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Titel317

Schöner Siegen – Phänomen Wahlfälschung  (Daniela Dahn)

Wahlfälschung gibt es, seit es Wahlen gibt. Immer wieder haben sich die Verlierer darüber beklagt, auch vor Gericht geklagt. Eben mussten die Präsidentschaftswahlen in Österreich wiederholt werden, nun ist dem ursprünglichen Ergebnis seine Glaubwürdigkeit gegeben.

 

Wohl erstmalig in der Geschichte will jetzt ein Sieger Wahlbetrug prüfen lassen. Er kann nicht aufhören zu siegen. Er will schöner Siegen. Donald Trump. Sein Ego stößt sich am in der Tat eigenwilligen US-Wahlsystem, in dem es nicht auf die Mehrheit der Wählerstimmen ankommt, sondern auf die im Wahlleute-kollegium. Nur die hatte er und das reicht ihm nicht. Er behauptet, Millionen illegale Einwanderer hätten für Hillary Clinton gestimmt, und gar Verstorbene seien für sie gezählt worden.

 

Die Vorwürfe gegen Trump sind nicht weniger bizarr und schwerwiegend. Die Republikaner hätten selbst durch Wählerlisten und Wahlkreisbestimmungen manipuliert. Diese Listen sind geheim, hinter den Namen stehen weder Geburtsdaten noch die in den USA so wichtige social security number. Unter dem Vorwand, Personen hätten sich mit gleichem Namen in mehreren Bundesstaaten in Wählerverzeichnisse eintragen lassen, sollen Minderheiten, die traditionell Wähler der Demokraten sind, von den Wahlen ausgeschlossen worden sein. Viele Farbige hätten Monate gebraucht, um eine Wahl-Identitätsnummer zu bekommen, Zahllose hätten diesen Kampf aufgegeben.

 

Zweifellos wahlrelevant war die unbegreifliche Last-Minute-Wiederaufnahme der Ermittlungen des FBI-Chefs James B. Comey gegen Hillary Clinton wegen angeblich neuer Erkenntnisse in ihrer Privat-Computeraffäre. Gleich nach der für Hillary verlorenen Wahl wurden die Untersuchungen eingestellt. Der Vorgang mag begreiflicher werden, wenn der Mann nun ohne Anhörungen im Amt bleiben darf.

 

Dagegen verblasst der unbewiesene Vorwurf, Trump sei mit Hilfe russischer Hacker an die Macht gekommen. Er bleibt dennoch fatal. Falls dieser Präsident je die Absicht hatte, das Verhältnis zu Russland zu entspannen, wird er sich das nun gut überlegen müssen. Jeder Versuch wird als Beweis dafür gewertet werden, wie abhängig ihn der den Russen geschuldete Dank macht. Dabei lohnt es, sich zu erinnern, worin genau die Wahlbeeinflussung bestanden haben soll. Es ging bei diesen unbekannten Hackern weder um Fake News, noch um die wirklich widerwärtigen, egal ob echten oder gefälschten Sex-Videos, für die das prüde Amerika so anfällig ist. Es ging um Mails der Demokraten zu ihrer Taktik im Wahlkampf, speziell zur Abdrängung von Bernie Sanders. Wahlfälschung durch Veröffentlichung der Wahrheit? Weil es nur auf einer Seite geschehen ist? Vielleicht. Doch wann sind Hacker eigentlich Whistleblower, die öffentlich machen, was Wähler wissen sollten?

 

Das nicht zufällig kurze Gedächtnis der Medien hat längst in Vergessenheit geraten lassen, dass die Russen allen Grund hätten, den Amis eine schicksalhafte Wahlbeeinflussung in Moskau heimzuzahlen. Denn die Amerikaner hatten Boris Jelzins Wahlfeldzug organisiert. Sie hatten alles Interesse daran, dass der Mann gewinnen würde, der die Sowjetunion auflösen und mit der Schocktherapie des Washington Consensus, also Privatisierung und Deregulierung, die Wirtschaft des Kontrahenten ruinieren würde.

 

Als Jelzins Popularität im Februar 1991 laut Umfragen auf fünf Prozent abgesunken war, zogen US-Experten ins Moskauer Hotel »President«. Zu diesem Team von Felix Braynin, der 17 Jahre zuvor aus der Sowjetunion nach San Francisco geflüchtet war, gehörten auch Bill Clintons Wahlhelfer Richard Dresner und der PR-Mann Steven Moore. Diese rieten zu einer Diffamierungskampagne gegen den kommunistischen Gegenkandidaten Sjuganow, u. a. durch »Wahrheitsschwadronen«, die ihn auf seinen Veranstaltungen mit (damals noch nicht so genannten) Fake News aus der Fassung bringen sollten. Jelzin willigte ein, als zentrale Botschaft die Gefahr eines Bürgerkrieges zu beschwören, falls die kommunistische Mangelwirtschaft wiederkehre, woran Fernsehspots mit Käuferschlangen und Warenmangel permanent erinnerten. Bis dahin hatten die Staatsmedien Jelzin wegen seines Tschetschenien-Krieges verdammt – wie von Zauberhand brachten die großen Fernsehsender in der Woche vor der Stichwahl 158 kritische Beiträge zu Sjuganow und 114 positive zu Jelzin. Für Jelzins Wahlkampf waren 100 Millionen Dollar von privaten Sponsoren eingegangen.

 

Nach seinem Sieg schilderte das US-Magazin Time detailgenau, wie man sich massiv in Russlands innere Angelegenheiten eingemischt hatte: Verdeckte Manipulation führt zum Erfolg, hieß es dort. Man konnte auch noch Meinungsfreiheit demonstrieren, Kritik an solchen Machenschaften war nicht zu erwarten. Der Spiegel brauchte immerhin fünf Jahre, bis er 1996 in Nummer 29 diese Geschichte erzählte. Inzwischen war eine Kaste russischer Oligarchen mächtig geworden. In der Amtszeit dieses protegierten Präsidenten halbierte sich das Nationaleinkommen, bis Russland 1998 zahlungsunfähig war. Boris Jelzin gilt heute nicht nur bei Wikipedia als »das erste demokratisch gewählte Staatsoberhaupt in der Geschichte Russlands«.

 

»The Best Democracy Money Can Buy« (Die beste Demokratie, die für Geld zu haben ist), heißt der neue Film des investigativen US-Journalisten Greg Palast. Trump habe die amerikanische Demokratie gekidnappt. Viele Künstler und Intellektuelle scheinen jetzt aus ihrer Schockstarre zu erwachen. Etwas spät, mit Verlaub. Jahrzehntelang hat man die weltweiten, medialen, geheimdienstlichen und militärischen Regime-Change-Ambitionen der eigenen Politiker im Namen von Freiheit und Demokratie weitgehend hingenommen. Doch die »beste Demokratie« war das de facto Einparteiensystem der wechselnden, sich aber stetig bereichernden US-Eliten schon lange nicht mehr.

 

Wahlfälschungen gibt es, wie gesagt, seit es Wahlen gibt. Von der Antike bis zum Realsozialismus. Dass im Jahr 2000, bei korrekter Auszählung der Stimmen, Al Gore und nicht Bush jun. Präsident geworden wäre, ist in den USA ein offenes Geheimnis. Vor etwa 2350 Jahren schrieb Aristoteles in seiner Politika: »Ich bin der Meinung, dass es als demokratisch anzusehen ist, wenn die Herrschenden durch das Los bestimmt werden, während Wahlen als oligarchisch betrachtet werden müssen.« Wenn nur die im Laufe der Geschichte immer mal wieder praktizierte Demarchie, das Losverfahren, die Welt vor all den Trumps bewahren könnte, so ist dies eine zutiefst verunsichernde Erwägung für die künftige Glaubwürdigkeit demokratischer Willensbildung.