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So reich wie noch nie  (Otto Meyer)

Die Frohe Botschaft der »Allianz Global Investors« war selbst in Provinzblättern wie den Westfälischen Nachrichten (7.1.2011) zu lesen: 2010 seien die Geldvermögen hierzulande um 4,7 Prozent auf jetzt 4,88 Billionen Euro gestiegen. Das sei eine ähnlich positive Entwicklung wie schon 2009. »Jeder Bundesbürger hat knapp 60.000 Euro auf der hohen Kante – statistisch gesehen«, wußte die Zeitung zu berichten. Gab und gibt es demnach gar keine Krise, weder im produzierenden und verarbeitenden Gewerbe noch gar im Finanzsektor, wenn doch die Geldvermögen gewachsen sind, und das offenbar Jahr für Jahr schneller?

Da wird mir allmählich klar, daß unsere Kanzlerin in ihrer Neujahrsansprache nicht einfach gelogen hat, als sie dreist verkündete: »Deutschland hat die Krise wie kaum ein anderes Land gemeistert.« Anscheinend durfte sie zu Recht und mit Stolz darauf hinweisen: »Wir sind sogar gestärkt aus der Krise herausgekommen.« Ihr »Wir« ist eben ein anderes »Wir« als meines. Als Kanzlerin muß sie mehr das Gesamte und vor allem das Große und die Großen im Blick haben. Die Wahrnehmungen unterscheiden sich eben. Und damit auch die Wahrheiten.

Ich kann in meinem Familien- und Bekanntenkreis von den durchschnittlichen 60.000 Euro Geldvermögen pro Familienmitglied wenig entdecken. Da scheint von den sagenhaften Zuwächsen nicht viel angekommen zu sein. Eher höre ich, daß das Geld – Löhne und Renten – knapper wird, weil die Preise zumeist weiter steigen: die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung, die Fahrpreise, die Eintrittsgebühren fürs Schwimmbad und so weiter. Und wenn »Deutschland« die Krise »gemeistert« hat und sogar durch sie »gestärkt« sein soll, warum mußte dann für die nächsten Jahre ein neues, riesiges »Sparpaket« beschlossen werden, mit drastischen Kürzungen der staatlichen Ausgaben vorwiegend im Sozialbereich? Warum können die Unterstützungssätze für Hartz-EmpfängerInnen nach Jahren ohne Inflationsausgleich nur um fünf Euro angehoben werden, warum muß ihnen das Elterngeld komplett gestrichen werden? Gehören »die da Unten« und »die in der Mitte« nicht mehr zu »Deutschland«?

Logischerweise ergibt sich da die weitere Frage, wo denn die Vermögenszuwächse von 4,7 Prozent (es handelt sich immerhin um 220 Milliarden Euro mehr allein im Jahre 2010) zu finden sind? In die staatlichen Kassen ist von diesem Reichtum wenig geflossen. Da klaffen die Schuldenlöcher und werden immer größer. Bund, Länder und Gemeinden haben zwischen Ende 2008 und Mai 2010 neue Kredite im Umfang von 245 Milliarden Euro aufgenommen. Die Gesamtverschuldung der Öffentlichen Haushalte in Deutschland dürfte inzwischen mehr als zwei Billionen Euro betragen. Darüber hinaus gab der Staat Kreditzusagen für »Banken-Rettungsschirme« und neuerdings gar für »Euro-Rettungsschirme«, jeweils für mehr als hundert Milliarden Euro – angeblich »alternativlos«.

Sind die staatlichen Kredite direkt auf den Konten einer kleinen Schicht von Vermögenden gelandet? Die Frage wird in unseren Herrschaftsmedien wenig gestellt und noch weniger beantwortet. Da hört oder liest man gewöhnlich nur, bestimmte Banken müßten unbedingt gerettet werden, und jetzt müßten auch noch ganze ausländische Staaten wie Griechenland, Irland und wohl bald Portugal gerettet werden; sie hätten schlecht gewirtschaftet. Wenn man genauer hinschaut, wird deutlich, daß auch die Hilfe für schwächelnde Euro-Staaten im wesentlichen darin besteht, die Kredite großer Privatbanken, vorwiegend aus Deutschland, Frankreich oder Großbritannien, zu bedienen. Also handelt es sich bei der Euro-Rettung in Wahrheit auch um Banken-Rettung. Aber auch das ist erst die halbe Wahrheit. Die Manager der Banken verdienen zwar an den staatlichen Rettungsaktionen persönlich kräftig mit (oft genug in unverschämter Weise), aber die eigentlichen Profiteure sind die großen Kapitalbesitzer und Fondsinhaber einschließlich der Bankaktionäre. Diese verhältnismäßig kleine Schicht der Superreichen bleibt in der Regel anonym, wird aber prompt bedient. Sobald deren Sprecher Gefährdungen befürchten oder androhen, beeilen sich die Regierungen, alle Verluste und Kreditrisiken zu übernehmen.

Ungefähr ein Prozent der Bevölkerung der BRD sind Mitmenschen mit Nettovermögen in Höhe von mehr als einer Million Euro (vgl. Michael Hartmann, »Klassenkampf von oben« in »Deutsche Zustände, Folge 9«; hg. von Wilhelm Heitmeyer, 2010). Diese reichen Geldvermögensbesitzer durften ihr Kapital – in der Regel von Banken und Fondsgesellschaften verwaltet – in den letzten fünf Jahren mit Hilfe der Regierenden noch einmal um 150 Milliarden Euro vermehren. Die Krise hat ihren Reichtum nicht geschmälert, er wurde vom Staat vor Verlusten bewahrt. Sie sind die wahren Nutznießer nicht nur der unzähligen Steuererleichterungen seit gut zehn Jahren für Kapitaleinkünfte und Vermögensbestände, sie sind auch die Profiteure der riesigen staatlichen »Rettungsschirme«.

Der vielfache Milliardär und Börsenprofi Warren Buffet sagte schon 2006 in einem Interview mit der New York Times: »Er herrscht Klassenkampf, nicht wahr, und es ist meine Klasse, die Klasse der Reichen, die den Krieg betreibt.« Buffet ging davon aus, das seine Klasse dabei sei, »diesen Krieg zu gewinnen« – »was sie nicht sollte«, wie er später hinzufügte, weil ihm Bedenken gekommen waren, ob ein solches Ende des Klassenkampfes gut wäre für den sozialen Zusammenhalt in der US-Gesellschaft insgesamt und damit am Ende auch für sein Finanz-Imperium.

Derartige Bedenkenträger sind unter den deutschen Reichen selten. Woher auch sollte deren Einsicht kommen, solange es ihnen gelingt, die vom Wahlvolk bisher legitimierten Regierungen zu instrumentalisieren für die Bedienung der Klasseninteressen dieser kleinen Schicht »da oben«? Die Auswirkungen der weltweiten Großkrise des Kapitalismus konnten bisher fast ohne Gegenwehr den Armen und großen Teilen der Mittelschicht aufgebürdet werden. Die einen scheinen resigniert und gelähmt, die anderen rechnen wohl immer noch damit, daß sie irgendwann doch zu den Gewinnern gehören werden. Es herrscht Ruhe im Land, fast unheimliche Ruhe.