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Titel319

Kontrollierte Wissensanalyse und -synthese  (Andreas Riekeberg)

Asse II ist nicht nur ein langfristig absaufendes Salzbergwerk mit 50.000 Kubikmetern eingelagertem Atommüll, vorwiegend aus Atomkraftwerken. Asse II ist auch die Geschichte der wissenschaftlich verbrämten jahrzehntelangen Ignoranz der westdeutschen Atomlobby gegenüber der Tatsache, dass das Bergwerk von Anfang an ungeeignet war und dass genau das bekannt war. Schon drei Jahre vor Beginn der Einlagerung wusste man um Wasserzutritte ins Bergwerk und meinte, dem mit einem schlichten Abdichten der Eindringstellen abhelfen zu können. Als würde sich Wasser nicht früher oder später seinen Weg suchen.

 

Welche Vorgänge und welche Verantwortlichkeiten könnten all die Dokumente im Zusammenhang mit Asse II noch offenbaren!? Allein dem Untersuchungsausschuss des niedersächsischen Landtages sollen knapp eine Million Seiten vorgelegen haben.

 

Um die Dokumente gründlich zu analysieren, schrieb der Projektträger Jülich mit sechs Millionen Euro des Forschungsministeriums ein Projekt »Wissensmanagement von Altdokumenten aus Forschung, Verwaltung und Betrieb« zur Verarbeitung der Akten über die Schachtanlage Asse II aus. Eine noble Geste gegenüber dem Verlangen nach Aufarbeitung der Geschichte des Scheiterns von Atommüll-Endlagerung in Salz?

 

Den Zuschlag erhielt ein Institut für Wissensanalyse und Wissenssynthese (IWW) in Goslar, 40 Kilometer von Asse II entfernt. Allein: Wer im Internet nach dem Hintergrund des IWW sucht, findet kaum etwas. Bei der Einweihung durch Stefan Wenzel als grünem Innenminister Niedersachsens hieß es 2013 sparsam: »Das neue Institut wird aus Mitteln des Bundesforschungsministeriums finanziert; Leiter wird der früher im Kernforschungszentrum Jülich und später kurzzeitig als Asse-Geschäftsführer tätige Wissenschaftler Dr. Detlev Eck.« Das IWW arbeitete von Juni 2013 bis Ende 2018. Was die Institutsmitarbeiter genau taten, ist noch nicht bekannt, ein Abschlussbericht liegt bislang nicht vor.

 

Gegen Ende des Projektzeitraumes erhob sich großes Geschrei, dass doch die Finanzierung des IWW weitergehen müsse. Selbst der Landtag resolutiert und »fordert den Bund auf, das IWW in Goslar als unabhängige wissenschaftliche Einrichtung zu erhalten und zu finanzieren« (Resolution vom 10.12.2018). »Unabhängige wissenschaftliche Einrichtung« – das klingt gut, und so wurde es auch in der regionalen Presse kolportiert.

 

Nur wer viel Geduld hatte und www.enargus.de kennt, findet den Träger des IWW (https://www.enargus.de/pub/bscw.cgi/26?op=enargus.eps2&q=wissenssynthese). Das ist nämlich das Helmholtz-Zentrum München – Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt (GmbH). Also diejenige Forschungseinrichtung der BRD und des Freistaates Bayern, die ab 1964 als Gesellschaft für Strahlenforschung (GSF) und ab 1978 als »GSF – Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit« die Schachtanlage Asse II betrieben hat und von München aus bis 2008 deren Geschicke leitete.

 

Wer wäre auch besser geeignet, Akten über Asse II aufzuarbeiten – sprich: den Wissenszugang zu Asse II zu kontrollieren – als der ehemalige Betreiber dieser Anlage? Welch famose Unabhängigkeit der »wissenschaftlichen Einrichtung« IWW!

 

Erst der Asse II-Koordinationskreis unabhängiger Bürgerinitiativen gegen die Flutung von Asse II machte am 11. Januar unter der Überschrift »Wissensbestände zu Asse II ohne Interessenkollisionen sichern, Datenzugang verbessern!« öffentlich, dass das IWW eine Abteilung des Helmholtz-Zentrums München ist, und verlangte, »dass die Daten von Atommüll-Ablieferern, Behörden und Wissenschaft der Öffentlichkeit leicht und vollständig zugänglich gemacht werden«.

 

Mit Schreiben vom 15. Januar bestätigte nun das Bundesministerium für Bildung und Forschung, dass das IWW »kein selbständiges Institut, sondern Teil des Helmholtz-Zentrums München« ist – und man also wieder einmal den Bock zum Gärtner gemacht, ihm aber immerhin den gelehrt klingenden Namen »Institut für Wissensanalyse und Wissenssynthese« als Maske aufgesetzt hatte.