erstellt mit easyCMS
Titel2117

Ein Blasinstrument unterm Weihnachtsbaum  (Ralph Hartmann)

»Ich weiß nicht, was soll es bedeuten, dass ich so traurig bin«, so beginnt Heinrich Heines Gedicht »Die Loreley«. Auch mir ist ein wenig traurig zumute. Aber im Unterschied zum Dichter, der die Ursache kennt, denn ein Märchen aus uralten Zeiten kommt ihm nicht aus dem Sinn, ahne ich lediglich den Grund für meine leichte Schwermut.

 

Der Herbst neigt sich dem Ende zu. Die Bäume verlieren ihre letzten bunten Blätter. Die Farbenpracht in den Parks und Alleen der Bundeshauptstadt ist vorüber. Das allerdings wäre zu verschmerzen, wenn damit nicht auch die wunderbaren Klänge eines Instrumentes immer seltener zu hören sind, um dann auch bald völlig zu verstummen. Ja es ist schon eine Crux, im Frühling lärmen die männlichen Amseln, die mitten in der Stadt meist schon vor Beginn der Morgendämmerung bis spät am Abend ihren melodiösen, aber leider lauten Gesang darbieten, um möglichen Rivalen mitzuteilen, dass das Revier bereits besetzt ist. Nicht selten stört und verkürzt ihr weithin hörbarer Reviergesang die Nachtruhe. Glücklicherweise werden sie im Sommer stiller, um schließlich vorübergehend völlig zu schweigen.

 

Dann aber beginnt die Herbstzeit und mit ihr der betörende Wohlklang des eingangs erwähnten Instrumentes, des allseits beliebten Laubbläsers. Was sind das doch für unvergleichlich zauberhafte Töne. Erklingen sie, so schlägt mein Herz vor lauter Freude schneller. Übertrieben wäre es, sie mit Beethovens »Neunter«, vor allem mit den Schlussakkorden »Freude, schöner Götterfunken, Tochter aus Elysium« zu vergleichen. Doch ihr melodisches Röhren, Kratzen und Fauchen erinnern mich zuweilen an von mir verehrte Sänger, an Reinhard Lakomys Gesangsstücke, die er ein wenig rau und doch so menschenfreundlich vortrug, und an die Reibeisenstimme von Louis Armstrong. Was kann es Schöneres geben als das zauberhafte Getöse und Fauchen des Laubbläsers, wenn er mit einer Blasgeschwindigkeit von bis zu dreihundert Kilometern pro Stunde und einem Schalldruckpegel von zuweilen mehr als 100 dB (A) seine so nützliche Arbeit verrichtet und in Parks, auf Gehwegen und sogar auf Kinderspielplätzen das massenhaft angefallene Laub zusammentreibt. Hin und wieder beneide ich die Laubbläserbläser, die jedoch auf beiden Ohren einen Gehörschutz tragen müssen und so um den vollen Genuss der herrlichen Töne gebracht werden.

 

Wenn ich in geschlossenen Räumen bin und in der Ferne die Laubbeseitiger höre, dann reiße ich die Fenster auf, um mich darüber zu freuen, was menschlicher Geist erfunden hat, kluge Unternehmer aus lauter Menschenliebe, keinesfalls aus üblem Gewinnstreben, produzieren lassen und vor allem die Baumärkte sowie der Online-Handel feilbieten. Dabei sparen sie weder Zeit noch Mühe, um die Bundesbürger, vor allem die Gartenfreunde und die Grünflächenämter, mit diesem einzigartigen Klangkörper auszurüsten.

 

Amazon hat sich sogar aus lauter Kundenliebe nicht gescheut, für seine verehrte Kundschaft die wichtigsten Laubbeseitigungsprodukte auf einer Sonderseite vorzustellen, so dass man auf einen Blick sieht, welches Produkt das Beste ist beziehungsweise das heutzutage so wichtige optimale Preis-Leistungs-Verhältnis bietet. Schnäppchenjägern wird so die Suche erleichtert. Weit vorn liegt dabei ein Gerät von »Gardena« mit einer Leistung von 3000 Watt, einer Blasgeschwindigkeit von 310 Kilometern pro Stunde und einem Preis von lediglich 90 Euro. Kein Wunder, dass bei solchen Preisen Gartenbesitzer, die zugleich einen feinen Sinn für dröhnende, harmonische moderne Musik haben, auf Teufel komm raus zugreifen und sich so die Arbeit erleichtern. In der DDR gab es diese Möglichkeiten nicht, es musste noch auf primitive althergebrachte Art geharkt und gekehrt werden. Doch zum Glück kommen nun auch die Ostdeutschen in den Genuss zivilisatorischer Errungenschaften.

 

Umso verwunderlicher ist es, dass unmusikalische, hörgestörte Bundesbürger in Ost und West immer aufs Neue versuchen, das liebliche Laubbläserinstrument verbieten zu lassen. Nichtige Gründe führen sie an. Sie verweisen auf den angeblich krankmachenden Lärm, der dem eines startenden Flugzeuges gleichkomme; sie behaupten, dass die überaus nützlichen Geräte gefährlichen Feinstaub aufwirbeln, Dreck und Kot in die Atemluft befördern würden. Daran, wie viele Arbeitsplätze in den Herstellerfirmen und deren Profit durch ein Verbot gefährdet würden, daran denken sie bei ihren eigennützigen Forderungen nicht. Zur Freude aller Bläserfreunde und Liebhaber eines einzigartigen Sounds sind all diese Versuche bisher gescheitert. Eine unrühmliche Ausnahme ist die Stadt Graz, in der seit dem 1. Oktober 2014 Laubbläser verboten sind.

 

Was mich anbelangt, so bedaure ich zutiefst, dass die traumhaften Bläsertöne in der Regel nur im Herbst zu hören und zu genießen sind. So habe ich denn beschlossen, an die erste Stelle meines diesjährigen Weihnachtswunschzettels einen Laubbläser zu setzen. Dann kann ich mich zu jeder Jahreszeit der Klänge erfreuen und die Nachbarn kostenlos daran teilhaben lassen. Auch in anderer Hinsicht könnte dieses originelle Geschenk von Nutzen sein. Da die kleine erzgebirgische Weihnachtspyramide trotz bester Kerzen häufig nicht geruht sich zu drehen, könnte ich den Laubbläser als Hilfskraft einsetzen. Eine Blasgeschwindigkeit von 310 Kilometern pro Stunde dürfte wohl ausreichen.