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Titel0509

Die Neureichen sparen am Personal  (Sergej Guk)

Er sagte es einmal, und ich glaubte ihm; er wiederholte es, und ich begann zu zweifeln; er versicherte es zum dritten Mal, und ich begriff, daß er lügt. Dieser Erfahrungssatz kommt mir ins Gedächtnis, nachdem das Vertrauen der russischen Bevölkerung zur Obrigkeit tief in den Keller gesunken ist. Noch vor drei oder vier Monaten beteuerten »die da oben« oder ließen beteuern, die Weltfinanzkrise werde Rußland nie heimsuchen. Das Land werde eine Insel im brausenden Ozean der globalen wirtschaftlichen Erschütterungen bleiben. Einige Wochen später klang es schon nicht mehr so überzeugend. Man beruhigte das Fußvolk auf etwas andere Weise: Sollten die Öl- und Gaspreise weiter abstürzen, werde dennoch – auch im allerschlimmsten Falle – der staatliche Rücklagenfonds garantiert für die nächsten drei Jahre ausreichen. Renten, Löhne, Arbeitslosen- und Kindergelder seien gesichert.

Inzwischen hat die Stunde der (Halb?-)Wahrheit geschlagen. Der Wirtschaftsberater des Präsidenten, Arkadij Dworkowitsch, offenbarte jüngst vor der Staatsduma, das Etatdefizit könne in diesem Jahr auf zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts steigen. Zugleich wurde bekannt, daß der ganze Rücklagenfonds nur zwölf Prozent der wirtschaftlichen Gesamtleistung des Staates ausmacht.

Im vergangenen November, als Präsident Dimitrij Medwedew den Bundeshaushalt 2009 unterschrieb, stand darin noch ein Überschuß. Fast zur gleichen Zeit spielte aber Finanzminister Alexej Kudrin diese Hoffnung bereits herunter und sagte ein Defizit voraus. Im Januar kam es unter den Regierenden und ihren Experten zum Kampf über die Größe des Haushaltsloches. Anfangs bezifferte man es auf ein Prozent, dann erhöhten sich die Schätzungen auf fünf oder sechs, zeitweilig schwankten sie bei zehn Prozent.

Präsident Medwedew mußte dringend einschreiten. Mitte Februar begann er höchstpersönlich im Fernsehen »Die Wahrheit über die Krise« zu offerieren. Wurden wir dadurch klüger? Wir erfuhren, daß die Weltkrise schlimme globale Folgen habe. Rußland mit seinen Vorräten an Devisen habe aber alles unter Kontrolle. Man werde den Rubel nicht erdrutschartig, sondern etappenweise abwerten. Die sozial Schwachen würden nicht im Stich gelassen. Ein Programm zur Schaffung neuer Arbeitsplätze sei bereit, verwirklicht zu werden. Letztlich werde alles gutgehen. So sprach der Präsident.

Jahrzehntelang hatte die russische Führung von der längst fälligen Modernisierung der Wirtschaft nur geredet und nichts getan. Wozu denn auch? Holz, Erdöl, Gas, Erze und andere Bodenschätze hatten den Fiskus noch immer gesättigt. Derweil habe der Kreml kein einziges Infrastrukturprojekt nationalen Maßstabs, auch kein nennenswertes neues Produktionsverfahren realisiert, empörte sich kürzlich der Oberbürgermeister von Moskau, Juri Luschkow, einer der Vorsitzenden der Partei Eigenes Rußland. Die Abhängigkeit des Landes von Importen sei erschreckend, zum Beispiel würden 90 Prozent aller Arzneimittel eingeführt, eine ähnliche Situation habe sich auf dem Lebensmittelmarkt herausgebildet. Vom Preisanstieg durch Abwertung des Rubels gar nicht zu reden.

Statt in die Produktion zu investieren, sind die Oligarchen in Finanzspekulationen versumpft. Ihre einmal zum Spottpreis erworbenen ehemals staatlichen Unternehmen können und wollen sie nicht managen, statt dessen stecken sie ihre Kapitalien in Medien, Fußballmannschaften, Luxusgegenstände, Wertpapiere. Laut Luschkow betrug die – zumeist illegale – Kapitalflucht aus Rußland in den vergangenen zwanzig Jahren rund 500 Milliarden Dollar. Und der Staat schreitet mit schlechtem Beispiel voran. Statt nationale Wirtschaftsprojekte zu fördern, steckt er die Exporterlöse überwiegend in ausländische Wertpapiere oder Bankdepositen, die nicht immer zuverlässig sind.

Luschkow machte einen radikalen Vorschlag: das zu lächerlichen Preisen erworbene Eigentum der Oligarchen zu enteignen – nicht die Verluste der Spekulanten zu enteignen, sondern ihre Unternehmen. Später, sagte er zur Beruhigung der Geldsäcke, könne man dieses Vermögenswerte wieder privatisieren – dann aber zu Marktkonditionen. – Was war das? Ein Signal von ganz oben, um die öffentliche Unzufriedenheit ein wenig zu lindern? Vielleicht. Aber ich bezweifle, daß die Exekutive Taten folgen läßt.

Jetzt wird in den Medien, vor allem im Fernsehen, eifrig diskutiert, was geschehen soll. Die Preise ignorieren das plötzliche Erwachen des Patriotismus und klettern unaufhaltsam weiter. Und niemand empört sich nun darüber, daß die Lebensmittelläden fast täglich ihre Preisschilder auswechseln. Unter Neureichen wächst das Interesse an Kochkursen. Sie entlassen in diesen schweren Zeiten ihr Bedienungspersonal. Aus Sparsamkeit.