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Titel2116

Einzelwirtschaftliche Rationalitätsfalle  (Heinz-J. Bontrup)

Nicht weniger problematisch als der kapitalistisch immanente Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit ist als ökonomisches Grundproblem die einzelwirtschaftliche Rationalitätsfalle. Diese zeigt, dass die betriebswirtschaftlichen Entscheidungen von Unternehmern zur Maximierung ihrer Profite in der Regel zu gesamtwirtschaftlich kontraproduktiven Ergebnissen führen. Es ist für jeden Unternehmer völlig rational, ständig danach zu trachten, die Löhne der Beschäftigten absolut und relativ zu senken und gleichzeitig noch die Arbeitszeiten zu verlängern. Dies wird den Profit des Unternehmers steigern, und/oder er senkt damit seine Produktpreise, um somit im Wettbewerb Vorteile zu erzielen. Ein solches einzelwirtschaftliches Vorgehen ist isoliert betrachtet rational und hochwahrscheinlich auch erfolgversprechend. Da es deshalb aber alle Unternehmer machen, schlägt der vermeintliche Vorteil für alle regelmäßig ins Gegenteil, in einen gesamtwirtschaftlichen Nachteil, um. Der Grund: Hierdurch kommt es schlicht und ergreifend zu einem Ausfall an Konsumnachfrage, und dieser wird auch nicht durch eine vermehrte profitinduzierte Investitionsnachfrage kompensiert. Denn: Unternehmer investieren nur, wenn sie für ihre Investitionen eine profitträchtige Nachfrage- und Auslastungserwartung haben.

 

Damit erteilt die einzelwirtschaftliche Rationalitätsfalle allen immer wieder zu lesenden naiven Bemühungen, die kapitalistisch immanente Krise personalisieren zu wollen, eine deutliche Absage. Den Unternehmer für seine einzelwirtschaftliche Profitverfolgung oder – wie gerade besonders en vogue – die Banker und Finanzmanager für die weltweite Wirtschafts- und Finanzkrise verantwortlich zu machen, hat mit ökonomischem Sachverstand nur wenig zu tun. Karl Marx hat dazu 1867 alles Notwendige in seinem Vorwort zum »Kapital« gesagt: »Zur Vermeidung möglicher Missverständnisse ein Wort. Die Gestalten von Kapitalist und Grundeigentümer zeichne ich keineswegs in rosigem Licht. Aber es handelt sich hier um die Personen nur, soweit sie die Personifikation ökonomischer Kategorien sind, Träger von bestimmten Klassenverhältnissen und Interessen. Weniger als jeder andere kann mein Standpunkt, der die Entwicklung der ökonomischen Gesellschaftsformation als einen naturgeschichtlichen Prozess auffasst, den einzelnen verantwortlich machen für Verhältnisse, deren Geschöpf er sozial bleibt, sosehr er sich auch subjektiv über sie erheben mag.«

 

Die einzelwirtschaftliche Rationalitätsfalle steht als ökonomisches Grundproblem auch für das Spar-Paradoxon in der Wirtschaft. So kann der einzelne private Haushalt weniger ausgeben, als er einnimmt, also sparen, um damit sein Vermögen zu erhöhen. Das gelingt auch einzelwirtschaftlich (individuell), da die jeweiligen Ausgabensenkungen eines oder auch mehrerer privater Haushalte gesamtwirtschaftlich unbedeutend sind. Wenn aber alle oder die Mehrheit der Haushalte sparen, dann vermindern sie insgesamt auch die Einnahmen aller, und es kommt zu einer Krise, so dass sie am Ende, trotz ihres Sparens, ein geringeres Vermögen haben, es also zu einem Spar-Paradoxon kommt. Übersteigt hier die gesamtwirtschaftliche Ersparnis die Summe der getätigten Investitionen, dann muss, soll es nicht zu einer womöglich dramatischen Wirtschaftskrise kommen, der Staat durch Steuern und/oder Staatsverschuldung und das Ausland die Ersparnisse durch Importüberschüsse (= Auslandsverschuldung) die binnenwirtschaftliche Überschussersparnis abschöpfen und in Nachfrage umwandeln. In einer offenen Volkswirtschaft mit Auslandsaktivitäten gilt nun einmal der Lehrsatz, dass die Nettoinvestitionen (Bruttoinvestitionen minus Abschreibungen) plus Exporte und minus Importe immer gleich groß der gesamtwirtschaftlichen Ersparnis sind.

 

Dies zeigt dann auch (ex post) der empirische Befund der deutschen Wirtschaft von 1991 bis 2014. Demnach haben die privaten Haushalte (inklusive der Personengesellschaften und Einzelunternehmen sowie die privaten Organisationen ohne Erwerbszweck) einen Vermögenszuwachs von 2.388,4 Milliarden Euro realisiert. Auch die Finanzinstitute (Banken, Versicherungen und Fonds) konnten ein zusätzliches Vermögen in Höhe von 352,0 Milliarden Euro verbuchen. Was die einen an Vermögen haben, müssen aber andere schulden. Der Saldo von Vermögen und Schulden in einer Volkswirtschaft ist immer null. Ohne Schuldner könnte in einer Volkswirtschaft niemand Überschüsse erwirtschaften, und ohne den Kredit gäbe es keine wirtschaftliche Entwicklung, sondern nur eine stationäre Wirtschaft ohne innovative Prozesse. So haben dann auch die nichtfinanziellen produzierenden Kapitalunternehmen in Deutschland von 1991 bis 2014 zusätzliche Schulden von 155,7 Milliarden Euro gemacht. Die beiden größten Schuldner waren aber das Ausland mit 1.437,3 Milliarden Euro und der Staat mit 1.147,4 Milliarden Euro. Die Überschüsse (Vermögen) der privaten Haushalte und des Finanzsektors konnten also nur durch Staats- und Auslandsverschuldung sowie eine Verschuldung der nichtfinanziellen Kapitalgesellschaften kompensiert beziehungsweise die Gleichung von Vermögen und Schulden erfüllt werden.

 

Geld und Kredit zirkulieren dabei aber nicht nur im realwirtschaftlichen Kreislauf zur Entfachung sofortiger Kaufkraft, der heute keine produzierte Gütermenge entspricht, sondern auch auf hochspekulativen Finanzmärkten. Dies umso mehr, wenn die produzierenden Unternehmen keine Nachfrage- und Profiterwartung aus realen Investitionen in Maschinen und Fabrikanlagen haben. Das bei wenigen hochkonzentrierte und im neoliberalen Duktus umverteilte Geld und Vermögen findet dann nicht umfänglich den direkten Weg zurück in die produzierende und real investierende Wirtschaft. So haben allein von 2002 bis 2014 die produzierenden nichtfinanziellen Kapitalunternehmen in Deutschland einen Finanzierungsüberschuss, eine Überschussliquidität, in Höhe von 347,5 Milliarden Euro erzielt, nachdem sie alle realen Investitionen getätigt, alle in den Jahren zurückzahlbaren Schulden getilgt und Gewinne an die Shareholder ausgeschüttet haben. Das heißt im Ergebnis: Sie brauchten keinen Kredit für ihren realwirtschaftlichen Produktionsprozess. Das so überschüssige Geld wurde in Folge im Finanzsektor angelegt. Hier soll das Geld (G) dann durch Zinsen und Spekulationen mehr Geld (G‘) machen (G – G‘), was mangels Anlagemöglichkeiten in der Realwirtschaft immer schwieriger wird. Das Geldangebot findet so keine Nachfrage und führt am Ende, wie gerade realiter gegeben, zu Negativzinsen. Der Mehrwert (Gewinn, Zins und Grundrente), hier der Zins, kann nun einmal nur in der real produzierenden Wirtschaft durch Menschen und Kapitaleinsatz erarbeitet werden. Diesen unumstößlichen ökonomischen Zusammenhang hat einmal mehr die 2007 in den USA ausgebrochene Subprime-Krise und ihre Ansteckung vor allem in Europa überdeutlich gemacht. Verstehen tun das aber offensichtlich nur ganz wenige.