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Titel052013

Aus den Medien verbannt  (Diether Dehm)

Wenn die herrschenden Leitmedien die Medien der Herrschenden sind, war Dietrich Kittner ein Medienprodukt. Wenn sie zischelten: »Sei leiser!«, wurde er lauter. Wo Feuilletonisten angewidert die Nase rümpften, die Nuancen litten ja derart unter dem Straßengegröle, hatte er die Rote-Punkt-Aktion gegen die Hannoveraner Fahrpreiserhöhungen gegründet. Wenn sie ihm bedeuteten, sich doch von keiner Partei instrumentalisieren zu lassen, tat er es gleich für drei Parteien, (SPD, DKP und Linkspartei, die wir ihn auch für die Bundesversammlung gewinnen konnten; aber er trat stets für Mehr-Gemeinsamkeit dieser Parteien von unten ein). Wo Konzernschreiber die feine zerbrechliche Klinge priesen, nahm er den Krummsäbel. Wo sie ihn dann als Plattmacher denunzierten, kam er mit filigranem Pointenflorett.

Ob es ihm genutzt hätte, den Herrschenden ins Süße zu folgen? Wir befreundeten uns auf der Waldeck. Auch mit Franz Josef Degenhardt, Süverkrüp, Maurenbrecher und anderen. Wir hatten im Leben Mediengängigeres geschaffen. Aber auch wir erfuhren sehr früh: Wer nicht mehr verniedlichend von »Märkten« spricht, sondern von Killern, wo Streuminen exportiert, auf Wasser und Lebensmittelverknappung spekuliert und im Süden Studierende, Rentner und Arbeitende in den öffentlichen Selbstmord getrieben werden, wird von den »Zeitungsschreibern« (»Mit dem Blut der Opfer/ Schmieren sie’s hin: die Mörder sind es nicht gewesen./ ... Von Wirtschaftskrisen sprechend, statt von Morden«, Brecht, »Billigung der Welt«) aus den veritablen Kunst-Sendeplätzen getilgt.

Wer widerspricht, fliegt raus! Die feinsinnigen Schreibsöldner des Kapitals haben diesen Kittner schon sehr gehaßt.

Er war der klassische Agitator, der Profiteure wie Kaninchen aus dem Komödiantenhut zauberte. Im Grunde zielte sein Witz auf das cui bono von Überbauerscheinungen, staatlichen oder kulturellen. Der nackte Kaiser Kapital wurde durch seine parlamentarischen Umhänge angerufen.

Was nicht in den Medien ist, ist nicht – sagen Realpolitiker. Aber Kittner hatte sich entschieden. In einem Land, das zu den imperialistischen Führungsnationen aufrückt, spielte er nicht mit. Jedenfalls nicht bei deren Show: da, wo Widersprüche im Mörser von Talkshows solange zerbröselt werden, bis für jeden die homöopathisierte Desensibilisierungs-Dosis abfällt. Was getalkt wird, bleibt so ungesagt, daß nichts in Bewegung ausartet.

Aber so realpolitisch war Kittner, daß auch ihn zuweilen schmerzte, so gar nicht in Medien zu existieren. Der »alte Haudegen«, wie Kollegen fraternisierten, war genauso verletzbar wie die schulterklopfenden Träger von Kunstpreisen, wovon er in einem halben Jahrhundert ganze drei (bürgerlich-) nennenswerte erhalten hatte. Auch die weniggewordenen Linken in den Medien haben sich für ihn selten aus der Deckung gewagt. Zu bequem war die Ausrede, er wolle es ja selbst nicht anders. (Wer mochte diesem Bären dann glauben, als er von seiner schweren Krankheit sprach?)

Wie mitfühlend dieser Kittner war, erfuhr ich, als es mir 1995 dreckig ging. Biermann hatte sich gerade theatralisch in Pose geworfen, ich sei 1977 planmäßig von seinen Ausbürgerern – »also im Auftrag der Krake Stasi« – zu seinem Manager getrickst worden (obwohl »meine«, frisch via Gauck zusammengebastelte »Stasiakte« sogar das Gegenteil dokumentierte). Mühsam hatte er sich meine abgetauchte Telefonnummer ergattert, tröstete nicht nur mit Zuspruch, sondern harten Fakten: Nach zwei Stunden Gespräch hatte ich ein Interview der damaligen Satirezeitung Pardon mit dem DDR-Liedermacher aus dem Jahr 1975, also ein Jahr vor der Ausbürgerung, auf dem Fax, wo Biermann bereits ziemlich genau die Umstände einer Ausbürgerung »vorhersah« – nebst deren kommerziellen Vorteilen. Für mich wurde einiges klarer. Über welches Archiv und/oder welches enzyklopädische Wissen muß dieser Kittner verfügt haben!

Für die Unteren war sein Witz zur Stelle, wo sie die Köpfe hängen ließen.

Gerade hätten wir ihn in seiner niedersächsischen Heimat mal wieder nötig.