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Titel0311

Hanns-Eisler-Revue  (Jochanan Trilse-Finkelstein)

Ich habe keine Lust, eine Kunst auszuüben, wo man sein Gehirn in der Garderobe abgeben muß. Hanns Eisler in seinem Todesjahr 1962

Eine Gruppe von mehr als zwanzig Schauspielern, zwölf Orchestermusikern und einigen höchst engagierten Technikern unter der Leitung von Regisseur Manfred Karge, Arrangeur und Dirigent Tobias Schwencke und Szenograf Karl-Ernst Herrmann brachten im Berliner Ensemble einen Hanns-Eisler-Abend von zweieinhalb Stunden Dauer. Der war im Nu vorüber – schade, so glänzend und spannend war er gemacht! Er hätte ruhig noch länger dauern können! Sonst wünsche ich mir oft: Können die dort oben nicht endlich aufhören!
Viele Texte von Brecht, Becher, Mehring, Tucholsky oder auch Verse aus dem Woodbury-Liederbüchlein, die Eisler 1941 vertont hatte, ergaben in sinnreicher Abfolge nahezu eine Chronik des 20. Jahrhunderts, angefangen mit »Spartakus 1919«, einer Komposition von 1932 auf einen anonymen Text, über »Deutsches Miserere«, die Tragödie der deutschen Soldaten und ihres Kriegsgehorsams, bis zu den zukunftsweisenden »Alten Weisen«. Bekanntes war mit weniger Bekanntem gekonnt gemischt: Aufklärung und Appell.
Ein Geschichtsbild in Poesie und Musik, politischer Musik in Eislers ganz eigenem Ton.Das »Stempellied« im Berliner Jargon führte in die Zeit der großen Arbeitslosigkeit während der deutschen Inflation; die folgenden Stücke wie »Lied des Händlers« und »Ballade von den Säckeschmeißern« halfen die internationale Lage von damals besser zu begreifen.
Selten habe ich das balladenartige Gedicht vom klugen Grimmschen Märchenpferd »O Falladah, da du hangest« so distanziert-tragisch dargeboten vernommen.
Und es war ein Balladen-Abend. Wo gibt es das heute noch: »Ballade vom Wasserrad«, »Ballade vom Nigger Jim« und andere, ohne den Gattungsbegriff vor sich herzutragen. Es war Rhythmus im Abend, und es kam Freude auf am Vers und an Bühnenaktionen, wie man sie sich wünschte.
Die Akteure beherrschten Steigerung wie auch Anhalten. »Von der Freundlichkeit der Welt« mitsamt dem »Gegenlied« gleichen Namens – das ergab Spannung! Da machte es nichts, daß das Gegenlied gar nicht von Eisler vertont war – es war seine Musik. Und was konnte aktueller sein als das »Bankenlied«? Gegen die Schamlosigkeit der Banker hilft vermutlich nur der Aufruf der Betroffenen: »revidieren die Kassen!« – und das ist bei Walter Mehring und Eisler durchaus nicht nur als buchhalterische Aktion gedacht. Mit der Schamlosigkeit einer Partei, die sich einst Arbeiterpartei genannt hatte, befaßte sich Tucholsky im »Seifenlied«.
Kapitalismus und Weltkrise 1929 ff., NS-Faschismus, Judenverfolgung, Weltkrieg, Trauer, Illegalität und Widerstand. Der Kontrast ging schon an die Nieren, als der Chor das »Solidaritätslied« als kraftvollen Massenhymnus darbrachte und darauf das stille »Heimat, meine Trauer, /Land im Dämmerschein« folgte und das tief berührende »Anmut sparet nicht noch Mühe« von Eislers rauher Stimme aus dem Off kam.
Pathos und Stille, Dissonanz und Harmonie – Eisler im Ganzen. Von seiner »Deutschen Sinfonie« wurde erzählt. Hätte noch ein Streichquartett dazu gehört? Am Ende der Pause verschaffte sich Gisela May einen ungeplanten Auftritt: Die 86jährige Diseuse und frühere Schauspielerin des BE, die einst durch Eisler zum Singen angeregt wurde und sein Lied um den Erdball trug, sang diesmal nicht, sondern erinnerte an eine Tradition, improvisiert, spontan. Offenbar zum Mißfallen des Intendanten Claus Peymann, der das schöne Intermezzo offenbar lieber selbst inszeniert hätte.
Das Genre der Revue, aus der Belustigungsbranche gelöst, hatte hier einen großen Abend. Eine schöne Ehrung des Tonsetzers, ganz und gar unkonventionell. Man konnte seine luzide Musik hören – und in einem lichten szenischen Raum sehen, wie die Schauspieler sie wie aufs Neue hervorbrachten; der Mann war eben auch Szeniker. Einer der Großen seines Faches.
Ich erinnere mich ein Vierteljahrhundert zurück: Das alte Schauspielhaus, der Schinkelbau am Gendarmenmarkt, geriet zur Vollendung – als Konzerthaus. Da waren die Köpfe der Tonsetzer an den Rängen des Saales anzubringen. Wer sollte die letzten Modernen vertreten – vorn vor dem Podium? Letztlich hatte man sich für Paul Dessau und eben Hanns Eisler entschieden. So gemeinsam und so getrennt, wie sie auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof, ihrem letzten Ruheort, liegen, wo sie hören und immer neu erfinden können: »Es sind die alten Weisen, / die neu in uns erstehn, / und die im Wind, dem leisen, /von fern herüber wehn.// Es ist in uns ein Raunen /und wird zum großen Chor, /und zu den Sternen staunen, /staunen wir empor!«