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Wahl ohne Wahl  (Sergej Guk)

Wladimir Putin soll nach achtjähriger Präsidentschaft am 2. März abgelöst werden. An diesem Tag wählt Rußland den Nachfolger. Aber niemand spricht von politischer Weichenstellung. Die Öffentlichkeit nimmt von dem Ereignis kaum Notiz. Putin hat Dmitrij Medwedew zum Nachfolger bestimmt, und die Bevölkerung samt den meisten Politikern hat es widerspruchslos zur Kenntnis genommen – wie die Wettervorhersage.

Nur die drei anderen Kandidaten versuchen den Eindruck zu erwecken, als fände doch so etwas wie Wahlkampf statt. Aber sie streiten nicht gegen Medwedew, schon gar nicht gegen Putin, sondern gegeneinander. Da kommt im Wählervolk etwa so viel Kampfstimmung auf wie im Heim der betagten Jungfern beim Abendgebet. Und die Meinungsumfragen zeigen immer das gleiche eintönige Bild: Fast drei Viertel der biederen Bürger wollen am 2. März dem Putinschen Kronprinzen ihre Stimme schenken.

Herrscht Apathie? Totale Gleichgültigkeit?

Nicht nur.

Nach der Jelzinschen Periode der Ausplünderung der nationalen Wirtschaft, der Anbiederung an die USA, des drohenden Zerfalls und der massenhaften Verelendung erscheint Putin, der zur Wiederherstellung der Stabilität beigetragen hat, als Retter der Nation. Die meisten Russen wagen nicht zu träumen, daß ihr Leben unter einem anderen Präsidenten noch besser werden könnte. Es soll bleiben, wie es ist, Hauptsache: nicht schlimmer. Nur keine weiteren neoliberalen Experimente an uns, bitte!

Das kritiklose Vertrauen auf Putin ist die Hauptursache, warum die Opposition derzeit keine Chance hat.

Nur selten tauchen noch politische Witze auf, und die sind auch eher dumpf als geistvoll – so wie dieser: Im Jahr 2020 sitzen Putin und Medwedew zusammen im Kreml, Putin fragt: »Sag mal, ich habe ganz vergessen, wer ist bei uns eigentlich Präsident, Du oder ich?« – »Du natürlich.« – »Um so besser, dann geh los und hol uns schnell ein paar Dosen Bier.«

Ein bißchen Diskussionsstoff lieferte die Partei »Einiges Rußland«, dem Kreml in ewiger Nibelungentreue verbunden. Ihr Regionalverband im sibirischen Krasnojarsk brachte in der Staatsduma einen Gesetzentwurf ein, nach dem Geschenke an die Wähler legalisiert werden sollen, sofern ein Kandidat sie nicht persönlich, sondern – welch ein glänzender Einfall – über Dritte vergibt. Gegenwärtig droht einem derart großzügigen Bewerber der Ausschluß vom Wahlrennen.

Die Träume vom Fiskus als Selbstbedienungsladen für die Obrigkeit scheinen bei uns unsterblich zu sein. Ich erinnere mich, wie eine der sich demokratisch nennenden Galionsfiguren der 90er Jahre, Gawriil Popow, damals Oberbürgermeister von Moskau, ganz ernsthaft die Legislative aufforderte, die Korruption zu legalisieren. Seine Logik: Die Beamten lassen sich sowieso bestechen, man sollte sie deswegen nicht mehr als Straftäter verfolgen, sondern die Schmiergelder besteuern – zugunsten des Fiskus. Popow ließ lediglich eine Frage offen: Wie soll man mit Steuereintreibern verfahren, wenn auch sie sich von den korrupten Beamten bestechen lassen? Neue Steuerfahnder losschicken? Und wenn diese sich wiederum nicht als vertrauenswürdig erweisen?