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Titel2010

Im Trend  (Arno Klönne)

Woche für Woche eine demoskopische Gewinnbestätigung: Die Sonntagsfrage »Wen würden Sie wählen, wenn ...« bringt der grünen Partei weiter ansteigende Prozente. Ganz zuverlässig ist Meinungsforschung dieser Art zwar nicht, und wenn es ernst wird mit einer Wahl, überlegt sich manch einer noch mal, wem er seine Stimme geben soll, aber dennoch: Die Grünen sind, anders als ihre Konkurrenten, im stetigen Aufwind. Unter Abwanderung von Stammpublikum nach rechts oder nach links haben sie, anders als CDU/CSU oder SPD, nicht zu leiden, unter einer kläglichen Führungsfigur wie die FDP auch nicht, und so altbacken wie Linksparteiler treten sie nicht auf. Auf das Arrangieren von Politik als Ansammeln von Sympathien verstehen sie sich blendend: Sie »versöhnen« kapitalismuskritische Stimmungen mit dem Glauben an die Marktwirtschaft in der Botschaft vom »Green New Deal«, die sozialen Konflikte verblassen angesichts der Hoffnung auf einen grünen Kapitalismus. Um diesem näherzukommen, zeigen sie »Offenheit« in den Bündnisoptionen: Jamaika, Ampel, Rosa-Grün, Rot-Rosa-Grün, alles ist denkbar, auch Schwarz-Grün, auch im Bund, nicht gleich, aber auf längere Sicht, trotz des Merkelschen Atomdeals. Wer sagt denn, daß die Energiekonzerne sich nicht auf neue Regierungskoalitionen einstellen könnten, Demo-Sünden von einst sind dann rasch vergessen.

Überhaupt, als die bürgerliche Partei mit der besten Performance sind die Grünen längst anerkannt. »Viele, gerade Unternehmer, sagen: Es wird Zeit, daß endlich die Grünen regieren«, freut sich Ramona Pop, Fraktionsvorsitzende im Berliner Abgeordnetenhaus; die den politischen Chic der Erfolgsgrünen verkörpert.

Und die Militärpolitik, die Einsätze out of area? »Verantwortungspazifismus« ist die grüne Lösung: Um unfriedliche Länder umzuerziehen, sind mitunter bewaffnete Zugriffe unvermeidlich, wie im Fall Jugoslawien vorexerziert. Gesinnungspazifisten, die das nicht einsehen, müssen nicht ausgeschlossen werden, sie bleiben ja Minderheit und bringen immerhin Stimmen (Ströbele).

Die Grünen sind lässig im Umgang mit innerparteilichen Disziplinarfragen, flexibel im Verhalten zum außerparlamentarischen Engagement, der Toleranzspielraum ist groß, solange der Kern des Politikgeschäfts nicht berührt ist: »Regierungsfähigkeit«. Der lockere Stil entspricht dem Lebensgefühl der Kundschaft. Wählerinnen und Wähler der Grünen sind ganz überwiegend Angehörige der »neuen Mittelschicht«, gut ausgebildet, »besserverdienend«, im Dienstleistungssektor tätig, von der Sozialisation her allem Traditionalistischen abgeneigt. Um die Arbeiterbevölkerung, um Prekäre und Arbeitslose hat sich die grüne Partei nie gekümmert. »Postmaterialistisch« seien die Grünen, so die Deutung der Politologen, als diese Partei sich etablierte. In dieser Bezeichnung steckt eine ungewollte Ironie: Was wird aus den Grünen, wenn es – und das hat jetzt begonnen – auch der »neuen Mittelschicht« an den Kragen geht, ganz materialistisch? Nachhaltig ist so ein Sonntagsfragentrend nicht.