesprochen.

»Wir meinen, daß es viel besser wäre, wenn Staatsanwälte dann mit Unterstützung unserer Feldjäger in Afghanistan ermitteln könnten und das dann an eine Schwerpunkt-Staatsanwaltschaft hier in Potsdam, die zuständig wäre, dann weitergegeben würde. Aber zivilrechtliche Ermittlungen, das hat damit zu tun, daß wir dort auch nach deutschem Recht in Afghanistan eingesetzt sind. Das heißt, die Regeln müßten eigentlich angepaßt werden. Wir sagen immer wieder, auch in einem, ja, äh Punkt zusammen mit der FDP, wir sagen, unsere Rechtslage ist nicht an die Einsätze angepaßt.«

Der offizielle Sprecher des Bundeswehrverbandes verlangt unverblümt eine Kumpanei zwischen Bundeswehr und Strafverfolgungsbehörden. Sonderprozeßrecht für die Truppe. Die Perversion des Ideals vom Staatsbürger in Uniform: Bei Kriegshandlungen soll die Bundeswehr nicht mehr das geltende Recht wahren, sondern umgekehrt: Das Recht soll den Einsatzbedürfnissen der Bundeswehr angepaßt werden. Damit deutsche Soldaten noch bedenkenloser bomben und ballern können, ohne sich vor einer zivilen Justiz verantworten zu müssen?

Und wie reagiert eine ZDF-Moderatorin auf solche Ungeheuerlichkeit?

»...ich bedanke mich sehr bei Ihnen, und wir alle hoffen und wünschen gemeinsam, daß, äh, die Ereignisse möglichst schnell und umfassend aufgeklärt werden. Ganz herzlichen Dank.«