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LTI – zwei Fortsetzungen  (Herbert Altenburg)

»Die LTI ist bettelarm. Ihre Armut ist eine grundsätzliche; es ist, als habe sie ein Armutsgelübde abgelegt.« Victor Klemperer war der erste, der sich systematisch mit der Sprache der Nazis beschäftigte, das Ergebnis seiner Arbeit erschien schon kurz nach dem Ende des »Dritten Reiches«. Als Spott auf deren Vorliebe für Abkürzungen und ihre Ablehnung klassischer Bildung erfand er den lateinischen Begriff LTI: Lingua tertii imperii. An vielen Beispielen legte er den Un-Geist derjenigen bloß, die sich demagogisch als »Nationalsozialisten« darstellten. Zweifellos ist die LTI bettelarm, aber sie ist gefährlich, auch heute noch. Sehen wir nur die immer neuen Nazi-Analogien:

Da werden Miloševic und Arafat mit Hitler verglichen, Arnulf Baring bezeichnet Oskar Lafontaine als »nationalen Sozialisten«. Die Moderatorin Juliane Ziegler fordert in einer Show einen Anrufer zu mehr Einsatz auf: »Du mußt ein bißchen enthusiastisch sein und arbeiten … Arbeit macht frei«. Der Komiker Manes Meckenstock bemerkt über die Viva-Moderatorin Gülcan Kamps: »Wenn ich Gülcan sehe, dann bedauere ich, daß es die Nürnberger Gesetze nicht mehr gibt.« Besonders fleißig sind einige Würdenträger der katholischen Kirche. Der Kölner Kardinal Joachim Meisner vergleicht die Abtreibungspille Mifegyne mit der Tötungspille Zyklon B. Der Fuldaer Erzbischof Johannes Dyba hatte kurz vor seinem Tod im Jahr 2000 Schwangerschaftsabbrüche als »Kinder-Holocaust« bezeichnet.

Die Nazi-Herrschaft hatte ihr eigenes Vokabular. Wie es benutzt wurde, woher es kam und wo und wie es weiterlebt, darüber gibt es kaum umfassende Informationen. Jetzt sind zwei Wörterbücher erschienen, die diesem Mangel abhelfen wollen.

Cornelia Schmitz-Berning gibt im »Vokabular des Nationalsozialismus« einen Einblick in die Geschichte von Ausdrücken, Organisationsnamen und festen Wendungen, die sich dem offiziellen Sprachgebrauch im Nazi-Staat zuordnen lassen. Sie stellt drei Typen von Wörtern vor: von den Nationalsozialisten neugeprägte Wörter, umgedeutete oder in einer zusätzlich spezifischen Bedeutung verwendete Wörter sowie solche, die durch besonders häufigen Gebrauch auffallen. Sie untersucht sowohl die Zeit des Aufstiegs der Nazis zur Macht mit der aggressiven Propaganda gegen die Weimarer Republik (1919–1933) als auch die zwölf Herrschaftsjahre (1933–1945), in denen von Anfang an, wie Ossietzky in der Weltbühne kurz vor ihrem Verbot am 7. Februar 1933 bemerkt, »die NSDAP ihre agitatorische Sprache unbedenklich zum amtlichen Stil« machte.

Quellen sind beispielsweise die Anweisungen für Pressekonferenzen, die geheimen Lageberichte des Sicherheitsdienstes der SS sowie die Sitzungsberichte des Verfahrens gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg, aber auch der Duden und andere Sprachwörterbücher. Diese umfangreiche Quellenbasis führt zu markanten Belegen, die in umfangreichen Beispielen dargeboten werden.

Das »Wörterbuch der ›Vergangenheitsbewältigung‹« von Thorsten Eitz und Georg Stötzel mit dem Untertitel »Die NS-Vergangenheit im öffentlichen Sprachgebrauch« setzt da fort, wo Cornelia Schmitz-Bernings Lexikon endet. Die Autoren wollen den Gebrauch des Nazi-Vokabulars im öffentlichen Sprachgebrauch seit 1945 nachzeichnen. An Hand von Beispielen aus den Stenographischen Berichten des Bundestags, dem Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Monographien zur Zeitgeschichte, Justizakten, Zeitungen, Zeitschriften und Aufzeichnungen von Rundfunk- und Fernsehsendungen weisen sie nach, wie und wo belastete Vokabeln und Begriffe seit 1945 eingesetzt werden. Sie zeigen die Verwendung und Funktion von über 1.000 diskursrelevanten Vokabeln innerhalb von 40 Themenbereichen.

Das ist zugleich ein etwas anderer Rückblick auf die Geschichte der Bundesrepublik und ihren Umgang mit der NS-Vergangenheit. Aus diesem Grunde ist fraglich, ob eine Aufarbeitung mit dem Nennen von Roß und Reiter so willkommen ist. Vielleicht haben die Autoren auch deshalb das Wort Vergangenheitsbewältigung in Anführungszeichen gesetzt.

Die vielen Beispiele zeigen, dass die Nazi-Terminologie nicht leichtfertig benutzt wird. Sie verdeutlichen den Einsatz von Vokabularien als ein Mittel, um öffentliche Aufmerksamkeit zu erzielen und politische Gegner zu beleidigen. Es ist eine Banalisierung des Originals, eine Dämonisierung der Vergleichsperson. Die Urheber können sicher sein, daß ihre Vergleiche größte mediale Aufmerksamkeit erzeugen. Übrigens werden gerade die Geschichtsereignisse am häufigsten relativiert, die in der öffentlichen Diskussion als einzigartig deklariert werden wie der Holocaust.

In Kürze soll ein Ergänzungsband von gleichem Umfang erscheinen. Allein diese Quantität ist ein alarmierendes Zeichen für die inflationäre Verwendung von Wörtern, die einst systematisch eingeführt wurden, um das Denken zu barbarisieren.

Ein großes Kompliment für bestens dokumentierte, sorgfältig redigierte und benutzerfreundliche Lexika, die sich für Geschichts-, Sprach-, Medien- und Politikwissenschaftler und an diesen Themen Interessierte als unentbehrlich erweisen werden.

Cornelia Schmitz-Berning: »Vokabular des Nationalsozialismus«, Verlag Walter de Gruyter, 717 Seiten, 29.95 €; Thorsten Eitz, Georg Stötzel: »Wörterbuch der ›Vergangenheitsbewältigung‹. Die NS-Vergangenheit im öffentlichen Sprachgebrauch«, Georg Olms Verlag, 786 Seiten, 32 €