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Titel2009

Nutznießer NATO  (Rick Rozoff)

Die NATO benutzt den Krieg in Afghanistan als Gelegenheit, sich in ein globales militärisches System zu wandeln. Ursprünglich gegründet, um den sowjetischen Einfluß in Europa einzudämmen, entwickelt sich die NATO jetzt zu einer weltweit präsenten Streitmacht, indem sie immer mehr Staaten ihrem Kommando unterwirft, seien sie nun Unterzeichner des NATO-Vertrages oder auch nicht.

Jüngsten Ankündigungen zufolge, daß Truppen so unterschiedlicher Nationen wie Kolumbien, Mongolei, Armenien, Japan, Südkorea, Ukraine und Montenegro sich den anderen Ländern anschließen werden oder könnten, die unter dem Kommando der von der NATO geführten International Security Assistance Force (ISAF) operieren, wird bald Militärpersonal aus fünfzig Nationen von fünf Kontinenten unter einer einheitlichen Kommandostruktur Dienst tun. Nie zuvor waren Soldaten aus so vielen Staaten auf demselben Kriegsschauplatz, geschweige denn in einem einzigen Land eingesetzt. Zum Vergleich: Die sogenannte Koalition der Willigen umfaßte 2006 im Irak zwischen 26 und 34 nationale Kontingente.

1999 vollzog die NATO anläßlich des fünfzigsten Jahrestages ihres Bestehens in Washington die erste Erweiterung des einstigen Militärbündnisses aus der Ära des Kalten Krieges und nahm im Zuge der ersten von ihr geführten Operation, der Bombardierung Jugoslawiens (Operation Allied Force), drei ehemalige Mitglieder des Warschauer Paktes auf: die Tschechische Republik, Ungarn und Polen. Zwei Jahre später, nach den Angriffen vom 11. September 2001 in New York und Washington, aktivierte die NATO zum ersten Mal in der Geschichte des Bündnisses ihren Artikel 5 (»Die Parteien vereinbaren, daß ein bewaffneter Angriff gegen eine oder mehrere von ihnen in Europa oder Nordamerika als ein Angriff gegen sie alle angesehen werden wird«) und lancierte eine Reihe von Operationen: vom Einsatz deutscher AWACS-Flugzeuge zur Patrouille vor der Atlantikküste der USA bis zur Operation Active Endeavor, einem Überwachungs- und Abfangprogramm der Marine im gesamten Mittelmeer, das bis heute andauert.

Aber die Anwendung der Beistandsklausel hatte hauptsächlich den Zweck, die damals 19 Mitglieder des Militärblocks für die Invasion und Besetzung Afghanistans und die Stationierung von Truppen, Kriegsflugzeugen und Basen in ganz Süd- und Zentralasien einschließlich Kirgisien, Pakistan und Turkmenistan heranzuziehen. Neu eingerichtete Luftstützpunkte unter anderem in Bulgarien und Rumänien werden seither für den Transit von Truppen und Waffen nach Afghanistan genutzt.

Der Krieg gegen Jugoslawien 1999 war die erste »out of area«-Operation des Nordatlantikpakts – die erste Operation außerhalb Nordamerikas und des europäischen NATO-Gebiets. Der Krieg in Afghanistan markiert nun die Verwandlung des Bündnisses in eine Maschinerie zur weltweiten Kriegsführung. In den Jahren zwischen der Invasion in Afghanistan im Oktober 2001 und jetzt sind die Manager der NATO dazu übergegangen, Begriffe wie »global« und »NATO des 21. Jahrhunderts« zu gebrauchen. Der stellvertretende Außenminister der USA für europäische Angelegenheiten, Kurt Volker (später Botschafter der USA bei der NATO), skizzierte diese Entwicklung vor drei Jahren mit den Worten: »1994 war die NATO eine Allianz von 16 Ländern, die noch nie eine militärische Operation durchgeführt hatte. Bis 2005 wurde sie zu einer Allianz von 26, die in acht simultanen Operationen auf vier Kontinenten mit der Hilfe von 20 Partnern in Eurasien, sieben im Mittelmeerraum, vier am Persischen Golf und einer Handvoll leistungsfähiger Mitwirkender an unserer Peripherie agierte.«

Die aktualisierten Details dieser Expansion des Bündnisses: Von 1999 bis heute hat die NATO als neue Mitglieder aufgenommen: Albanien, Bulgarien, Kroatien, die Tschechische Republik, Estland, Lettland, Litauen, Polen, Rumänien, die Slowakei, Slowenien und Ungarn – alle in Osteuropa, neun davon ehemals im Warschauer Pakt.

Alle neuen Mitglieder wurden auf den Beitritt im Rahmen des Programms Partnership for Peace (PfP) vorbereitet, das zunächst eine Kompatibilität der Waffensysteme verlangt. Dadurch stiegen die Militärausgaben der zukünftigen Mitglieder auf zwei Prozent des Haushaltsbudgets an, gleichgültig wie hart die Nationen vom Kollaps des Ostblocks betroffen waren. Sodann wurden das Militär und die Sicherheitsdienste von »politisch unzuverlässigem« Personal gesäubert, Soldaten wurden in Militärakademien der NATO ausgebildet, es wurden Militärübungen unter Beteiligung der USA und der Allianz im Land durchgeführt, und das Offizierscorps wurde in einer gemeinsamen Sprache – Englisch – auf gemeinsame Auslandseinsätze vorbereitet.

Die zwölf PfP-Graduierten, die jetzt NATO-Mitglieder sind, haben sämtlich bereits Truppen nach Afghanistan entsandt. In Bulgarien, der Tschechischen Republik, Estland, Lettland, Litauen, Polen und Rumänien wurden Truppen auch für den Irak ausgehoben. Zudem schließt die Partnerschaft nunmehr alle anderen früheren Sowjetrepubliken außer Rußland ein: Armenien, Aserbaidschan, Belarus, Georgien, Kasachstan, Kirgisien, Moldawien, Tadschikistan, Turkmenistan, Ukraine und Usbekistan, außerdem zehn europäische Nationen, die nie zuvor einem Militärblock angehört haben: Österreich, Bosnien, Finnland, die Irische Republik, Mazedonien, Malta, Montenegro, Serbien, Schweden und die Schweiz. Alle diese Staaten außer Malta und Serbien wurden um Truppen für Afghanistan angegangen.

Die NATO hat zudem auch auf ihrem Gipfel 2004 in Istanbul mit ihrer sogenannten Istanbul Cooperation Initiative (ICI) ihren »Mediterranen Dialog« aktualisiert, dessen Partner Algerien, Ägypten, Israel, Jordanien, Mauretanien, Marokko und Tunesien sind. Diese Initiative legte auch den Grundstein für die militärische Integration der sechs Mitglieder des Gulf Cooperation Council (GCC): Bahrain, Kuwait, Oman, Qatar, Saudi Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate. Letztere sind bislang der einzige arabische Staat, der Soldaten nach Afghanistan entsandt hat.

Der Krieg in Afghanistan hat zu einer weiteren Kategorie der NATO-Mitgliedschaft geführt: derjenigen der Vertragsländer, das sind bislang Australien, Japan, Neuseeland und Südkorea.

Die Allianz unterhält darüber hinaus mit Afghanistan und Pakistan eine Tripartite Commission zur Kooperation bei der Führung des gefährlich expandierenden Kriegs auf dem Territorium beider Länder. Militärische und politische Führungskräfte werden regelmäßig zu Treffen und zur Entgegennahme von Anweisungen in das NATO-Hauptquartier nach Brüssel vorgeladen. Afghanische und pakistanische Soldaten werden auf NATO-Basen in Europa trainiert.

Singapur und die Mongolei sind ebenfalls in den globalen Konnex des Militärbündnisses hineingezogen worden: Sie haben Truppen nach Afghanistan entsandt und dem Kommando der NATO unterstellt, ohne Mitglieder formeller Partnerschaften zu sein. Zwangsläufig übernehmen sie Doktrinen und Strukturen, die NATO-Standards entsprechen.

Die 2001 beschlossene Anwendung des Beistandsartikels 5 des NATO-Vertrages führte auch zur Entsendung von NATO-Streitkräften an das Horn von Afrika, vor allen nach Camp Lemonier in Djibouti, wo sie seither ständig Operationen zur Überwachung der Schiffahrt und zum Entern von Schiffen durchführen. Letzten Herbst setzte die NATO ihre erste Marine Task Force vor der Küste von Somalia ein.

Obwohl derzeit mehr als 100.000 Soldaten unter dem Kommando der USA und der NATO in Afghanistan im Einsatz sind, hat der neu ernannte Generalsekretär der Allianz, Anders Fogh Rasmussen, am 7. August einen »offenen Aufruf zur Entsendung von mehr Soldaten« herausgegeben. Schon zwei Tage nach seiner Amtseinführung am 1. August hatte Rasmussen mitgeteilt, die westliche Allianz werde so lange in Afghanistan bleiben, wie dies nötig sei. Der britische General David Richards, inzwischen der neue Generalstabschef, konkretisierte dann, daß »es absolut keine Chance für einen Rückzug der NATO aus Afghanistan gibt« und daß sein eigenes Land dort »noch für 30 bis 40 Jahre« operieren könne. Zuvor hatte der britische Botschafter in den USA, Sir Nigel Sheinwald, Ende Juli über das militärische Engagement Großbritanniens – und implizit damit auch über die kriegerische Aktivität der NATO – am Hindukusch gesagt: »Das wird Jahrzehnte dauern.«

Der Krieg in Afghanistan hat sich zu einem geo-militärischen Einfall der USA und der NATO bis nach Süd- und Zentralasien sowie in die Region des Kaspischen Meeres ausgeweitet. Er dient als Schmelztiegel für eine integrierte, kampferprobte internationale Streitmacht, die überall in der Welt eingesetzt werden kann, wann und wo immer die politischen Kommandozentralen in Washington und Brüssel dies künftig wünschen.

Washington und Brüssel nutzen den Krieg dazu, mit ihren militärischen Strukturen in Nachbarländer Rußlands und Chinas einzudringen, deren Streitkräfte zu reorganisieren, deren Allianzen zu verändern und auf diese Weise zwei Hauptwettbewerber des Westens einzukreisen. Kasachstan zum Beispiel, in der kaspischen Region das Land mit den größten Öl- und Gasvorkommen, ist gemeinsam mit dreien seiner vier zentralasiatischen Nachbarn (Kirgisien, Tadschikistan und Usbekistan) ebenso wie Rußland und China Mitglied in der von Rußland angeführten Kollektiven Sicherheitspakt-Organisation und der Shanghai-Organisation für Zusammenarbeit. Das Eindringen von Pentagon und NATO in Kasachstan soll diese beiden Organisationen unterminieren. Es ist ein wesentliches Ziel des vier Monate nach der Gründung der Shangai-Organisation begonnenen Krieges in Afghanistan, US- und NATO-Streitkräfte in Zentralasien zu installieren, um zu verhindern, daß China und Rußland gemeinsame Sicherheits-, Energie-, Transport- und weitere Projekte entwickeln. Bemühungen führender US-Politiker und -Militärs um Kirgisien und Turkmenistan haben unter anderem dazu geführt, daß beide Länder Flughäfen für Militärtransporte zur Verfügung stellten. Ähnliche Bemühungen sind auf die Mongolei, Armenien und Georgien gerichtet, das bereits ein Bataillon US-trainierter Truppen nach Afghanistan geschickt hat.

Der Krieg wird sich noch ausweiten. Er ist der längste Krieg der USA seit Vietnam. Er ist der erste Bodenkrieg der NATO und der erste NATO-Krieg in Asien. Deutsche Bundeswehrsoldaten haben sich zum ersten Mal nach der Kapitulation der Wehrmacht am Ende des Zweiten Weltkriegs an Kampfeinsätzen beteiligt, desgleichen das finnische Militär; Finnland hat eine mehr als 1300 Kilometer lange Grenze zu Rußland und ist trotz mehrheitlicher Ablehnung seiner Bürger auf dem Weg zur NATO-Mitgliedschaft. Schwedische Streitkräfte kämpfen zum ersten Mal seit fast 200 Jahren. Kanada hat erstmals seit dem Koreakrieg Soldaten im Kampf verloren. Australien meldet erstmals seit dem Vietnam-Krieg gefallene Soldaten.

Ein Land, das an Pakistan, Iran, China und zwei zentralasiatische Länder angrenzt, ist ins Chaos gestürzt worden. Die sieben offiziellen Atommächte befinden sich entweder in unmittelbarer Nachbarschaft (China, Pakistan, Indien und Rußland) oder sind an den Kämpfen beteiligt (USA, Großbritannien und Frankreich). Einziger Nutznießer dieses Flächenbrandes ist die sich rapide entwickelnde globale NATO.

Rick Rozoff schreibt für globalresearch.ca; sein Beitrag wurde von Willy H. Wahl übersetzt, von der Redaktion gekürzt