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Abschied vom Kulturhaus  (Wolfgang Helfritsch)

Wer ist hier nicht alles aufgetreten: die Jazzer Ruth Hohmann und Karl-Heinz Drechsel, die unvergleichliche Helga Hahnemann, die Kabarettisten Dietrich Kittner, Gisela Oechelhäuser und Martin Buchholz, die Karikaturisten Harald Kretzschmar und Manfred Bofinger, die Schriftsteller Hermann Kant, Gerhard Branstner und Rudi Strahl, die Satiriker Ernst Röhl und Peter Ensikat, die Pianisten und Komponisten Manfred Rosenberg und Werner Busch und viele andere.

In Karlshorsts Gründerzeit 1897 als »Königs Restaurant und Festsäle« errichtet, wurde das spätere Kulturhaus über die Kiezgrenzen hinaus als repräsentatives Tanz- und Vergnügungslokal begehrt. Den Saal eroberte sich von 1920 bis 1943 die Lichtspielkunst, im »Gloria-Palast« liefen noch bis kurz vor Kriegsende Propagandafilme der Nazis. Da hatte das Vorderhaus durch Bombeneinwirkungen schon seine Kuppel eingebüßt.

Nach der nur wenige hundert Meter vom Haus entfernt besiegelten Kapitulation des »tausendjährigen Reiches« diente das Gebäude als »Haus der sowjetischen Offiziere« und in der DDR-Ära ab 1966 als Kreiskulturhaus Lichtenberg – denn Lichtenberg ist der Berliner Stadtbezirk, zu dem Karlshorst gehört. Engagierten Kulturmenschen und einsichtigen Kommunalpolitikern ist es zu danken, daß das Kulturhaus im Gegensatz zu vielen ähnlichen Einrichtungen die »Wende« überstand. Die Musikschule, der Jazztreff Karlshorst, der Ernst-Busch-Chor, die Canzonetta-Chöre, das »Theater der Träume«, das deutsch-russische Ensemble »Lyra«, der Berliner Schiffahrtschor, der Kammerchor Karlshorst, Zeichenzirkel und Lesebühnen und nicht zuletzt das aus dem Haus des Lehrers am Alexanderplatz ausgewilderte »Theater im 12. Stock«, das als »ZK – Zimmertheater Karlshorst « weit über Berlin hinaus bekannt wurde, fanden im angebröckelten Flair des Eckhauses Treskowallee/Dönhoffstraße eine neue Heimat und alte und neue Nutzer. Und das für weitere fast 20 Jahre.

Aus unterschiedlichen Anlässen bündelten die Vereine ihre Möglichkeiten in gemeinsamen Aktivitäten, so in einem Solidaritätskonzert für die Tsunami-Opfer oder in der Revue »Ein Kessel Buntes gegen braune Brühe« gegen den Neonazi-Marsch durch Lichtenberg im Dezember 2008. Während im Saal die Revue lief, trug die Staatsgewalt vor der Tür alle diejenigen von der Straße, die die genehmigte Marschstrecke sitzend blockierten.

Eine Augenweide war der im Krieg lädierte, danach wieder in funktionsfähigen Zustand versetzte Musentempel nicht. Außen bröckelte der Putz, einige Fenster öffneten sich entweder von selbst oder überhaupt nicht, und innen suchte sich das Wasser häufig einen bequemeren Weg außerhalb der Leitungen.

2006 leitete die Bezirksverwaltung ein Interessenbekundungsverfahren für private Investoren ein, 2008 beschloß die Lichtenberger Bezirksverordnetenversammlung, das Kulturhaus in einen Neubau an bewährter Stelle einzugliedern. Die Presse verbreitete Wahr- und Halbwahrheiten über das Vorhaben und trug dazu bei, die Besucher zu verunsichern und von den Veranstaltungen fernzuhalten. Ein Verein nach dem anderen suchte nach einer neuen Bleibe. Ende September war mit dem 6. Lichtenberger Chorsommer und einer Abschlußgala der Kehraus angesagt, eine vom Bürgerverein Karlshorst angeregte Podiumsdiskussion sollte über Details des Neubauvorhabens informieren. Die zuständigen Lichtenberger Stadträte für Kultur und Stadtentwicklung standen für Rede und Antwort zur Verfügung, der Investor und der Architekt glänzten durch Abwesenheit, ließen aber alle herzlich grüßen. Das war kein gutes Omen für das Kulturprojekt, das sowieso gegenüber dem alten wesentlich verkleinert wird. Dafür werden Büros, die Sparkasse und Supermärkte einziehen, wodurch sich der Leerstand an der Treskowallee von einem Eckhaus in das andere verlagern könnte.

Ob sich die am alten Standort interessierten Vereine die neuen Konditionen werden leisten können, bleibt ungewiß. Eines scheint jedoch sicher: Einen vergleichbaren Treffpunkt für Kunst, Kultur und Begegnungen wie das nun dichtgemachte Kulturhaus wird es in Karlshorst nicht wieder geben.

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Gleich zu Beginn der 1990er Jahre wurden in Ostdeutschland hunderte Kulturhäuser geschlossen. Viele verfallen allmählich, zum Beispiel das stattliche in Ostseebad Zinnowitz. Schaurig anzusehen ist auch das nach dem Weltbühne-Autor Peter Edel benannte in Berlin-Weißensee, das noch bis in die letzten Jahre hinein genutzt wurde; jetzt wird es zur Ruine. Andere sind inzwischen abgerissen – wie der Palast der Republik im Berliner Bezirk Mitte, der in DDR-Zeiten ein höchst lebendiges Zentrum für Kunst und Kultur war – was das geplante Schloß nie sein wird. Und die Wiedererrichtung der Potsdamer Garnisonkirche, der Weihestätte des Bündnisses von Militär, Kirche und Faschismus, kann uns schon gar nicht über den allgegenwärtigen Kulturabbau hinwegtrösten.