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Titel022014

Ach wie sind wir schön  (Harald Kretzschmar)

Es ist selbstverständlich Blödsinn, Ratschläge zu geben, wie man unvorteilhafter aussehen könnte.

Denn alle sorgen sich um ihren Vorteil. Und da ist super Outfit gefragt. Es geht schließlich darum, die strahlend glänzende Oberfläche der eigenen Erscheinung zu steigern. Parallel zur alleinseligmachenden Qualität unserer Geldverhältnisse sollen Körper und Geist ein unvergleichliches, aber stromlinienförmig aktuell gültiges Aussehen haben. Beide müssen einfach schön wirken. Keinerlei unangenehme Widersprüche bitte.

Das erste Grundgesetz heißt: Immer lächeln. Was sage ich – lächeln ist zu wenig, lachen ist angesagt. Selbst wer nichts zu lachen hat, blecke seine (gefälligst strahlend weißen) Zähne. Wer dem Establishment die Zähne zeigen will, lache in jede bereitgehaltene Kamera. Unsere Medien haben ihre Kamerabeauftragten längst darauf dressiert, keine ernsten Gesichter mehr abzulichten. Die althergebrachte Floskel »Bitte recht freundlich« ist Alleinherrscherin bei der Imagepflege eines angenehmen Gesichtsausdrucks geworden. Nun ist allerdings Ausdruck das eine, das andere sind die objektiv nicht immer ideal gegebenen Gesichtszüge.

Wer keine gerade Nase hat – ab zum Schönheitschirurgen. Er ist der Abgott aller im Schönheitswettbewerb um gesellschaftliche Geltung zu kurz Gekommenen. Koste es, was es wolle – schön müssen wir erscheinen. Wer über die Medien rüberkommen will, soll positiv wirken. Er oder sie muß einen angenehmen Eindruck machen. Wenn es überhaupt etwas zu korrigieren gibt, dann das früher als unabänderlich Geltende, nämlich Gesicht und Körper. Die Haut ist unser erstes Kleid. Verändern wir sie doch einfach! Glätten wir die Falten! Die Natur hat in der Regel gestümpert mit uns. Wir können unmöglich zufrieden mit ihr sein. Es geht darum, sie in jeder Hinsicht zu verbessern.

Nichts Nachteiliges sei über uns geredet, geschrieben und gezeigt. Medial bitte nicht dieses widerwärtig kritische Hinterfragen unserer Person. Je höher wir öffentlich gestiegen sind, desto empfindlicher sind wir. Obensein verpflichtet. Bitteschön, Schönheit für alle! Aber für die auserwählt Schönen besonders! Am farbigen Abglanz sollt ihr uns erkennen. Schönfärberisch grellbunt sei unsere Welt! Die graue Vorzeit des verordneten sozialistischen Grauschleiers ist überwunden vom Marktschrei der Knallfarben. Buntzeitung. Buntinternet. Buntfilm. Buntfernsehen.

Alte Schwarzweißfilme und Graufotos auffärben auf neue Schönheit! Kolorieren sei die Devise. Radio akustisch bunt. Süße Stimmen. Koloratursopran ist Spitze. Süße Texte. Bitte recht schlüpfrig. Süße Bilder. Schlüpferfarben. Das adäquate Gegenprogramm: Mord und Totschlag. Krimi und Krieg als scharfer Stachel des Bösen. Eingebettet in unsere schöne heile Vorstellungswelt. Wir wissen erst, wie schön wir sind, wenn im Gegensatz dazu der Abgrund des Häßlichen so gräßlich wie möglich aufgerissen wird. Die Kunst – sie zeige das Schöne, überspiele das Üble, umschiffe die Klippen, sie hole uns das Blaue vom hohen Himmel des großen Geldes auf die Erde unserer Missetaten und Mißerfolge.