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Titel1917

Machtverhältnisse im Mediensektor  (Arnold Schölzel)

Zweifel, ob Medien etwas mit Demokratie zu tun haben, ob sie selbst demokratisierbar sind, sind ebenso alt wie die Behauptung, es gebe keine Demokratie ohne Medien, oder der reichlich exaltierte Satz, bei Medien handele es sich um die vierte Gewalt im modernen Staat, eine Instanz von Verfassungsrang sozusagen. Im Moment schlägt das Pendel offenbar mehr in Richtung der Zweifel aus. Seit der Spiegel-Affäre 1962 und den »Enteignet Springer«-Rufen von 1968 hat es in der Bundesrepublik keine derartig kritische, sogar feindselige Haltung gegenüber Presse, Funk und Fernsehen (einschließlich inzwischen vieler Online-Medien) in großen Teilen der bundesdeutschen Bevölkerung gegeben wie in den vergangenen dreieinhalb Jahren, seit dem Beginn des Krieges in der Ostukraine. Der unsinnige, aber demagogisch-erfolgreiche Begriff »Lügenpresse« hat bei der Wahlentscheidung vom 24. September offensichtlich auch eine Rolle gespielt: Zu denen da oben, denen ein Denkzettel verpasst werden sollte, gehörten auch die Medien.

 

Was hat die Tatsache, dass der deutsche Zeitungsmarkt heute zu 60 bis 70 Prozent von etwa zehn Milliardärsfamilien beherrscht wird, noch mit Demokratie zu tun? Nichts. Aus der Pressefreiheit, die der damalige FAZ-Herausgeber Paul Sethe 1965 als Freiheit von 200 reichen Familien definierte, ihre Meinungen zu verbreiten, ist eine monotone Zeitungslandschaft geworden, in der nicht Gleichschaltung, aber ein gut orchestriertes Unisono vorherrscht – mit wenigen Ausnahmen. Mark Zuckerberg ist faktisch Chefredakteur eines Mediums, das mit individuell zugeschnittenen News etwa 800 Millionen Menschen täglich erreicht.

 

Im Umgang mit Medien mischen sich dementsprechend Lust und Unlust, Verachtung für den Journalismus und gleichzeitige Gier nach sogenannten seriösen Nachrichten, die hierzulande sogenannte Qualitätszeitungen für sich gepachtet haben. Es gehen ökonomische, politische, kulturelle, nicht zuletzt ästhetische Aspekte in Produktion und Rezeption von Medien ein. Die völlig widersprüchliche Haltung vieler Leser, Hörer und Zuschauer zu dem in Medien Dargebotenen hat nichts mit Niveauverlust oder heutiger Verbreitungsgeschwindigkeit von News, die stets auch Fake News im Gepäck haben, zu tun, sondern mit anderen Gegensätzen: etwa dem von realer Macht und der illusionären Macht der Medien, die letztlich die Ohnmacht der Mehrheit der Bevölkerung notdürftig kaschiert. Ich führe hier Goethe als Beispiel an. Er maß Zeitungen keine besondere Bedeutung bei: »Was von Seiten der Monarchen in die Zeitungen gedruckt wird«, heißt es bei ihm um 1830, »nimmt sich nicht gut aus: denn die Macht soll handeln und nicht reden. Was die Liberalen vorbringen, lässt sich immer lesen: denn der Übermächtigte, weil er nicht handeln kann, mag sich wenigstens redend äußern. ›Lasst sie singen, wenn sie nur bezahlen!‹, sagte Mazarin, als man ihm die Spottlieder auf eine neue Steuer vorlegte.« Das ist extrem abschätzig, ja pessimistisch, was den Anteil von Zeitungen am Fortschritt angeht, Goethe war es aber zugleich, der in jenen Jahren ein besonders intensiver Leser – gemessen an der Zahl von Anstreichungen und Notizen – der liberalen französischen Zeitschrift Le Globe war. Er machte für sie in Deutschland sogar Werbung, beendete allerdings die regelmäßige Lektüre, als Le Globe Ende der 20er Jahre Tageszeitung wurde, um dann während der Julirevolution in Paris wieder nach ihr zu greifen. Ein Motiv seiner Lektüre war, wie Heinz Hamm in seiner Studie über Goethes Le-Globe-Lektüre 1998 festhielt, die Sorge darüber, »wie seit den Befreiungskriegen im Namen nationaler Gesinnung verstärkt die kulturelle Abgrenzung vom Ausland gefordert wurde. Im Interesse des friedlichen Zusammenlebens der Völker konnte er diese Tendenzen eines ›geistigen Autarkismus‹ nicht gutheißen.« Zeitungen und Medien überhaupt konnten und können ein Gegenmittel gegen reaktionäre Tendenzen sein, allerdings auch deren Instrument.

 

 

Ein prozessierender Widerspruch

Presse ist im Kapitalismus der freien Konkurrenz des 19. Jahrhunderts ein prozessierender Widerspruch, der allerdings nicht über sich hinaustreibt. Wissen und Meinung, wusste die Antike, unterscheiden sich gravierend voneinander. Der Unterschied von öffentlicher Meinung und veröffentlichter Meinung, der Übergang von der »Gesinnungspresse zur Geschäftspresse«, wie es Jürgen Habermas in seinem Buch »Strukturwandel der Öffentlichkeit« (1962) nannte, zeichnete sich Anfang des Jahrhunderts ab und spiegelt sich in den zitierten Sätzen Goethes.

 

Mit der Bildung der ersten großen Zeitungskonzerne im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts, der Erfindung der Yellow Press und des Boulevardblattes, erst recht mit dem von vornherein monopolistisch verfassten Rundfunk und Fernsehen im 20. Jahrhundert ändert sich die Lage. Für Großkonzerne gilt Rudolf Hilferdings Satz, dass es ihnen nicht um Freiheit, sondern um Herrschaft geht. Der Kapitalbedarf erschien so bedeutend und nun auch die publizistische Gewalt so bedrohlich, dass in einigen Ländern die Einrichtung dieser Medien bekanntlich von Anbeginn in staatliche Regie oder unter staatliche Kontrolle genommen wurde. Der gerade begangene 100. Geburtstag der Ufa verweist darauf: Sie entstand als Instrument der Kriegspropaganda und trivialer Unterhaltungskunst.

 

Nichts charakterisiert die Entwicklung der Presse und der jüngeren Medien genauer als diese Maßnahmen: Sie machen aus privaten Institutionen eines Publikums von Privatleuten öffentliche Anstalten. Die Regierungen hoben nämlich ihren kommerziellen Charakter nicht auf, sondern nutzten ihn, verliehen ihnen aber einen offiziösen Charakter. Das gilt bis heute für öffentlich-rechtliche Sender, aber auch für Nachrichtenagenturen. Laut einem Bonmot ist unter ihnen nur der Finanzdienst von Reuters rentabel, alle anderen werden insbesondere von Geheimdiensten und den Außenministerien der jeweiligen Länder subventioniert. Was als liberales Modell einer Öffentlichkeit begann, die durch den Privatbesitz an Zeitungen und Zeitschriften vor dem Staat geschützt war, endete in dem, was Habermas »Komplexe gesellschaftlicher Macht« nannte.

 

 

Exterminierung der Wirklichkeit

Permanente Weihe als einer Säule der Demokratie von oben und permanente Unzufriedenheit von unten mit Presse und Medien generell sind unter solchen Umständen folgerichtiges Resultat. Medien sind nicht dafür da, Bestimmtes zu veröffentlichen, sondern dafür, Entscheidendes zu verschweigen, zum Beispiel wer die Macht hat und wer Herrschaft ausübt. In Bezug auf das Ganze der Gesellschaft ist ihre Aufgabe, deren Unveränderbarkeit, Unabänderlichkeit und Richtigkeit zu verkünden, die »große Lüge« zu verbreiten, wie Peter Hacks ihre Existenzberechtigung herleitete. Das ist irrational und auftragsgemäße Desinformation. Auf der anderen Seite haben es die wenigen Medien der Arbeiterbewegung, diejenigen, die nicht von kommerziellen Interessen bedrängt sind, damit zu tun, die Veränderbarkeit der Welt darzustellen.

 

Medien, so hat es der Pessimist Hacks gesehen, die einst mit Aufklärung und Vernunftphilosophie entstanden, haben in Bezug auf die Welt als Ganzes für Desinformation zu sorgen. Ein Volk von Zeitungslesern oder Fernsehzuschauern ist für die Revolution unbrauchbar, sehr brauchbar hingegen für die Konterrevolution oder die Wahl der AfD. Technik und Zweck von Medien lauten: »Die Exterminierung der Wirklichkeit und ihre Ersetzung durch eine Medienwelt.« Ein Land, das Medien hat, braucht keine Zensur mehr. »Die« Medien, die in diesem Sinn im Grunde erst seit den 1970er Jahren so heißen, sind Mittel zur Weitergabe der Unwahrheit. Sie sind das Gegenteil von Kunst und Philosophie, sie beseitigen nach und nach deren Existenzgrundlage, die Fähigkeit zu universeller Aneignung der Realität.

 

Was demokratische oder gar sozialistische Medien sein könnten, weiß die Welt noch nicht. In der Arbeiterbewegung und im realen Sozialismus waren sie Instrumente der Agitation und der Organisierung, wandten sich stets mehr an Parteimitglieder als an andere. Die Radiotheorien der 20er Jahre, das Publikum als Sender und Empfänger zugleich, wirken seltsam naiv angesichts dessen, was Hitler und Goebbels mit Rundfunk und Film veranstalteten. Nur wenige Filme, die zwischen 1933 und 1945 entstanden, enthielten offen rassistische Ideen. Der weit überwiegende Teil war »Traumfabrik«. Medien sind Teil der Unterhaltungs-, der Kulturindustrie im Imperialismus. Ihre jeweilige Funktion hängt von der Lage ab, und die ist so, wie sie Peter Hacks 1990 in seinem Essay »Die Schwärze im Eingang des Tunnels« beschrieb: »Jetzt, wo alles zum Schlechtesten geraten ist, stellen sich die Fragen neu. Manche stellen sich gar nicht mehr, etwa die nach einer ständig sich verschlechternden Zukunft. Den Nordamerikanern gehört der Persische Golf, auf einen räudigeren Hund kann die Welt nicht kommen. Sehen Sie, wenn man einmal unten durch ist, ist man durch … Zum guten und unverhofften Schluß also: Das von vielen erwartete und von allen gespürte Weltende hat stattgefunden – und war wieder einmal nicht das Weltende und war wieder einmal bloß das Ende der Zivilisation. Vorher sieht eben alles schlimmer aus.«

 

Die Medien haben, das ist ihre aktuelle Aufgabe, das Ende der Zivilisation als deren eigentlichen Beginn darzustellen, vor allem das Ende der europäischen sozialistischen Staaten als Anfang von Demokratie und Frieden. Jeder Kriegsbeginn ist daher eine Feier von Wertegemeinschaft und nationalem Gedröhn. Sie haben die Empörung zu schüren über Gegenwehr oder bloße Rache der Überfallenen, zumal wenn die sich bewaffnen und dem Kriegsvölkerrecht konform sich wehren. Sie haben die systematische Missachtung des Völkerrechts und die Wiederbelebung des Faustrechts, des Grundsatzes »Macht geht vor Recht« als dessen Weiterentwicklung zu feiern und die Aufkündigung des Prinzips »pacta sunt servanda«, wie jetzt durch den amtierenden US-Präsidenten im Hinblick auf den Iran geschehen, zu legitimieren. Wenn die Androhung von Gewalt und deren illegale Ausübung durch die NATO den Bruch der UN-Charta bedeuten, dann schwadronieren die Medien und ihre Lenker, wie Ende September Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner, von der islamischen Invasion. Sie gewinnt militärisch faktisch keinen Krieg mehr, schafft es aber mit Hilfe der Medien, dass er als Thema im Bundestagswahlkampf faktisch nicht vorkommt. Die Gleichgültigkeit gegenüber der vom Westen betriebenen Verelendung und Zerstörung ganzer Regionen hat Rassismus als Legitimationsgrundlage.

 

 

Fake News und Totalüberwachung

Der Zustand der Medien ähnelt dem in autoritären, wenn nicht faschistischen Zeiten. Der Grad an ökonomischer Konzentration in diesem Sektor, mehr noch aber die Inhalte, etwa das Verweigern ganzer Bereiche gesellschaftlichen Lebens, wie zum Beispiel dessen Steuerung in Krieg als »Normalität«, kommen bei allen sehr gut an. Zwei Grunderfahrungen im Umgang mit Medien prägen derzeit die Medienkonsumenten:

 

Am 9. August berichtete die Online-Ausgabe der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: »Fast jeder zweite Erwachsene in Deutschland hält Falschmeldungen, sogenannte Fake News, für eine ernsthafte Bedrohung der Demokratie. Das ergab eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov […].« Zudem habe eine Studie der Landesmedienanstalt Nordrhein-Westfalen im Juni ergeben, dass mehr als die Hälfte aller Internetnutzer über 14 Jahren schon Erfahrungen mit Falschmeldungen gemacht habe. Weiter heißt es: »Die nun vorgestellte Studie zeigt, dass nur eine Minderheit der Wahlberechtigten den Medien als Institution vertraut – deutlich weniger als beispielsweise der Polizei oder dem Bundesverfassungsgericht. […] Nur ein Drittel sieht sich durch die mediale Berichterstattung korrekt und umfassend über das politische Geschehen in Deutschland informiert.« Dieses Bild ergibt sich bei ähnlichen Umfragen seit Jahren. In zugespitzter Form äußert sich das Misstrauen in der Vokabel »Lügenpresse« oder in dem Buchtitel »Lückenpresse. Das Ende des Journalismus, wie wir ihn kannten« des Publizisten Ulrich Teusch (2016), in »Meinungsmache. Wie Wirtschaft, Politik und Medien uns das Denken abgewöhnen wollen« von Albrecht Müller (2009), in »Mainstream. Warum wir den Medien nicht mehr trauen« von Uwe Krüger (2016).

 

Besonders der US-Wahlkampf hat dem Thema »Falschmeldungen« einen kräftigen Schub gegeben. Die von Donald Trump, der seine Kampagne mit vielen Falschmeldungen führte, engagierte Firma Cambridge Analytica verschickte nach eigenen Angaben an manchen Tagen der Kampagne bis zu 150.000 individuelle Nachrichten an Wähler, von denen sie bis zu 5000 Datenpunkte pro Person gesammelt hatte. Der Chef der Firma, Alexander Nix, meinte in einem faz.net-Interview im März, in wenigen Jahren werde diese Ziffer als winzig erscheinen. Auf ihrer Website wirbt Cambridge Analytica damit – »uses data to change audience behaviour« –, am 2. August berichtete BBC, Cambridge Analytica sei in Kenia für die Kampagne von Uhuru Kenyatta, den späteren Wahlsieger, tätig. Messbar dürfte der Anteil dieses Targeting-Marketing, das auch für Konsumprodukte längst angewendet wird, nicht sein. Wenn aber nur wenige Prozentpunkte zwischen Wahlsieg oder Niederlage liegen, kann es entscheidend sein. Hinzugefügt sei noch, dass Trump selbst der wichtigste Kunde solchen Targetings ist. Laut der Internetplattform Vice erhält der Präsident täglich zweimal einen Aktenordner mit ausschließlich positiven Nachrichten über sich. Mit ihnen werden auch die Wähler und Unterstützer Trumps per Internet versorgt.

 

Dieser neuen Grunderfahrung einer breiten Öffentlichkeit im Umgang mit elektronischen Medien, mit einer auf den Nutzer zugeschnittenen Verbreitung von Nachrichten, in denen Falschnachrichten und wahre Informationen vermischt werden, ging eine andere voraus, die mit dieser zweiten eng verbunden ist: Die Erkenntnis, dass Internet und Totalüberwachung identisch sind. Das Verhalten jedes Netznutzers kann technisch jederzeit nicht nur komplett erfasst werden, durch Edward Snowden 2013 wurde die Welt darauf aufmerksam gemacht, dass dies auch geschieht.

 

Am 10. Dezember 2013, dem internationalen Tag der Menschenrechte, protestierten 562 Schriftsteller aus der ganzen Welt, darunter fünf Nobelpreisträger, gegen die systematische Überwachung im Internet durch Geheimdienste. Der Aufruf »Die Demokratie verteidigen im digitalen Zeitalter« wurde in 32 Zeitungen weltweit veröffentlicht. Es heißt darin: »In den vergangenen Monaten ist ans Licht gekommen, in welch ungeheurem Ausmaß wir alle überwacht werden. Mit ein paar Maus-Klicks können Staaten unsere Mobiltelefone, unsere E-Mails, unsere sozialen Netzwerke und die von uns besuchten Internet-Seiten ausspähen. Sie haben Zugang zu unseren politischen Überzeugungen und Aktivitäten, und sie können, zusammen mit kommerziellen Internet-Anbietern, unser gesamtes Verhalten, nicht nur unser Konsumverhalten, vorhersagen.« Der Internetexperte Sascha Lobo schrieb 2014 in einem Essay über »die digitale Kränkung des Menschen«: »Wir haben uns geirrt, unser Bild vom Internet entsprach nicht der Realität, denn die heißt Totalüberwachung.« Und folgerte, die digitale Vernetzung mache zwar weiterhin Sinn, doch »das Internet ist kaputt«.

 

Der Medienwissenschaftler Michael Haller zog aus dieser Debatte übrigens den Schluss, »dass die Tageszeitung wieder an Geltung zurückgewinnt«, er spricht sogar von einer »Renaissance der Offline-Medien«.

 

Insbesondere Albrecht Müllers Buch, das vor der weltweiten Verbreitung von Smartphones geschrieben wurde, weist darauf hin, dass die Frage, ob Medien antidemokratisch wirken, älter ist als die Erfahrungen der letzten vier Jahre.

 

Sie stammt aus der Zeit im 19. Jahrhundert, als von Medien noch keine Rede war und der Unterschied von öffentlicher Meinung und veröffentlichter Meinung sich noch nicht abzeichnete. Mit der Bildung der ersten großen Zeitungskonzerne im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts, erst recht mit dem von vornherein monopolistisch verfassten Rundfunk und Fernsehen im 20. Jahrhundert verschärfte sich das Problem. Die technische Entwicklung im Nachrichtenverkehr (nach dem Telegraf und dem Telefon die drahtlose Telegrafie und Telefonie, Funk und Radio), so Habermas 1962, »hat die ökonomische Verflechtung der Presse teils beschleunigt, teils überhaupt erst ermöglicht«. Und weiter: »Dennoch erscheint im Pressegewerbe der Grad der ökonomischen Konzentration und ihrer technologisch-organisatorischen Koordination gering im Vergleich zu […] Rundfunk, Tonfilm und Fernsehen. Ja, der Kapitalbedarf erschien so bedeutend und nun auch die publizistische Gewalt so bedrohlich, dass in einigen Ländern die Einrichtung dieser Medien bekanntlich von Anbeginn in staatliche Regie oder unter staatliche Kontrolle genommen wurde. Nichts charakterisiert die Entwicklung der Presse und der jüngeren Medien auffälliger als diese Maßnahmen: Sie machen aus privaten Institutionen eines Publikums von Privatleuten öffentliche Anstalten. Diese Reaktion des Staates auf die Vermachtung einer unter Einfluß gesellschaftlicher Mächte geratenen Öffentlichkeit läßt sich bereits an der Geschichte der ersten Telegrafenbüros studieren.«

 

Was als liberales Modell einer Öffentlichkeit begann, die durch den Privatbesitz an Zeitungen und Zeitschriften vor dem Staat geschützt war, endete vorläufig in dem, was Habermas »Komplexe gesellschaftlicher Macht« nannte.

 

Das bedeutet: Nicht das Publikum, die Öffentlichkeit, prägt die Medien, sondern die Medien prägen das Publikum und dehnen zugleich die Öffentlichkeit aus, heute sogar global. Mit solchen Aktivitäten wie denen von Cambridge Analytica ist noch kein Ende dieser Umkehrung erreicht. Medien sind per se in diesem Sinn und unter diesen Umständen antidemokratisch. Sie funktionieren aber durch Vorspielen des genauen Gegenteils: Sie suggerieren liberale Öffentlichkeit von Privatleuten und werden »vierte Gewalt« genannt.

 

Medienkonzerne gehören zu den reichsten Unternehmen der Welt, über Eigentumsverhältnisse wird aber wenig gesprochen, noch weniger über deren Besitzer. Dabei lohnt es sich, Mark Zuckerberg als »Chefredakteur« des größten globalen Informationskanals zu betrachten, die Aktivitäten von Donald Trumps Berater, des Paypal-Gründers Peter Thiel, zu untersuchen, die Konzentration auf dem deutschen Zeitungsmarkt zu analysieren oder die merkwürdige Tatsache, dass französische Rüstungsmilliardäre gern auch Tageszeitungen herausgeben. Vor allem in Kriegen bewähren sich die meisten Medien als nationalistische Propagandakompanien. Gegen Demokratieabbau polemisieren heute selbst als liberal geltende Blätter wenig, selbst die Pressefreiheit scheint ihnen weitgehend egal. Das ist anders als noch vor einigen Jahrzehnten. Die Evolution zu autoritären Regierungsformen, der Wandel zum Polizeistaat, wird beschleunigt. Umso wichtiger wäre es, wenn demokratische Linke und linke Demokraten, Vorschläge für Änderungen in den Eigentumsverhältnissen der Medienkonzerne erarbeiten, wenn sie Stiftungs- oder Genossenschaftsmodelle vorlegen. Es ist höchste Zeit, mehr Demokratie im Mediensektor zu wagen.

 

Der Kapitalismus kann höchstens eingedämmt werden. Er und seine Medien, um die Eingangsfrage zu beantworten, sind nach meiner Meinung mit Demokratie grundsätzlich nicht vereinbar. Die Konsequenz daraus zu ziehen, ist eine längere Geschichte.

 

 

Gekürzte Fassung der Rede »Undemokratische Machtverhältnisse im Mediensektor und ihre fatalen Folgen« von Arnold Schölzel anlässlich der Ossietzky-Matinee »Kritische Öffentlichkeit: Medien unter Druck« am 3. Oktober.