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Titel2108

Clever Joe  (Walter Kaufmann)

Schon das erste Wort, das der korpulente Mann an mich richtete, wies ihn als Amerikaner aus. Schwachköpfe, sagte er, in diesem Land wird jede Minute einer geboren. Verächtlich wies er irgendwo in die neblige Landschaft, die der Dover-London-Expreß zügig durchquerte, dann schickte er sich an, seinen Koffer im Gepäcknetz zu verstauen. Als er es geschafft hatte, setzte er sich hin, knöpfte seinen Sakko auf und löste den Schlips. Joe Sutler aus Florida, stellte er sich vor. Ich hielt mich zurück. Brauchen wohl Beweise? fragte er. Abrupt stand er auf, holte mühsam den Koffer wieder runter und ließ den Deckel aufschnappen. Reihenweise zwischen Wattepolstern lagen Whiskyflaschen gestapelt. Jetzt staunen Sie, was! Er schloß den Koffer und hievte ihn wieder ins Gepäcknetz. Preiswerter ging’s nicht – alles zollfrei. War nur eine Frage der Menschenkenntnis.

Er begann zu schildern, wie er an der Grenze mit dem britischen Zollbeamten verfahren war. Der habe ihn prompt gefragt, was er mit sich führte, worauf er ihm augenzwinkernd geantwortet habe: Alles Whiskyflaschen. Als er sich umständlich anschickte, den Koffer zu öffnen, habe der Beamte nur abgewinkt und seine Kreidezeichen aufs Leder gemacht. Damit war die Sache gelaufen, sagte Sutler. Der Beamte, dieser Idiot, glaubte doch keine Sekunde an die Whiskyflaschen. Aber keiner kann jetzt behaupten, daß ich gelogen habe. Hab ja den Plunder nicht verheimlicht. Mit Menschenkenntnis ist eben hierzulande noch viel zu machen.

Ich weiß nicht, warum er mir imponieren wollte, jedenfalls gab er, kaum daß er sich wieder gesetzt hatte, eine Reihe Tricks preis, mit denen es ihm binnen kurzer Zeit gelungen war, hundert Pfund in ein beträchtliches Vermögen zu verwandeln. Am besten fuhr ich, als ich zu inserieren anfing, sagte er mir. Danach brauchte ich nur noch auf den Zaster zu warten.

Es wurmte ihn, daß ich keine Fragen stellte. Verärgert sah er mich aus seinen wäßrigblauen Augen an. Wohl nicht scharf auf ein paar Tips? fragte er. Könnten Ihnen nur nutzen. Liegt nämlich kein Patent drauf.

Ich begriff selbst schon nicht mehr, warum ich nicht anbiß. Er wirkte gekränkt. Sich vorbeugend, stach er mir den Zeigefinger in die Brust. Auf den Gedanken mit den Anzeigen soll erst mal einer kommen, rief er. Nach jedem Gang zum Postfach brauchte ich nur noch die Geldanweisungen einzulösen und die
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Kein Grund zur Panik!
Der Kapitalisten Pflicht ist,
Den Kapitalismus zu machen:
»Die momentanen Reaktionen an den Börsen
Sind völlig übertrieben. Die reale Wirtschaft ist gesund.«
Der Kapitalisten Hand nimmt,
Bis Staaten zusammenkrachen:
»Eine solch globale Krise hat es noch nie gegeben.
Dies war überhaupt nicht vorhersehbar.«
Der Kapitalisten Lust ist
Das Kaufen unnützer Sachen:
»Deutschland hat als Exportweltmeister alle Chancen,
Gestärkt aus der Krise hervorzugehen.«
Der Kapitalisten Spaß ist,
Bettler auszulachen:
»Jeder Mitarbeiter kann seinen Resturlaub nehmen,
Es gibt keine Aufforderung zu verzichten!«
Der Kapitalisten Not ist
Ihr nimmersatter Rachen:
»Wir sollten nicht glauben, daß diese Krise
In ein paar Monaten zu Ende ist.«
Der Kapitalisten Fluch ist,
Not und Krieg zu entfachen:
»Es besteht kein Grund zur Panik!«
Der Kapitalisten Pflicht ist,
Menschen zu Tieren zu machen:
»Deshalb verzichtet der Vorstand symbolisch
Auf zehn Urlaubstage, und einige unserer Mitarbeiter
Schließen sich dem an.«

Martin Petersen
Zitiert sind Sätze des Vorstandssprechers der Computerfirma SAP, Henning Kagermann, aus Bild vom 11. 10 2008
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Bestellungen abzuschicken. Er hielt inne, um die Wirkung abzuwägen, und fuhr dann unaufgefordert fort, er habe der englischen Männerwelt französische Postkarten aus der berühmten Madeleine-Serie versprochen. In Schwarzweiß oder herrlichen Naturfarben! Was sich die Männer darunter vorgestellt hätten, könne ich mir ja denken. Na, was schon? Mann Gottes – die Fotos von nackten Puppen natürlich. Pornos, was sonst!

Richtig. Was sonst? bestätigte ich. Offensichtlich erleichterte es ihn, daß ich endlich reagierte. Er lachte. Falsch geraten, sagte er. Werd mich doch nicht in die Nesseln setzen. Was die Idioten für ihr Geld kriegten, waren Ansichtskarten von der Sainte Madeleine – einer Kirche in Paris. Davon hatte ich mir ein paar tausend drucken lassen und in dem Koffer hergebracht, wo jetzt der Whisky steckt. Völlig legal. Schließlich gibt’s kein Gesetz gegen Ansichtskarten. Hab das Geschäft sogar angemeldet und Steuern bezahlt.

Ich mußte lachen. Und nie Ärger mit der Kundschaft gehabt? Bewahre! Bei so einem Reinfall traute sich doch keiner, auch noch Krach zu schlagen. Und als mein Vorrat von Ansichtskarten schlapp machte, dachte ich mir was anderes aus. Wieder ein paar Anzeigen, diesmal für die holde Weiblichkeit. Viel klüger als die Männer zeigte die sich auch nicht. Jedenfalls segelten wieder Geldanweisungen in mein Postfach. Wenn ich es Ihnen sage! rief er, als er meinen skeptischen Ausdruck sah. Was jedes junge Mädchen vor der Ehe wissen muß, stand da geschrieben und der Preis gleich mit. Zehn Pfund. Die Kochbücher, die ich mir haufenweise vom Versandhaus bestellt hatte, kosteten mich aber nur fünf pro Stück. Da sprang ganz schön was ab.

Clever Joe, sagte ich, was ihn freute. Jetzt sind sie sprachlos! rief er, und während der Zug langsam in London einlief, verbreitete er sich noch einmal über die Sorte Menschen in England, die nur darauf warteten, reingelegt zu werden. Glauben Sie mir, sagte er, den großen Haien entgehen die sowieso nicht. Sollte es mich da jucken, wenn ich sie vorher noch ein bißchen schröpfe? Er wartete meine Antwort nicht ab, wünschte mir gute Weiterfahrt, eine ersprießliche Zukunft, und dann verließ er das Abteil.