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Titel320

Barlach und Reemtsma  (Karl-H. Walloch)

Mit dem Ernst Barlach Haus gehört seit November 1962 ein weiteres Museum zum historischen Jenisch-Park. Der Ausstellungsbau ist dem großen expressionistischen Künstler gewidmet. Ernst Barlach, am 2. Januar 1870 in Wedel bei Hamburg geboren, lebte und arbeitete seit 1910 im mecklenburgischen Güstrow und starb am 24. Oktober 1938 in Rostock. Die Brücke von Güstrow nach Hamburg bildet die Stiftung Hermann F. Reemtsma, die die private Barlach-Sammlung des Stifters und das Ausstellungshaus betreut.

 

Zur ersten persönlichen Begegnung zwischen Ernst Barlach und Hermann Fürchtegott Reemtsma kam es 1934. Der Zigarettenfabrikant suchte den Künstler in seinem Atelier in Güstrow auf. Der Industrielle und Kunstsammler war begeistert von Barlachs Plastiken und erwarb die Holzskulptur »Der Asket«. Über seinen ersten Barlach-Kauf schrieb Reemtsma im November 1948 an einen Bekannten: »Ich bin 1934 zu ihm hingefahren, weil mich seine Kunst, der ich erst zwei Jahre vorher bewusst begegnet war, anging. Alles weitere, was daraus folgte, war innere Verpflichtung und hat nichts mit Mäzenatentum zu tun.«

 

Nicht erst seit der Machtübernahme der Nazis 1933 war seine Kunst in Holz, Bronze und auf Papier, einschließlich seiner Dramen und seiner Prosa, unerwünscht. Schon in der Weimarer Republik führten völkisch-national Gesinnte um die von ihm gestalteten Ehrenmale, die sich in Güstrow (heute in Köln), Kiel, Lübeck und Magdeburg befinden, einen scharfen Kampf. Seit 1930 verkaufte der Künstler seine Arbeiten immer schlechter. Aufträge blieben aus, Ausstellungen und Aufführungen der Dramen wurden immer häufiger abgesagt. Die Kunst Barlachs wurde in den Feuilletons nationalistischer Zeitungen mit den Worten »undeutsch« und »minderwertig« diffamiert. Barlachs finanzielle Situation war mehr als schlecht. Doch trotz aller Angriffe und der Ausgrenzung im Kunstbetrieb arbeitete er in seinem Güstrower Atelier weiter.

 

Ab 1933 verstärkte sich der politische Druck auf den sensiblen Künstler. Ernst Barlach passte sich nicht der faschistischen Kunstdoktrin an. Er setzte weiter auf seine eindeutige Handschrift. Seine Formensprache blieb einfach, klar und direkt. Da der Künstler Russland kannte, war in seinen Werken immer wieder auch der russische Mensch Thema. Für die Nazis eine Provokation. Sie belegten die Arbeiten des Humanisten Barlach mit dem Stigma »entartete Kunst«. In Güstrow kam es zu tätlichen Übergriffen auf den Künstler. Bis zu seinem Tod blieb Ernst Barlach ein Verfemter. Dass schreckliche Zeiten kommen, erfuhr Barlach Anfang 1933 durch die Annullierung eines großen Auftrages. Die Schauspielerin Tilla Durieux und ihr Mann Ludwig Katzenellenbogen hatten beim Künstler die Figurengruppe »Fries der Lauschenden« in Auftrag gegeben. Da beide 1934 emigrieren mussten, kehrten die drei bereits fertiggestellten Holzfiguren nach Güstrow zurück. Ernst Barlachs finanzielle Lage war bedrohlich. In dieser Situation traf der Industrielle Hermann F. Reemtsma bei seinem ersten Atelierbesuch in Güstrow den Künstler an.

 

Der Grundstein für den Zigarettenkonzern, dessen Mitbesitzer Hermann F. Reemtsma war, wurde in den zwanziger Jahren gelegt. Am 12. November 1929 veröffentlichte Die Weltbühne einen mit »Neuerburg und Reemtsma« überschriebenen Beitrag. Der Autor T. H. Tetens schrieb: »… von rund siebenhundert Herstellungsbetrieben aus dem Jahre 1924 sind kaum mehr als zwei Dutzend namhafter Firmen übriggeblieben. Die wenigen selbständigen Firmen werden von den beiden Mammutkonzernen Reemtsma und Neuerburg fast erdrückt, die heute schon zusammen achtzig Prozent der deutschen Zigarettenproduktion beherrschen.« Und weiter: »Der ärgste Skandal war jedoch die bewußte Förderung der Interessen der Konzerne Reemtsma und Neuerburg durch beeinflußte hohe Beamte des Reichsfinanzministeriums. Bestimmte Kreise hatten sich schon immer um die Herbeiführung der Zwangswirtschaft im Zigarettengewerbe bemüht.« Tetens berichtet, dass das Ministerium 1927 eine Verfügung erließ, »die unter dem Vorwand, das Steueraufkommen zu sichern, mit einem […] administrativen Eingriff die Wirtschaftsfreiheit des Zigarettengewerbes im Interesse weniger Großfirmen aufhob. Dieser geglückte Coup brachte durch die behördlich angeordnete Herabsetzung des Händlerverdienstes allein dem Konzern Reemtsma eine Sonderbereicherung, die hoch in die Millionen ging.«

 

1929 kontrollierte die Reemtsma-Gruppe bereits 40 bis 50 Prozent der gesamten deutschen Zigarettenproduktion. Nach 1933 stieg der Anteil durch weitere Eingliederungen von Herstellern in die Reemtsma-Firma auf 80 Prozent der Gesamtproduktion an. 1935 änderte das Unternehmen seine Rechtsform von einer Aktiengesellschaft in eine Kommanditgesellschaft. Haupteigentümer der Reemtsma-Firma war der Bruder des Kunstfreundes Hermann Reemtsma, Philipp Fürchtegott Reemtsma, der beste Verbindungen zur nationalsozialistischen Macht hatte. Im August, es kann auch der September 1933 gewesen sein, das genaue Datum lässt sich nicht feststellen, traf Philipp F. Reemtsma das erste Mal mit Hermann Göring zusammen. Kurze Zeit nach der Begegnung war der Name Reemtsma aus der »Korruptionsliste« der Reichsregierung gestrichen.

 

Gleichzeitig leistete der Magnat einen ersten Betrag von vier Millionen RM zur Finanzierung von eigenen Projekten des Herrn Feldmarschall Hermann Göring. Dieser großen Summe folgten Beträge von einer Million RM jährlich. 1934 war Philipp F. Reemtsma im Aufsichtsrat der Deutschen Bank, später in gleicher Funktion bei der Vereinigten Glanzstoff tätig. 1938 erhielt er den Titel »Wehrwirtschaftsführer« verliehen.

 

Wie Sammler Hermann F. Reemtsma mit der »entarteten Kunst« und seiner ebenfalls engen Zusammenarbeit mit den Nazis und seinem Tabakkonzern leben konnte, bleibt offen. Er hat alle Ernst-Barlach-Werke, die er nach und nach vom Künstler in Güstrow direkt erworben oder in späteren Jahren ersteigert hatte, seiner Stiftung vermacht – auch den »Fries der Lauschenden«. Damit besitzt das Museum in Klein Flottbek eine der bedeutendsten Sammlungen von Skulpturen, Zeichnungen und druckgrafischen Blättern Ernst Barlachs.

 

Untrennbar ist Barlachs literarische Arbeit mit seinem Gesamtwerk verbunden. So erscheinen die berühmten Holzskulpturen, wie es der Künstler 1924 notierte, als »Kunst-Menschen«, die, Handpuppen oder Marionetten vergleichbar, auf den Bühnen von Museen, Galerien oder Privatsammlungen auftreten. Seine Theaterstücke wie »Der arme Vetter«, »Die gute Zeit« oder »Der tote Tag« mit einer Fülle grotesker Gestalten und ihren karnevalesken Wortschöpfungen lassen Körperlichkeit wie Innenleben greifbarer werden. Programmatisch heißt es 1926 in »Der Blaue Boll«: »Werden, das ist die Losung!«

 

Zu erwähnen ist die erste umfassende Ernst-Barlach-Biografie von Gunnar Decker, der 2016 mit dem Heinrich-Mann-Preis ausgezeichnet wurde. Die Biografie ist im November 2019 unter dem Titel »Ernst Barlach – Der Schwebende« im Siedler Verlag in der Verlagsgruppe Random House erschienen.

 

 

Bis 22. März: »›Werden, das ist die Losung!‹ Szenen zum 150. Geburtstag von Ernst Barlach«, Ernst Barlach Haus, Baron-Voght-Straße 50a, 22609 Hamburg. Täglich Dienstag bis Sonntag von 11-18 Uhr. Eintritt: 7/5 €, Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre frei.