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Titel2315

Ein vergessenes Geheimdienstverbrechen (1)  (Heinrich Hannover)

Das politische Zeitgeschehen unserer Tage gibt reichlich Anlass, über Verbrechen von Geheimdiensten zu reden. Aber es muss erst eine Reihe von Jahren vergehen, bis sie so weit in Vergessenheit geraten sind, dass man darüber reden darf, ohne sich und andere zu gefährden.


Am 3. November jährte sich zum zwanzigsten Mal der Todestag des koreanischen Komponisten Isang Yun. Zu seinem Gedenken erklangen in Berliner Konzertsälen einige seiner Werke. Ich will an ein Geheimdienstverbrechen erinnern, dessen Opfer Isang Yun und einige seiner koreanischen Landsleute im Juni 1967 geworden sind. Was war geschehen?


Der seit Mitte der 1950er Jahre in der Bundesrepublik lebende Komponist Isang Yun war am frühen Morgen des 17. Juni 1967 in seiner Wohnung in Berlin-Spandau angerufen und zu einem Gespräch im Hotel Savoy gebeten worden. Der Anrufer behauptete, der persönliche Referent des südkoreanischen Präsidenten Park zu sein; er wolle Yun einen Brief von Park übergeben. Yun wandte ein, dass er soeben dabei sei abzureisen; er müsse in verschiedenen Städten Konzerte mit seinen Werken dirigieren. Aber der Anrufer machte die Sache so dringlich, dass Yun schließlich der Aufforderung nachkam und ins Savoy fuhr. Dort wurde ihm eröffnet, dass der Brief des Präsidenten in Bonn beim Botschafter liege, er müsse deshalb mit nach Bonn kommen. Er bekam aber gleich einen Brief des Botschafters Choi zu lesen. Choi schrieb, dass er im Begriff sei, die Bundesrepublik zu verlassen. Er packe schon die Koffer und müsse Yun dringend vorher sprechen. Choi bat ihn, umgehend zu kommen.


Mit dem Botschafter war Yun gut befreundet. Dass Choi den Brief unter Zwang geschrieben hatte, wusste Yun zu diesem Zeitpunkt noch nicht. So entschloss er sich, nach Bonn zu fahren, nachdem ihm versichert worden war, er werde sofort wieder zurückgebracht.


Man ließ ihm nicht einmal Zeit, Reiseutensilien und Pass zu holen. Ihm wurde gesagt, einen Pass brauche er nicht. Vor dem Hotel wartete ein großer Wagen mit einem Fahrer, den Yun als koreanischen Bergarbeiter aus dem Ruhrgebiet kannte. Im Flughafen zeigten Yuns Begleiter irgendeinen Ausweis vor, worauf alle ohne Passkontrolle durchgelassen wurden. Am Köln/Bonner Flughafen stand wieder ein großer Wagen bereit, mit dem Yun zur koreanischen Botschaft gebracht wurde.


In der Botschaft wurde Yun als Gefangener behandelt, bewacht von starken Männern, angeblich ebenfalls Bergarbeitern, in Wirklichkeit, wie Yun später erfuhr, Agenten des südkoreanischen Geheimdienstes CIA (KCIA). Dann begann der erste Grad der Folter: Geräuschfolter durch sehr lautes Radio und Schlafentzug. Im nächtlichen Verhör wurden ihm Kontakte zum kommunistischen Nordkorea vorgehalten. Yun sah keinen Grund zu verschweigen, dass er einmal in Nordkorea gewesen war, um einen Jugendfreund wiederzusehen und das nordkoreanische Musikleben kennenzulernen. Er bestritt aber, etwas gegen den südkoreanischen Staat getan zu haben. Auch über Botschafter Choi wurde er ausgefragt, der offenbar ebenfalls im Verdacht stand, nicht hinreichend antikommunistisch eingestellt zu sein.


Yun wurde mit einer Maschine der Japan Airlines, in der er auf weitere entführte Koreaner traf, nach Seoul geflogen, wo man sie ins Hauptquartier des KCIA verbrachte. Isang Yuns nächster Aufenthaltsort war eine der Folterkammern dieses Geheimdienstes, wo der damals schon herzkranke Mann tags und nachts schwere Folter erlitt. In später veröffentlichten Aufzeichnungen hat Yun über die an ihm tagelang praktizierte, inzwischen unter dem Namen water boarding bekannt gewordene US-amerikanische Foltermethode ausführlich berichtet. Ich zitiere nur den Anfang seines Berichts: »Sie banden mir Hände und Füße und hängten mich so an einer Stange auf, anderthalb Meter über dem Boden. Dann legten sie mir ein feuchtes Tuch übers Gesicht und gossen aus einer Gießkanne Wasser darauf. Dabei legt sich das Tuch so eng über Mund und Nase, dass man fast erstickt …«


Bei nächtlicher Folterung hörte er aus einem anderen Raum die Stimme und Schmerzensschreie des Botschafters Choi, der ebenfalls gefoltert wurde. Um nicht zu sterben, unterschrieb Yun schließlich das von ihm verlangte falsche Geständnis landesverräterischer Beziehungen.


Fünf Tage nach Isang Yuns Entführung wurde auch seine Frau unter Täuschung über das Reiseziel veranlasst, ein Flugzeug zu besteigen, das sie ebenfalls in das südkoreanische Gefängnis brachte. Zusammen mit ihrem Mann und den anderen aus Deutschland entführten Koreanern wurde sie in Seoul vor Gericht gestellt, wo Isang Yun die Todesstrafe nach dem »Gesetz für die nationale Sicherheit« und dem »Antikommunistengesetz« drohte. Beide Gesetze erklärten unter anderem die Aufnahme von Kontakten zu Nordkorea für strafbar. Der Korrespondent der Süddeutschen Zeitung brachte dieses Paragraphenwerk auf die Formel »Antikommunismus in juristische Formen gegossen« und sagte von der politischen Atmosphäre des Landes, die den Hintergrund des Prozesses bildete: »Sie ist geprägt von einem kompromisslosen, hasserfüllten Antikommunismus«. Der Chef des südkoreanischen Geheimdienstes sagte im Gespräch mit dem Spiegel-Redakteur Hentschel: »Die Kommunisten sind unsere gemeinsamen Feinde …« Und damit kennzeichnete er genau die von Adenauer und dessen Nachfolgern geschaffene bundesdeutsche Atmosphäre, die das kriminelle Komplott der Entführung möglich machte.


Ich wurde einige Tage nach den Entführungen von Freunden Yuns beauftragt, seine Interessen anwaltlich zu vertreten – ein Mandat, das ich nach Sachlage nur von Deutschland aus wahrnehmen konnte. Aber auch hier setzte es mich Gefahren aus, die ich erst nach und nach erkannte.


Vor dem südkoreanischen Gericht aufzutreten, war schon aus sprachlichen Gründen und dort geltenden Prozessregeln nicht möglich. Ich erfuhr, dass ich in Südkorea als Kommunist und mithin als Krimineller galt, den man nach Belieben hätte foltern und einsperren können, und dass Yun geraten wurde, mir das Mandat zu entziehen – was er aber nicht tat. Und sein koreanischer Verteidiger wagte es nicht, mit mir zu korrespondieren. Die Kumpanei zwischen südkoreanischem und deutschem Geheimdienst wurde für mich besonders dadurch sichtbar, dass letzterer ebenfalls in schamloser Weise gegen mich intrigierte. Isang Yuns Freunde wurden vor mir gewarnt, ich sei Kommunist, und hinter mir stehe eine staatsgefährdende Organisation, die man nicht näher kennzeichnete. Auch kolportierte man die Auffassung der koreanischen Geheimdienstkollegen, dass ich Isang Yun nur schaden könne, und empfahl auch Yuns Freunden, mir das Mandat zu entziehen.