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Titel2308

Bubeneid aufs Vaterland  (Otto Köhler)

Niemand auf dieser Welt kann letzte Sinnfragen besser beantworten als Theo Sommer, der Editor-at-large, der Redakteur fürs Große von der Hamburger Wochenzeitung Die Zeit. Er flog nach Afghanistan zum, wie sein Blatt schreibt, »Einsatz am Hindukusch«. Dort, am »gefährlichsten Einsatzort der Bundeswehr«, setzte er sich – ein Foto bezeugt es – deren Helm auf, zog sich die Uniformjacke an und ging so eingebettet in seinen Einsatz:

»Die Fallschirmjäger ... drei Züge in Kundus – sind prächtige Burschen, ob Hauptfeldwebel, Hauptmann oder Gefreite. Die blutigen Vorfälle der jüngsten Zeit haben sie gebeutelt, aber auch zusammengeschweißt. Befehl? Auftrag? Das Ziel, Afghanistan zu stabilisieren? Gewiß. Aber was sie Tag für Tag aufrechterhält, ist nicht die große Strategie, das hehre politische Ziel. Es ist der Zusammenhalt der Kameraden.«

Ein Leser von Zeit-online zitierte diesen Original-Sommer-Satz, hob die entscheidenden Stellen hervor und schrieb: »Sorry, aber das letzte Mal, als ich so einen schwülstigen Schmus gelesen habe, da war ich in der Bibliothek und hatte einen Band gebundener Zeitungen von Mitte 1942 vor mir (›Festung Sewastopol gefallen!‹).« Mehr ist, hier bei Zeit-online, nicht zu lesen. Nur dieser Klammersatz: »(entfernt. Bitte verzichten Sie auf persönliche Angriffe und bleiben Sie in Ihrer Argumentation sachlich. Die Redaktion/jk)«.

Ich weiß nicht, was die Zeit-Redaktion aus dem Brief des Lesers entfernt hat, fühle aber ein Bedürfnis, mich freudig jedem Urteil des so Zensierten anzuschließen, wenn es tatsächlich einen persönlichen Angriff auf den Editor-at-large enthielt. Dem Ausmaß der Unsachlichkeit mag ich da keine Grenzen setzen.

Grenzen setzt dagegen dem Editor-at-large zwei Wochen später – freilich völlig unmaßgeblich – der Zeit-Herausgeber Helmut Schmidt, dem Pazifismus vorzuwerfen grobes Unrecht wäre. Er wendet sich gegen den deutschen Interventionismus, ob auf dem Balkan oder am Hindukusch, und schreibt: »Der klügste Interventionist ist Alexander der Große gewesen; er kam von Westen, dem heutigen Iran, ins Land und ging anschließend über den Khyberpass im Osten wieder hinaus.«

Doch auf der Seite gegenüber agitiert die Zeit-Redaktion gegen ihren Herausgeber mit einem Gespräch, für das sie einen ihr Näherstehenden als Schmidt, nämlich den »ranghöchsten deutschen Soldaten« Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan gewonnen hat. Redaktionsmitglied Hanns-Bruno Kammertöns darf mit ihm (»Ein Mann, der die Medien gern meidet«), eskortiert von Feldjägern in Zivil, durch München spazierengehen und respektvoll Fragen stellen.

Der General kommt aus einer guten Familie, hatte vorbildliche Eltern. Die Mutter »tief religiös«. Und dem Vater, einem verstorbenen Offizier der Hitlerwehrmacht, hätte der General 1994 gern noch gesagt, daß er »soeben Brigadekommandeur in Erfurt geworden« war.

Sein eigener Sohn, auch Soldat, auf dem Balkan als Sanitäter stationiert, hat sich das Leben genommen. Zeit-Spaziergänger Kammertöns: »Schneiderhan ist stehengeblieben, für einige Augenblicke sagt niemand ein Wort. Dann sagt der General, daß er für das Geschehen keine Erklärung habe.«

Da kann man nichts machen, der General droht mit der nächsten Generation: »Enkel sind eine große Hilfe«, sagt Schneiderhan zu Kammertöns. »Zwangsläufig beschäftigt man sich mit ihnen wieder mit der Zukunft, mit der Jugend.«

So einer weiß, wie man mit Eltern umgeht, deren Söhne er an den Hindukusch kommandiert hat, wo sie ihr Leben ließen.

Kammertöns einfühlsam: »Wie findet man die richtigen Worte? Dafür gibt es keinen Standard. Wie sagt man einer Familie in Deutschland, daß der Tod eines Ehemannes oder Kindes in der afghanischen Ödnis nicht ganz und gar sinnlos war?« Schneiderhan weicht der Frage nicht aus, nicht jetzt beim Spaziergang und auch nicht bei den Trauerfeiern: »Er spricht in diesen Momenten davon, ›daß die Eltern stolz sein können auf ihren Buben, daß er in dem fernen Land Deutschland verteidigt habe‹. Vielleicht würde er noch hinzufügen, sagt der General, ›daß der Bub seinen Eid erfüllt, er seinem Vaterland gedient hat‹.«

Stolze Trauer. Damals war sie Vorschrift. Heute könnten Eltern, die wirklich Eltern sind, dem General, der ihnen so kondoliert, der sie so verhöhnt, ins Gesicht spucken ohne unter dem Schafott zu enden. Sie tun es nicht. Warum?