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Staatliche Anti-Antifa und Extremismus der Mitte  (Ulla Jelpke)

Unter der schwarz-gelben Bundesregierung ist Anti-Antifaschismus zum Regierungsprogramm geworden. Im Namen des schon im Koalitionsvertrag enthaltenen Extremismus-Konstruktes werden Rechtsextremismus und linker Antifaschismus gleichgesetzt. Damit verbunden sind Angriffe auf zivilgesellschaftliche Projekte gegen Rechtsextremismus und Rassismus, die seit 2001 aus Bundesmitteln gefördert werden. Diese Projekte, darunter Beratungsstellen für Opfer rassistischer Gewalt, sind in den Augen der Bundesregierung selber extremismusverdächtig und sollen daher durch eine Knebelverordnung auf Linie gebracht werden: Alle Projekte, die zukünftig noch Gelder aus den Bundestöpfen erhalten wollen, sind nicht nur gezwungen, sich in einer schriftlichen Erklärung zum Grundgesetz zu bekennen, sondern sie müssen sich darüber hinaus verpflichten, nur noch zu solchen Organisationen und Personen Kontakte zu halten, die gleichfalls den Zielen des Grundgesetzes verpflichtet sind. Hierfür sollen die geförderten Projekte selber Verfassungsschutzberichte auswerten. Im Zweifelsfall – etwa im Fall von Kontakten zur Linkspartei oder zur Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) – soll beim Verfassungsschutz nachgefragt werden, ob der jeweilige Kooperationspartner zum demokratischen oder »extremistischen« Flügel dieser Organisationen gehört, riet die Bundesregierung auf Anfrage der Linkspartei.

Aus Protest gegen die Forderung, diese aus dem Hause der stramm konservativen Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) stammende »Antiextremismuserklärung« zu unterzeichnen, lehnte das Alternative Kultur- und Bildungszentrum Sächsische Schweiz (AKuBiZ) in Pirna im November demonstrativ den mit 10.000 Euro dotierten Sächsischen Förderpreis für Demokratie ab. In einem im Dezember veröffentlichten Gutachten erklärte der Rechtswissenschaftler Ulrich Battis von der Berliner Humboldt-Universität Teile der Verpflichtungserklärung für nicht vereinbar mit dem Grundgesetz. Auch der Beirat des vom Bundesinnen- und Justizministerium initiierten Bündnisses für Demokratie und Toleranz sprach sich gegen die Klausel aus.

Das Extremismus-Konstrukt schwächt nicht nur den Kampf gegen den Rechtsextremismus, sondern lenkt auch ab von fremden- und demokratiefeindlichen Ideologien in der sogenannten Mitte der Gesellschaft, unter den Anhängern der etablierten Volksparteien. Dieser »Extremismus der Mitte« äußerte sich im vergangenen Jahr vor allem in der pseudowissenschaftlich verbrämten Hetzschrift »Deutschland schafft sich ab« des Ex-Bundesbankers Thilo Sarrazin. Der Verkaufserfolg des Buches (mehr als eine Million Exemplare) wäre ohne die massive Kampagne großer Blätter wie Focus und Bild für Sarrazin und sein sozialdarwinistisches und biologistisches Weltbild nicht möglich gewesen. Politiker wie der bayerische Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende Horst Seehofer schlugen in die selbe Kerbe und forderten einen Zuzugsstopp für Türken. Auch SPD-Chef Sigmar Gabriel, der gegen Sarrazin ein Parteiausschlußverfahren eingeleitet hatte , übernahm dann dessen Forderung nach härteren Sanktionen für angebliche »Integrationsverweigerer«, und die Bundesregierung startete eine entsprechende Gesetzesinitiative. Belastbare Zahlen über angebliche Integrationsverweigerer gibt es nicht. Auch Sarrazin hat nach eigenen Angaben zu einigen seiner Behauptungen keine genauen Daten vorliegen und daher Zahlen »schöpfen« müssen: »Und wenn sie keiner widerlegen kann, dann setze ich mich mit meiner Schätzung durch«, erklärte er gegenüber der Süddeutschen Zeitung.

Die Sarrazin-Debatte war kein ein Ausrutscher. Die Zustimmung zu ausländerfeindlichen Einstellungen ist bundesweit dramatisch gestiegen. Das zeigt eine aktuelle Studie »Die Mitte der Krise«, die Leipziger Wissenschaftler im Auftrag der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung Mitte Oktober veröffentlichten. Mehr als jeder dritte Deutsche hält demnach Deutschland für »in einem gefährlichen Maß überfremdet« und ist der Überzeugung, Migranten kämen nur nach Deutschland, »um unseren Sozialstaat auszunutzen«. Die Anfeindungen richten sich vor allem gegen Muslime. Deren freie Religionsausübung wollen bundesweit 58,4 Prozent »erheblich eingeschränkt« sehen, in Ostdeutschland gar über 75 Prozent.

Auch antidemokratische Einstellungen nehmen rapide zu. Jeder vierte Befragte wünscht sich »eine einzige starke Partei, die die Volksgemeinschaft insgesamt verkörpert«. Ebenfalls jeder vierte befürwortet ein »hartes und energisches Durchsetzen deutscher Interessen gegenüber dem Ausland«, und 40 Prozent wünschen sich »Mut zu einem starken Nationalgefühl«. Während diese Werte bis 2008 leicht zurückgingen, nahmen sie offensichtlich vor dem Hintergrund der schweren Wirtschaftskrise wieder sprunghaft zu.

Ein Sockel an extrem rechten Einstellungen in der Bevölkerung war schon immer vorhanden. Neu ist allerdings, daß diese Ansichten jetzt offen geäußert werden. Rassisten und Antidemokraten fühlen sich ermutigt, zu ihrer Überzeugung zu stehen, weil ihre Meinung auch von Personen des öffentlichen Lebens wie eben Sarrazin oder Seehofer vertreten und in der tonangebenden Konzernpresse breit diskutiert wird. Die dahinter stehende Taktik der Herrschenden scheint aufzugehen. In Zeiten von Sparpaketen für die Lohnabhängigen und Erwerbslosen bei gleichzeitigen Steuergeschenken für die Reichen soll mit Rassismus von den Ursachen der Wirtschaftskrise – dem kapitalistischen System – und von den Profiteuren und Mitverursachern – Spekulanten und Bankern – abgelenkt werden. Lieber rassistische Pogrome als soziale Unruhen – das ist die unausgesprochene Konsequenz einer solchen Politik. Sechs Brandanschläge auf Berliner Moscheen innerhalb eines halben Jahres seit Beginn der Sarrazin-Debatte im Juni sind womöglich nur die Vorboten für brandgefährliche Entwicklungen.

Angesichts der Verschiebung der rassistischen Debatten in die sogenannte Mitte der Gesellschaft sind die offen agierenden Neonazis in den letzten Monaten etwas aus dem Blick geraten. Dabei ist wieder Bewegung in die rechte Szene gekommen. Auf Parteitagen im November und Dezember beschlossen die Delegierten der NPD und der nach den letzten Wahlen in die Bedeutungslosigkeit versunkenen Deutschen Volksunion (DVU) den Zusammenschluß zu einer gemeinsamen Partei mit dem Namen »NPD – Die Volksunion«. Sollte tatsächlich die Mehrheit der allerdings kaum aktiven DVU-Mitglieder in die NPD überwechseln, würde in der Bundesrepublik eine faschistische Partei mit rund 9.000 Mitgliedern entstehen. Daß Neonazis weiterhin eine tödliche Gefahr sind, wurde in der Nacht auf den 24. Oktober 2010 deutlich. Der 19-jährige Iraker Kamal wurde in Leipzig von zwei Männern erstochen. Einer der mutmaßlichen Täter hatte vorher der Neonazi-Gruppe Kameradschaft Aachener Land angehört. Bei seiner Festnahme trug er ein T-Shirt mit der Nazigewaltparole »Kick off Antifascism«.

Erfolgreich waren Antifaschistinnen und Antifaschisten mit – von der Staatsanwaltschaft umgehend verfolgten – Aufrufen zu Blockaden gegen Naziaufmärsche. So verhinderten über 10.000 Menschen, darunter zahlreiche Mandatsträger der Linkspartei, am 13. Februar 2010 in Dresden den alljährlich größten europäischen Naziaufmarsch. Und am 1. Mai blockierten Antifaschisten – darunter auch Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse – in Berlin einen Naziaufmarsch. An solche Erfolge gilt es im Februar anzuknüpfen, wenn die Neonazis erneut in Dresden aufmarschieren wollen.