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Titel2017

Bemerkungen

Juristischer Briefwechsel

Der italienische Justizminister Andrea Orlando hat seinem Kollegen Heiko Maas einen Brief geschickt. Darin fordert er ihn auf, nun bitte endlich das italienische Gerichtsurteil zu vollstrecken, das im Mai 2016 nach jahrelangem Weg durch alle Instanzen gefällt wurde und die für den spektakulären Großbrand verantwortlichen Manager von Thyssenkrupp in Turin mit hohen Haftstrafen belegte. Ein historischer Prozess, denn erstmals wurden Unternehmer für die fahrlässige Inkaufnahme mangelnder Sicherheit am Arbeitsplatz strafrechtlich zur Verantwortung gezogen! Während die vier verurteilten italienischen Manager bereits seit über einem Jahr in Italien einsitzen, konnten sich die beiden Hauptverantwortlichen des Unternehmens, Harald Espenhahn (verurteilt zu neun Jahre und acht Monaten Haft) und Gerald Priegnitz (sechs Jahre und drei Monate) ihrer Strafe bisher entziehen, denn die Bundesrepublik hat eine Auslieferung der beiden Deutschen mit der Begründung abgelehnt, sie könnten aufgrund einer internationalen Vereinbarung ihre Strafe in Deutschland verbüßen – übrigens mit weiterer Strafminderung und nur maximal fünf Jahren Haft. Seit dieser Erklärung ist fast ein halbes Jahr verstrichen, und in Italien verfolgt man die Sache mit großer Aufmerksamkeit. Die spektakuläre Feuersbrunst in einem Turiner Stahlwerk, das von Thyssenkrupp übernommen worden war, hatte 2007 das ganze Land aufgerüttelt. Das Werk stand kurz vor der Schließung, weshalb das Management geforderte Wartungen aussetzte, die Produktion aber weiterführte. Am 6. Dezember 2007 verbrannten sieben Arbeiter bei lebendigem Leib, einige quälten sich wochenlang, bis sie den Verbrennungen erlagen. (Ossietzky berichtete in Heft 19/2008, »Die Fabrik der Deutschen«, über zwei Filme, die dazu entstanden waren.)

 

Zehn Jahre sind seitdem vergangen, die Angehörigen der Opfer und nicht nur sie fordern »Gerechtigkeit«, das heißt eine Gleichbehandlung der Täter in Europa. Damit sich in der Öffentlichkeit nicht das Orwellsche Diktum durchsetze, dass hier in Europa zwar alle gleich, aber eben einige doch gleicher als andere seien, wovor Paolo Griseri in der Repubblica vom 13. Oktober warnt.      

 

Susanna Böhme-Kuby

 

 

 

Der leere Kopf

Ein Fuchs ging in die Werkstatt eines bildenden Künstlers und durchstöberte alles, was sich dort fand. Dabei stieß er auf eine Schauspielermaske, hob sie in die Höhe und sagte: »Welch ein Kopf und hat doch kein Gehirn!«

 

An diese Fabel Äsops erinnerte ich mich, als ich in der Sächsischen Zeitung einen Beitrag von Paul Kaiser las. Das Dresdener Albertinum entsorge »die ungeliebte Kunst aus der Zeit der DDR« ins Museumsdepot, heißt es da. Mit vernichtender Arroganz und blamierender Unkenntnis ist hier wieder einmal ein barbarischer Akt vollzogen worden. Paul Kaiser stellt dazu fest: »Für ein Haus, das sich gern auf Weltniveau wähnt, muss das ein Fiasko sein. An diesem sind nicht die Pegida-Aufmärsche oder wegbleibende Russen schuld, wie die Jahrespressekonferenz argumentativ tönte, sondern wohl eher ein borniertes Selbstverständnis, das eigenen Wandlungsprozessen im Wege steht.« Statt der Kunst aus der DDR werde nun eine luftig gehängte hippe Mischung aus jüngster zeitgenössischer Kunst und ausgewählten Arbeiten der Dresdner Abstraktion gezeigt. Kaiser konstatiert ein »Bündel an Defiziten, das man nicht einfach in posthöfischer Manier schweigend aussitzen« könne (Sächsische Zeitung, 18. September 2017). 

 

Gerhard Hoffmann

 

 

Rudolf Belling in Berlin

»Der Mensch« im weniger großen, aber gewaltigen Volumen von Rudolf Belling (1886–1972) in Muschelkalk geformt: Aus dem Unterteil einer männlichen Gestalt erwachsen zwei miteinander kämpfende Oberkörper. In kubistisch dargestellter Bewegung der verschränkten Arme stoßen im Kampf immense Kräfte aufeinander, bringt die Skulptur, 1918/21 (Folkwang Museum Essen), ein raumgreifendes Sinnbild des Krieges hervor. Der Mensch wird geteilt und dadurch geschwächt, das lässt an Aristophanes‘ Mythos vom Doppelwesen, das von Zeus zerteilt wird, denken. Bei Belling aber zerteilt der Mensch, noch 15 Jahre vor Dalís Vorahnung des Bürgerkrieges, durch den Krieg sich selbst.

 

Die nur noch bis zum 29. Oktober zu sehende großartige Ausstellung führt verwandte Werke zusammen, wie »Verwundete«, »Kampf«, »Diagonalkomposition (Mann und Weib)« und »Erotik«, in denen die Genese zum Hauptwerk »Dreiklang«, 1919, abzulesen ist. In der Plastik sind reine abstrakte positive wie negative Formen zu sehen oder Figuren im gemeinsamen harmonischen Tanz, ein Paar mit verbundenem Freund, oder die Allegorie Architektur, Malerei und Plastik. Oder es klingen in Dur die große Terz und reine Quinte zusammen.

 

Mit seiner Gipsfassung des »Dreiklanges« – 1924 herrlich mit Birkenholz, auf Mahagoni gebeizt, gestaltet (Berliner Nationalgalerie) – gewann Rudolf Belling Berühmtheit und Lobpreisung: »Seht; hier ist die Jugend!« Bei der Novembergruppe zeigte damals Belling die Spitzenwerke seines Œvres, die auch hier zu sehen sind. Einige Auftragsarbeiten für Gewerkschaften zeigen starke Porträts und Figuren. Des Weiteren das witzig-kunstvolle »Bildnis Alfred Flechtheim«, ein jüdischer Galerist, mit dem er befreundet war, und der realistische Faustkämpfer »Max Schmeling«. Erstmals sind die Skulpturen mit angewandten Arbeiten ausgestellt, wie die geistvoll geschwungenen Schaufensterfiguren, denen man wünscht, zum Wiedergewinn der Fantasie wieder bekleidet zu werden.

 

Die Faschisten sonderten Bellings Kunst als »entartet« aus, vernichteten Werke. 1937 emigrierte Belling in die Türkei, wo er als Professor wirkte und Denkmäler schuf. Nach 1949 ließ Belling »In Memoriam Dreiklang«, 1966, das »Symbol der Gemeinsamkeit« wieder aufleben, wollte er aus der historisch abgebrochenen Kunstentwicklung heraus sich den neuen Aufgaben zuwenden.     

                 

Peter Arlt

 

 

Bis 29.10.17, Rudolf Belling – Skulpturen und Architekturen. Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart, Berlin, Di, Mi und Fr 10-18, Do 10-20, Sa und So 11-18 Uhr.

 

 

 

Ein Abend in der Distel

Wenn die Grundidee stimmt, geht alles. Sie stimmte. Michael Frowin (Regie und Buch) und Philipp Schaller (Buch) haben für ihr »Wenn Deutsche über Grenzen gehen« oder »Das Ziel ist im Weg«, dem 146. Distel Programm, das am 6. Oktober in Berlin Premiere hatte, einen Pfarrer, eine Schulleiterin und einen Spulenwickler auf den Jakobsweg geschickt. Irgendwo im Nirgendwo werden die drei Aussteiger durch ein heftiges Gewitter in eine Schäferhütte gespült und dort lange festgehalten – das passt ihnen gar nicht. Bald beharken sie sich, geraten in Streit. Aufgebracht offenbaren sie sich zur Lage im Land, zum Klimawandel (»diese verfluchten Regengüsse in der Trockenzeit!«), zur Flüchtlingskrise (»oh, wie sich mit den Syrern alles verdreht hat!«) und überhaupt: Überall in der Welt lodert es, wo man hinguckt brennt’s! Es scheint ihnen, dass die Demokratie zerbröckelt, und privat bröckelt es auch. »Männer«, klagt die Schulleiterin, »drei Wochen am Stück mit nur dem einen. Nicht auszudenken!« Dass sie und die beiden Männer sich dann doch zu spritzigen Songs zusammenfinden, zu humorvoll-satirischen Gesängen, dabei schön rhythmisch das Tanzbein zu schwingen verstehen, löst Lachsalven aus und stürmischen Zwischenapplaus – den haben Timo Doleys, Caroline Lux und Stefan Martin Müller auch redlich verdient, weil sie einmalig in ihrer Eigenart sind, vortreffliche kabarettistische Mimen, die den Distel-Besuch zum Erlebnis machen!   

 

Walter Kaufmann

 

 

 

Aufarbeitung

»Glaubt ihnen nicht / wenn sie euch freundschaftlich auf die Schulter klopfen / und sagen, die Unterschiede wären nicht mehr der Rede wert!« Rolf Becker begann seine Rede, indem er aus Peter Weiss‘ »Marat« zitierte. Anschließend erinnerte er daran, dass beim G20-Treffen 173 UNO-Mitgliedstaaten ausgeschlossen gewesen waren, und er stellte die Parole des Innensenators Andy Grote (SPD) vom »Festival der Demokratie« dessen späterer Drohung, es gebe »keinen Spielraum für politische Aushandlungsprozesse«, gegenüber. Ein bewegender Auftakt einer Veranstaltung zur Aufarbeitung der G20-Ereignisse Ende September im Hamburger Gewerkschaftshaus.

 

Als internes Ziel nannte die Moderatorin Corinna Genschel eine Aufarbeitung der Ereignisse durch Beteiligte. Diese Aufgabe ist wichtig, weil Die Linke in der Hamburger Bürgerschaft gegen den Widerstand aller anderen Fraktionen keinen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss, sondern nur einen Sonderausschuss durchsetzen konnte, dem geringere Rechte zustehen. Außerdem ging es in der Veranstaltung darum, dem medialen Mainstream entgegenzuwirken, indem Erfahrungen dokumentiert werden. Im ersten Block wurden juristische Auseinandersetzungen rund um die Camps erörtert. Der zweite Teil (Moderation: Tina Fritsche) stand unter dem Motto der Scholz-Behauptung »Polizeigewalt hat es nicht gegeben.« Hier berichteten AktivistInnen von der Auflösung der »Welcome to hell«-Demo, von dem Polizei-»Angriff aus dem Nichts« am Rondenbarg/Altona (kürzlich von »Panorama« nachgewiesen) und dem anschließenden Abtransport in die Gefangenensammelstelle sowie von schikanösen Busdurchsuchungen. Der letzte Teil behandelte das Thema »Solidarität und Spaltung« »im Kontext einer »von oben« betriebenen »Politik der Angst« (Moderation: Michael Ramminger). Zumindest soll die durchgängig positive Bilanz der RednerInnen festgehalten werden, die ansonsten – wie Werner Rätz (attac) – von Problemen, das Bündnis zusammenzuhalten (Ausscheren durch den Extra-Demotermin 2. Juli, Ausstieg der Grünen), und der Unerreichbarkeit der Gegenseite mit ihrer »gut organisierten Repression« zu berichten hatten. Aber auch Rätz hob positiv hervor, dass die »Hamburger Strukturen« eine größere (positive) Rolle gespielt hätten als bei anderen Großdemos. Der Vertreter von »St. Pauli selber machen« lobte die Funktion der drei Info-Center und die Ergebnisse der Stadtteilversammlung (mit 1200 Personen) danach. Die Vertreterin von »Block G20« war zufrieden, dass die Demobilisierung trotz Repressionen verhindert werden konnte. Abschließend stellten die PodiumsteilnehmerInnen fest: Der High-Tech-Staat habe seine Mittel ausprobiert. Kurz vor dem G20-Treffen beschlossene Gesetze (§ 114 [Tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte], in Verbindung mit § 113) seien angewendet worden und übten eine abschreckende Wirkung aus (»Wer einen Amtsträger oder Soldaten der Bundeswehr, der zur Vollstreckung von Gesetzen, Rechtsverordnungen, Urteilen, Gerichtsbeschlüssen oder Verfügungen berufen ist, bei einer Diensthandlung tätlich angreift, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.«). Trotz alledem habe aber die Solidarität gehalten. Nicht zu vergessen allerdings: Die Rechtsbrüche von staatlicher Seite seien (bisher) ohne Konsequenzen geblieben.

 

Es ist erfreulich, dass ein Ereignis, dass viele Menschen fast ein Jahr lang beschäftigt hat, nun eine adäquate Aufarbeitung findet.                      

 

Lothar Zieske

 

 

Enttäuschend

So gut gefallen wie seine vorangegangenen Bücher hat mir das neue von Michael Wildenhain leider nicht. Unterhielt und informierte mich der Autor bisher doch bestens über Lebensschicksale und Befindlichkeiten linker Aktivisten, ist diesmal von diesem Milieu lediglich die Hausbesetzervergangenheit seines Protagonisten, eines Literaturwissenschaftlers, geblieben. Der verliebt sich während eines Aufenthalts in London in eine wunderschöne junge Medizinerin mit indischen Wurzeln. Der Mann ist verheiratet, hat in Berlin einen Sohn und – wie sich herausstellt – auch in London einen. Es geht um Natur- und Geisteswissenschaften, biologische und soziale Vaterschaft, Erziehung, Liebe zu verschiedenen Frauen, Abhängigkeit von Chefs und um den üblichen Frust, den Alltag zu überstehen. Schließlich kommen sogar Pegida in Dresden und der Kulturbetrieb in den USA vor. Alles wird in einer merkwürdig verschachtelten Sprache zwar angesprochen, doch es fehlen Tiefgang, Substanz und vielleicht auch eine spannende Story. Schade!

 

Christel Berger

 

 

Michael Wildenhain: »Das Singen der Sirenen«, Klett-Cotta, 319 Seiten, 22 €

 

 

 

Kurz notiert

Der Wind der Veränderung ist manchmal ein Pfeifen aus dem letzten Loch.

*

Unschuld ist ein Vakuum an Erfahrung.

*

Auch Ideen haben Charakter.

 

Norbert Büttner

 

 

Walter Kaufmanns Lektüre

Mitten in Misha G. Schoenebergs Indien-Reportage »Siddhartha Highway« kommt Goethe zu Wort: »Nur wo du zu Fuß warst, bist du auch wirklich gewesen.« Richtig – hier doppelt richtig! Was schildert Schoeneberg, Songschreiber, Sprachlehrer, Südostasienwissenschaftler, der 1500 Kilometer mit 220 Thai-Mönchen durch Indien und Nepal gelaufen und über seine körperlichen Strapazen hinaus zu mentaler Erleuchtung gelangt ist, nicht alles an krassen Gegensätzen: strahlende Paläste und Müllhalden, in denen die ärmsten der Armen wühlen, Kinder in Lumpen und greise Bettler, sanfte Jünglinge und grobe Büttel mit Schlagstöcken, ausgemergelte Rikschafahrer und grazile Frauen, gewalttätige Soldaten und gütige weise Männer. Und allerlei Getier: streunende Hunde, heilige Kühe. Dazu prächtige Landschaften jenseits stinkender Flüsse, in der Sonne glitzernde Tempel und Pagoden, Städte von atemberaubender Schönheit neben finsteren Metropolen wie Kalkutta. Genug! Es reicht zu bestätigen, dass Misha G. Schoeneberg ein Prosaist erster Güte ist, der zwischen harten Fakten und dem Zauber versunkener Tage Brücken zu schlagen versteht und sein »Siddhartha Highway« zu einem Werk schöner Literatur geformt hat, zu einer Reportage, die Maßstäbe setzt.           

 

W. K.

 

 

Misha G. Schoeneberg: »Siddhartha Highway. Mit 220 Thai-Mönchen auf dem Buddha-Walk – 1500 Kilometer zu Fuß durch Indien und Nepal«, Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag, 368 Seiten, 19,99 €

 

 

 

Herbstliebe

Der Herbst hat seine Tücken.

Wind pfeift um alle Ecken,

zwingt Fraun zu Kleidungsstücken,

die die Figur verstecken.

 

 

Sie tragen plumpe Botten

und ziehen schwere Spuren.

Die herbstlichen Klamotten

entfernen die Konturen.

 

 

Mag auch der Herbstwind brüllen

und sie im Pelz vergraben.

Eins lässt sich nicht verhüllen,

das Herz. Wenn sie eins haben.

 

Günter Krone

 

 

 

»Endstation Grenzzaun?«

1942. »Großdeutschland« hat die angrenzenden Länder, soweit nicht verbündet, unterjocht. Bis auf ein Land: Für alle, die aus dem Nazireich flüchten müssen, bleibt die Hoffnung auf die freie Schweiz. Und flüchten müssen viele Deutsche oder zu Undeutschen Erklärte, aber auch zwangsweise festgehaltene Ausländer/innen.

 

Zur Schweiz hin bildet zwar der Rhein als Grenzfluss eine schwer zu überwindende Barriere, doch Teile der Nordschweiz liegen auf rechtsrheinischer Seite. Vor allem angesichts flüchtender Soldaten und Zwangsarbeiter beschließt das Deutsche Reich deshalb mitten im Zweiten Weltkrieg, seinen äußersten Südwesten zusätzlich abzuriegeln. Mit Hilfe des Reichsarbeitsdienstes, also durch etwa 17-jährige Burschen, wird vor 75 Jahren ein über mannshoher und mehrere Meter tiefer kilometerlanger Stacheldrahtverhau gebaut.

 

Nach einem Dreivierteljahrhundert sind jetzt erstmals öffentlich Aufnahmen vom Bau des monströsen Stacheldrahtzauns zu sehen. Sie stammen aus dem Nachlass des damaligen Bauleiters, der das Fotografierverbot im Grenzsperrgebiet offenbar umgehen durfte. Die Dokumentationsstelle Riehen (Schweiz) und das Kreisarchiv Lörrach haben die überlassenen Fotografien zum Anlass für eine gemeinsame Ausstellung genommen. In deren Mittelpunkt stehen Flüchtende und ihr unterschiedliches Schicksal an der Grenze sowie einzelne der Forschung noch nicht lang bekannte Fluchthelfernetzwerke.

 

Der Eröffnungsvortrag der Historikerin Martina Voigt von der Gedenkstätte »Stille Helden« (Berlin) behandelte damalige Berliner Fluchthilfenetzwerke mit ihren südwestdeutschen Kontakten, während der Basler Geschichtsprofessor Georg Kreis beim Schweizer Teil der Ausstellung über »Chancen und Fallstricke eines binationalen Ansatzes« referieren wird (18. November, 14 Uhr, Bürgersaal Riehen).           

 

I. D.

 

 

Ausstellung »Endstation Grenzzaun? Flucht zwischen Rettung und Tod«: Noch bis 16.11. im Foyer des Landratsamts Lörrach (Palmstr. 3) und vom 17.11. bis 1.12. im Bürgersaal Riehen/Schweiz (Wettsteinstr. 1) zu den Öffnungszeiten der Amtsgebäude. Kostenlose Führung am 26.10. sowie am 2., 9. und 16.11. ab 15 Uhr (Landratsamt).

 

 

 

Moskauer Nächte

lockern die Zunge. Auch jene der über alle Zweifel erhabenen Korrespondenten unserer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten.

 

Anlässlich der Moskaureise des tatterigen Saudi-Herrschers Salman ibn Abd al Aziz, eher bekannt als Erzeuger des Kronprinzen und De-facto-Regenten Mohammed bin Salman, verlautete aus dem Umfeld der Kollegin G. A. zu vorgerückter Stunde Vertrauliches aus saudischen Palastrankünen: Merkels Lieblingsautokrat habe trotz ermüdender Gymnastik auf dem Moskauer Flughafen – die goldene Rolltreppe seiner Boeing war ausgefallen – eine alarmierend unruhige Nacht verbracht. Der Alte habe sich nämlich verstohlen in die (im Kreml gestatteten) Nachrichten von Al Jazeera gezappt und fassungslos »et tu mi fili« gestöhnt (»wieder mal du, mein Sohn!«), wenn auch mit dem Akzent der Wüstensöhne. Seine Ärzte sollen ihm aber sofort die Fernbedienung entrungen und wieder das verordnete Mickey-Mouse-Programm eingestellt haben.

 

Der Vorzeigekönig, so hieß es weiter, entsetzte sich aber nicht über Salman Juniors Fehlschläge im Jemen, über dessen Gespräche mit dem Iran und den Katar-Schlamassel, auch nicht über den Preis der russischen S-400-Raketen oder die 100. saudische Enthauptung im laufenden Jahr, sondern einzig und allein über seines Sprösslings unerhörte Entscheidung, das Haushaltzubehör Frau ans Lenkrad zu lassen. »Er fresse Schweinefleisch«, zürnte Seine Majestät, wenn dahinter nicht dieser gottlose Lawrow stecke, die Russen seien schließlich an allem schuld, auch an der kaputten Rolltreppe (»da hat er allerdings Recht« meinte unser ARD-Informant – er muss es ja wissen).

 

Weitere Recherchen ergaben, dass Prinz Salmans gewagter Alleingang auch hektische Reaktionen unter deutschen, chinesischen und japanischen Fahrzeugherstellern auslöste: Der vollverschleierten Fahrerin im Burka muss ja ein ausreichendes Sichtfeld garantiert werden, außerdem unbehindertes Bremsen, ohne dass auch nur ein Zentimeter ihres Fußes sichtbar wird. »Wir sind da gut aufgestellt«, teilte der Sprecher eines großen süddeutschen Autobauers mit, »unsere konkurrenzlose Burkamatic erlaubt elektronische Rundumsicht von 360 Grad und Bremsen ohne jede Beinarbeit. Ein kleiner spitzer Schrei von etwa drei Kilohertz bringt selbst unsere gepanzerten High-end-Modelle sicher zum Stehen – unabhängig von sunnitischem, schiitischem, wahabitischem oder sonstigem Akzent«. Die Burkamatic wird inzwischen von Fachfrauen des TÜV geprüft und soll demnächst auch in Deutschland erhältlich sein. Erstmals nach dem Diesel-Flop schlossen die Automobilwerte im satten Plus.                        

 

Wolf Gauer