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Titel2308

Ende eines selbstverwalteten Rundfunks  (Hubert Brieden)

Radio Flora in Hannover, im Juni 1997 auf Sendung gegangen, mit 200 ehrenamtlichen Mitarbeitern und mehr als 600 Mitgliedern seines Trägervereins das größte Bürgerradio Niedersachsens, muß den Sendebetrieb Ende März 2009 einstellen. Die Niedersächsische Landesmedienanstalt vergab die Lizenz jetzt an die 106,5 Rundfunkgesellschaft«. Mit dieser Entscheidung endete eine zweieinhalbjährige Kampagne der überwiegend aus Vertretern konservativer Verbände zusammengesetzten Landesmedienanstalt gegen das selbstverwaltete Radio.

Der erste Angriff kam im April 2006, als sich der für den Bürgerrundfunk zuständige Referent in der Landesmedienanstalt öffentlich gegen Radio Flora positionierte. Im November 2006, wenige Monate bevor die Lizenz verlängert werden sollte, folgte der zweite Schlag: Mittels einer Telefonumfrage von Emnid, so ließ man die Presse wissen, sei festgestellt worden, daß Radio Flora zu wenig gehört werde. Befragt worden waren 500 deutschsprachige Festnetzkunden in einigen ausgewählten Bereichen der Region Hannover. Fachleute wiesen darauf hin, daß derartige Telefonumfragen allein deshalb nicht mehr zu repräsentativen Ergebnissen führen, weil inzwischen bis zu 70 Prozent der Angerufenen jegliche Auskunft verweigern. Die Landesmedienanstalt focht das nicht an, sie forderte von Radio Flora Programm- und Strukturreformen, andernfalls sei die Lizenz gefährdet.

Ein Teil der Radiomacher glaubte diesem Druck nachgeben zu müssen. Bald hieß es, besonders das Tagesprogramm müsse »durchhörbarer« werden: die Wortbeiträge kürzer und die Musik gefälliger. Außerdem sollten die muttersprachlichen Programme auf weniger attraktive Sendeplätze verbannt werden. Die Widersprüche im Radio verschärften sich, denn andere Aktive, die sich dem Ziel der Freien Radios verpflichtet fühlten, nämlich denen eine Stimme zu geben, die sonst nicht zu Wort kommen, wollten den neuen Kurs nicht mittragen. Schließlich wurde eine Programmreform verabschiedet, die – wie von den Kritikern befürchtet – zur Verflachung des Tagesprogramms führte.

Jetzt galt es, noch die geforderte Strukturreform durchzusetzen. Der Betrieb – so die Forderungen der Landesmedienanstalt – müsse »übersichtlicher«, Entscheidungsprozesse müßten verkürzt werden. In der Hoffnung, die Lizenz werde dann erhalten bleiben, war ein Teil der Radiomacher bereit, auch diese Vorgabe zu erfüllen. Auf Grund einer Indiskretion kam heraus, daß hinter den Kulissen bereits darüber diskutiert wurde, nicht nur die demokratische Verfaßtheit des Radios, sondern auch die Eigenständigkeit der Redaktionen zur Disposition zu stellen. Trotz aller Kompromißbereitschaft entschied die Landesmedienanstalt im März 2007, die Lizenz nicht zu verlängern, und erhöhte damit den Druck auf Radio Flora noch einmal, denn es mußte sich jetzt neu bewerben.

Doch auch in dieser Situation wurde die notwendige Zweidrittel-Mehrheit zur Änderung der Vereins- und Radiostrukturen in Richtung Chefradio verfehlt. Der Vorstand trat zurück. Die Nachfolger versuchten den Vorgaben der Medienanstalt auf andere Weise Geltung zu verschaffen: Sie stellten einen Sendeleiter ein, der hauptsächlich in der Regenbogenpresse und im Kommerzfunk gearbeitet hatte. Sein Versuch, sich per Dienstanweisungen als Chefredakteur zu etablieren, mußte in einem Radio, das überwiegend von Ehrenamtlichen getragen wird, zwangsläufig scheitern. – und sogleich startete die Landesmedienanstalt den nächsten Coup.

Inzwischen waren zwei weitere Bewerber auf den Plan getreten: das »Lokalradio Neustadt« und ein »Radio Team Niedersachsen«. Zwar verfügte das kleine »Radio Team« unter einem Chef, der früher bei der Bild-Zeitung, im Kommerzfunk und in der Werbewirtschaft gearbeitet hatte, über keine Erfahrungen im Bürgerfunk, erfreute sich dafür aber der Unterstützung namhafter Wirtschaftsunternehmen. Die Landesmedienanstalt lud die drei Bewerber zu Einigungsgesprächen und unterbreitete im Mai 2008 einen ungewöhnlichen Vorschlag: Eine gemeinnützige Gesellschaft solle gegründet werden, in der die Kommerzfunker fünf Achtel der Anteile halten sollten, Radio Flora zwei und das Lokalradio Neustadt einen Anteil. Außerdem sollten die Leute aus der Werbebranche für das redaktionelle Programm und die Abteilung Wort verantwortlich sein. Obwohl sich Radio Flora damit inhaltlich und ökonomisch an diese Leute ausgeliefert hätte, ließ sich der Vorstand auf den Deal ein, der noch während der Sommerferien 2008 realisiert werden sollte.

In dieser Situation entschlossen sich einige RedakteurInnen, an die Öffentlichkeit zu gehen. Sie produzierten ein Radiofeature mit dem Titel »Die Kampagne – Beseitigung eines selbstverwalteten Rundfunkbetriebes in Hannover«, informierten die Presse über die Sendetermine und setzten eine unvorhersehbare Kettenreaktion in Gang. Sendeleitung und Vorstand, die den Inhalt des Features nicht kannten, reagierten kopflos: Die Ausstrahlung wurde während der laufenden Sendung abgebrochen und stattdessen Musik eingespielt. Auf einem offenen Sendeplatz, auf den die Zensoren keinen Zugriff hatten, wurde der unerwünschten Beitrag am folgenden Tag übertragen.

In den Redaktionen war nun die offene Zensur etabliert. Aus dem ganzen Bundesgebiet hagelte es Proteste, andere Radios übernahmen das Feature in ihre Programme. Daraufhin zog sich das »Radio Team Niedersachsen« aus den Verhandlungen zurück. Die klammheimliche Übernahme des hannoverschen Bürgerradios durch den Kommerzfunk war gescheitert. Dennoch setzten die Modernisierer unbeirrt den von der Landesmedienanstalt vorgegebenen Kurs fort: Sie stellten Ausschlußanträge gegen die unbotmäßigen Kolleginnen und Kollegen. Diese Trennung sei, so mußten sie hören, die Voraussetzung für die Erteilung der Lizenz. Doch die Reformer scheiterten mit ihrem Anliegen, traten zurück, gründeten einen neuen Verein und dienten sich den Kommerzfunkern an, die sich inzwischen zusammen mit dem »Lokalradio Neustadt« und Sponsoren in einer gemeinnützigen Gesellschaft zusammengeschlossen hatten, der »106,5 Rundfunkgesellschaft«. Damit waren nur noch zwei Bewerber im Rennen.

Bei Flora war unterdessen ein neuer Vereinsvorstand gewählt worden, der diesmal alle Strömungen im Radio repräsentierte. In den folgenden Monaten zauberte die Landesmedienanstalt immer neue Bedingungen aus dem Hut, die Radio Flora noch zu erfüllen habe. Alle Auflagen wurden in kürzester Zeit abgearbeitet. Darüber hinaus konnten über hundert neue Mitglieder gewonnen und Tausende von Unterstützerunterschriften gesammelt werden. Es nutzte aber alles nichts, die Lizenz ging an die Leute, die der Werbewirtschaft nahestehen. Offizielle Begründung der Landesmedienanstalt: Radio Flora fühle sich zu sehr dem Konzept der Freien Radios verpflichtet und berücksichtige unzureichend die Meinungen »aus dem wirtschaftlich-unternehmerischen Bereich«.