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Titel2419

Mit dem Papst die Atomwaffen abschaffen  (Rüdiger Göbel)

Papst Franziskus hat in einer friedenspolitischen Grundsatzrede in Nagasaki im November die Abschaffung von Atomwaffen gefordert und Waffenexporte als »himmelschreiendes Unrecht« (eigene Übersetzung) kritisiert. Die katholischen Aktivisten der US-Friedensbewegung »Schwerter zu Pflugscharen« (Swords into Plowshares) haben den Japan-Besuch des Pontifex genau verfolgt und fühlen sich »vollkommen bestätigt« in ihren radikalen wie gewaltfreien Aktionen.

 

Der päpstliche Appell zur atomaren Abrüstung erging nur vier Wochen, nachdem ein Gericht in Brunswick im US-Bundesstaat Georgia Clare Grady (60), Patrick O‘Neill (60) und Carmen Trotta (56), Pater Steve Kelly (70), Mark Colville (57), Martha Hennessy (62) und Elizabeth McAlister, die im November ihren 80. Geburtstag feierte, für schuldig befand, weil sie an einer Protestaktion gegen Atomwaffen auf der Kings-Bay-Marinebasis teilgenommen hatten. Der US-Stützpunkt beherbergt mindestens sechs atomare U-Boote, von denen jedes mit 20 thermonuklearen Trident-Interkontinentalraketen bestückt ist. Die »Kings Bay Plowshares Seven« (#KBP7), wie sich die Aktivisten selbst nennen, hatten sich am 4. April 2018, dem 50. Jahrestag der Ermordung des US-Bürgerrechtlers Martin Luther King, Zugang zu dem Militärstützpunkt verschafft, »bewaffnet« mit Hämmern, Absperrbändern und einer Anklageschrift, in der sie die US-Regierung der Verübung von Verbrechen gegen den Frieden beschuldigten. An Wände sprühten sie Parolen gegen die Stationierung von Atomwaffen, aus Babyflaschen verspritzten sie Blut von sich. Mit im Gepäck hatten sie auch ein Exemplar von Daniel Ellsbergs Buch »The Doomsday Machine: Confessions of a Nuclear War Planner«. Der US-Whistleblower, international bekannt geworden durch die Enthüllung der Pentagon-Papiere über die Lügen des Vietnamkrieges, berichtet in seinem neuen, leider noch nicht ins Deutsche übersetzten Buch von der Zeit, als er in den 1960er Jahren in US-Sicherheitsbehörden mit der Planung und Vorbereitung eines Atomkrieges beschäftigt war und zum Friedensaktivisten wurde.

 

Nach nur vier Verhandlungstagen befand eine zwölfköpfige Jury alle Angeklagten der #KBP7 in sämtlichen Anklagepunkten für schuldig: »Verschwörung«, »Zerstörung von Eigentum« an der Kings Bay-Marinebasis und »Verwüstung von Staatseigentum« sowie »unbefugtes Betreten« eines Militärgeländes. Beweggründe für die Protestaktion durften vor Gericht nicht vorgetragen werden. Ebenso wenig durfte Daniel Ellsberg als Zeuge der Verteidigung gehört werden. In den kommenden sechs Wochen will Richterin Lisa Godbey das genaue Strafmaß verkünden. Den sieben drohen jeweils bis zu 25 Jahre Gefängnis.

 

Papst Franziskus‘ Appell für globale Anstrengungen zur Abschaffung von Atomwaffen vorwegnehmend, erklärte Martha Hennessy nach dem Schuldspruch am 24. Oktober in Brunswick: »Die Waffen sind noch immer da. Wir müssen es weiter versuchen. Wir haben keine andere Wahl.«

 

Atomwaffen sind ein »Anschlag auf die Menschheit«, sagte Papst Franziskus in Nagasaki am 24. November, ihr Besitz sei grundsätzlich zu verurteilen. »Eine Welt in Frieden und frei von Atomwaffen ist das Bestreben von Millionen von Männern und Frauen überall auf der Erde.« (Übersetzung: vaticannews.va) Der Vatikan hatte die japanische Stadt bewusst für die wichtige Friedensbotschaft des katholischen Kirchenoberen gewählt: Am 9. August 1945 hatte ein US-Flugzeug eine Atombombe über deren Zentrum abgeworfen und mehr als 70.000 Menschen getötet. Eine erste Atombombendetonation drei Tage zuvor in Hiroshima hatte 140.000 Menschenleben gefordert.

 

»Dieser Ort macht uns tiefer bewusst, welchen Schmerz und Schrecken wir Menschen einander zuzufügen fähig sind«, erklärte Papst Franziskus im Hypocenter Park, wo er an dem zehn Meter hohen Denkmal einen Gedenkkranz mit weißen Blumen niederlegte, den ihm Überlebende des vor 74 Jahren verübten Kriegsverbrechens überreicht hatten.

 

»Der Besitz von Atomwaffen und anderer Massenvernichtungswaffen ist nicht die geeignete Antwort auf den Wunsch nach Frieden und Stabilität«, bekräftigte Papst Franziskus in Nagasaki. Frieden könne »nicht auf die Angst vor gegenseitiger Zerstörung aufgebaut werden«. Die Welt lebe in dem »perversen Zwiespalt, Stabilität und Frieden auf der Basis einer falschen, von einer Logik der Angst und des Misstrauens gestützten Sicherheit verteidigen und sichern zu wollen. Am Ende vergiftet er die Beziehungen zwischen den Völkern und verhindert jeden möglichen Dialog.«

 

Ebenso scharf kritisierte Papst Franziskus das globale Wettrüsten. Dieses vergeude »wertvolle Ressourcen, die doch zugunsten der ganzheitlichen Entwicklung der Völker und des Umweltschutzes verwendet werden könnten«. Und weiter: »In der Welt von heute, wo Millionen von Kindern und Familien unter menschenunwürdigen Bedingungen leben, ist es ein himmelschreiender Anschlag, wenn für die Herstellung, die Modernisierung, den Erhalt und den Verkauf von Waffen mit immer stärkerer Zerstörungskraft Gelder ausgegeben und damit Vermögen erzielt werden.«

 

Um das Ideal einer »Welt in Frieden und frei von Atomwaffen« Wirklichkeit werden zu lassen, sei die Beteiligung aller notwendig, so der Papst: »Einzelne, Religionsgemeinschaften, die Zivilgesellschaft, die Staaten im Besitz von Atomwaffen und atomwaffenfreie Staaten, private und militärische Bereiche sowie die internationalen Organisationen. Unsere Antwort auf die Bedrohung durch Nuklearwaffen muss gemeinsam und konzertiert sein und auf dem mühsamen, aber beständigen Aufbau gegenseitigen Vertrauens beruhen, das die Dynamik des gegenwärtig vorherrschenden Misstrauens durchbricht.«

 

Franziskus beklagte die derzeitige »Erosion des Multilateralismus« und forderte neue Anstrengungen für Abrüstung: »Ich bitte die politischen Verantwortungsträger, nicht zu vergessen, dass Nuklearwaffen uns nicht vor den Bedrohungen für die nationale und internationale Sicherheit in unserer Zeit schützen.« Konkret erinnerte der Papst an seinen Amtsvorgänger Paul VI., der schon im Jahr 1964 vorgeschlagen habe, »den notleidenden Völkern durch einen Weltfonds zu helfen, der zum Teil aus den Ausgaben für Rüstungszwecke gespeist wird«. Tatsächlich haben allein die USA für die Modernisierung und Aufstockung ihres Atomwaffenarsenals in den kommenden Jahren 1000 Milliarden US-Dollar eingeplant. Auf 1000 Milliarden US-Dollar belaufen sich mittlerweile auch die Ausgaben der NATO-Mitglieder für Militär und Aufrüstung. Jahr für Jahr.

 

Auch der deutsche Außenminister Heiko Maas will Atomwaffen abschaffen – irgendwann einmal. Wie Franziskus in Nagasaki warb der saarländische Katholik und Messdiener a. D. bei seinem Besuch in Hiroshima am 22. November für eine atomwaffenfreie Welt – um im gleichen Atemzug allerdings zu bekunden, die in Deutschland gelagerten US-Atombomben behalten zu wollen. Maas geht damit auf Distanz zum früheren deutschen Außenminister Guido Westerwelle (FDP), der sich für den Abzug der im rheinland-pfälzischen Büchel gelagerten Massenmordwaffen engagiert hatte, wie auch zu Martin Schulz, der als SPD-Kanzlerkandidat im Bundestagswahlkampf 2017 den Abzug der US-Atombomben forderte.

 

Die Abrüstungslogik von Minister Maas geht so: »Es nützt nichts, wenn Atomwaffen von einem Land in das andere verschoben werden. Wenn sie verschwinden sollen, dann sollen sie überall verschwinden. Wir brauchen, was die atomare Abrüstung angeht, vor allen Dingen Vereinbarungen auf breiter Basis, nicht nur in einzelnen Ländern.«

 

Es bleibt abzuwarten, wie sich die neuen SPD-Vorsitzenden, Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans, in der Frage positionieren; ob sie ihre Partei resozialdemokratisieren und zurück an die Seite der Friedensbewegung führen oder sie mit Heiko Maas weiter auf der Atlantikbrücke mit den sich »christlich« nennenden Koalitionsparteien strammstehen lassen wollen. Druck von unten braucht es allemal, um den Worten des Kirchenoberen Taten folgen zu lassen – und Solidarität mit den #KBP7.