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Titel514

»Laß uns in Ruhe, John Kerry!«  (Norman Paech)

Es mangelt derzeit nicht an gefährlichen und blutigen Konflikten, die den Handwerkskasten der Außenpolitik auf äußerste strapazieren. Kaum ist es gelungen, die bedrohliche Eskalation um das Atomprogramm Irans aus der Kriegszone an den Verhandlungstisch zu holen und auch den Krieg in Syrien auf den Konferenztisch zu legen, beeilt sich die Europäische Union, Frankreich in Afrika militärisch unter die Arme zu greifen. Dort ist man ohnehin neben Mali und der Zentralafrikanischen Republik bereits im Kongo, Tschad, Sudan und in Somalia ohne nachhaltigen Erfolg aktiv. Präsent sind Franzosen und Amerikaner in fast allen Ländern vom Golf von Guinea bis zum Horn, immer auf dem Sprung einzugreifen. Nur in Palästina ist es Außenminister Kerry allein, der wie ein Derwisch zwischen den Gegnern hin und her springt, um Frieden zu stiften. Eine militärische Intervention – in allen anderen Konflikten immer auf dem Tisch – ist niemals erwogen worden und verbietet sich von selbst. Doch warum versuchen USA und EU nicht auch in diesem Fall eine »Genfer Konferenz«, unter Einbeziehung der UNO? Weil alle Konferenzen bisher, von Madrid über Oslo, Camp David, Taba bis Annapolis, erfolglos waren? Wohl kaum, denn niemand hat von Genf II einen nachhaltigen Frieden für Syrien erwartet, man geht dennoch da hin. Keine der US-Pendelmissionen, ob David Hale oder George Mitchell, hatte einen Erfolg vorzuweisen, und doch versucht es Kerry seit Wochen erneut.

Die Wahrheit ist einfach und liegt bei der israelischen Regierung: Sie schätzt keines der drei Instrumente der Außenpolitik: weder ausländisches Militär, noch die große Konferenz, schon gar nicht unter Beteiligung der UNO, noch den einsamen Emissär. »Retten kann uns nur, daß John Kerry den Friedensnobelpreis gewinnt und uns in Ruhe läßt« – dieser Stoßseufzer von Verteidigungsminister Moshe Jaalon steht für die Meinung der gesamten Regierung. Sie fühlt sich am sichersten und bequemsten in der gegenwärtigen Situation des »low intensity warfare«, des Krieges auf kleiner Flamme, mit dem man die Palästinenser am leichtesten in Schach halten und die Annexion palästinensischen Landes am ungehindertsten und effizientesten vorantreiben kann. Die UNO haben die Israelis – bisher erfolgreich – aus den Verhandlungen herausgehalten, da in ihr eine überwältigende Mehrheit von Staaten den Rückzug Israels aus den besetzten Gebieten fordert – was die USA und EU nicht tun. Insofern ist Kerry in den Augen der Israelis die harmloseste aller internationalen Friedenstauben. Ihm ist der Friedenswillen nicht abzusprechen, aber ihm fehlen die Instrumente, diesen umzusetzen. Sie werden ihm von der eigenen Regierung vorenthalten. Kerry weiß das. Aber er hält den Fetisch »Zwei-Staaten-Lösung« aufrecht, weil sich die Obama-Administration den »jüdischen Staat« des Netanjahu zu eigen gemacht hat.

Die israelische Regierung hat niemals in ihrer Siedlungspolitik innegehalten und stets ihre Versprechen zu einem Siedlungsstopp gebrochen. Diese Politik ist nicht nur Landraub mit dem erklärten Ziel der Annexion, wie sie erst kürzlich Wirtschaftsminister Naftali Bennett wieder verkündet hat. Sie ist direkt gegen das eigene Bekenntnis zu einem separaten palästinensischen Staat gerichtet, da sie diesem kein zusammenhängendes Territorium mehr übrigläßt. Ob die Errichtung der Mauer und des Sperrzaunes oder der Abriß palästinensischer Häuser und die zwangsweise Umwidmung von palästinensischem Territorium zu militärischer, archäologischer oder Park-Nutzung, das Ziel ist dasselbe: Annexion des Landes und Vertreibung der Bevölkerung. Die Regierungen der USA und der EU haben diese Politik wiederholt als rechtswidrig kritisiert, aber ohne Konsequenzen daraus zu ziehen. Sie haben sie geduldet und faktisch akzeptiert. Erst Anfang Februar hat Jerusalem 550 neue Wohneinheiten in drei Siedlungen in der Nachbarschaft Ost-Jerusalems bewilligt. Nach Angaben von Peace Now hat die Regierung Netanjahu seit Beginn der Friedensverhandlungen Ende Juli 2013 die Pläne für 7302 neue Wohneinheiten verabschiedet, 4880 in der Westbank, 2422 in Ost-Jerusalem. Die israelische Regierung weiß, daß ihre Obstruktion jeder Friedensperspektive und die forcierte Annexion palästinensischen Landes keine Sanktionen nach sich ziehen werden. Während Kerry in Jerusalem bei seiner zehnten Reise Anfang Januar Optimismus verkündete, konterte Netanjahus Koalitionspartner Bennett, Chef der Partei Das jüdische Haus: »Wir werden nie die Hand bieten zu einer Aufgabe eines vereinten Jerusalems …, und wir werden keinem Abkommen zustimmen, das auf den Linien von 1967 basiert.« Hanan Ashrawi von der PLO hält das alles für eine Farce: »Israel betreibt eine gezielte Provokation der Palästinenser, damit sie die Verhandlungen aus Protest gegen die Verstöße Israels verlassen, um ihnen dann die Zerstörung des Friedensprozesses vorwerfen zu können.«

Netanjahu hat die wesentlichen der bisher bekanntgewordenen Vorschläge des Kerry-Planes kategorisch abgelehnt: weder Landtausch auf der Basis 1:1 noch Ost-Jerusalem als Hauptstadt eines palästinensischen Staates, keine Rückkehr auch nur eines einzigen Flüchtlings. Dagegen sollen die drei mächtigen Siedlungsblöcke Ariel, Ma‘ale Adumim und Gush Etzion sowie das durch den Sperrzaun und die Mauer bereits abgetrennte palästinensische Territorium – mindestens 13 Prozent des Besatzungsgebietes – endgültig zu Israel geschlagen werden. Als Ausgleich bietet Netanjahu drei Prozent israelischen Landes, fordert aber die militärische Kontrolle über das gesamte Jordantal. Kerrys Vorschlag einer gemeinsamen Truppe aus Palästinensern, Israelis, Amerikanern und Jordaniern an der Ostgrenze des Jordans, um den Sicherheitsbedenken Israels entgegenzukommen, lehnt er ebenso ab wie den jüngsten Vorschlag von Abbas, ausländische Truppen an der Ost- wie an der Westgrenze eines palästinensischen Staates zu stationieren.

Das Jordantal ist das fruchtbarste Agrarland der Westbank und umfaßt 30 Prozent ihrer Gesamtfläche. Es wird fast vollständig von israelischen Siedlern bebaut, nur sechs Prozent sind für palästinensische Bauern übriggeblieben, ein jährlicher Verlust von über 1,3 Milliarden Euro für die palästinensische Wirtschaft. 2013 haben die israelischen Behörden 1.100 Palästinenser aus der Westbank einschließlich Ostjerusalem vertrieben, 80 Prozent davon aus dem Jordantal, das für Israels Exportwirtschaft von erheblichem Wert ist. Vor einem Monat hat das israelische Kabinett einen Gesetzentwurf verabschiedet, das Jordantal wie schon Jerusalem und die Golanhöhen endgültig zu annektieren. Bliebe es weiterhin unter militärischer Kontrolle Israels, würde sich auch in einem separaten palästinensischen Staat nichts ändern, da es für die Bauern gesperrt bliebe.

Doch der Palästinensische Staat ist schon lange geraubt und verkauft. Das wissen alle, Obama, Kerry und Merkel, denn sie haben alle mitgeholfen. Was ist also von Kerrys Mission zu halten? Einen lebensfähigen und souveränen Staat Palästina wird er von den Israelis nicht bekommen können. Dazu hätte er Sanktionen, etwa die Kürzung der Milliardenhilfe für die Besatzungskosten, im Gepäck haben müssen. Wollte er vielleicht nur Abbas und seine Palestinian Authority (Palästinensische Autonomiebehörde) in das israelische Korsett zwingen? Auch das wird ihm nicht gelingen, denn er hat den Palästinensern nichts anzubieten. Sein Vorschlag geht eindeutig zu Lasten eines palästinensischen Staates. Ist alles nur ein aufwendiges Ablenkungsmanöver, um den Druck Netanjahus von den Verhandlungen mit dem Iran zu nehmen? Wie dem auch sei, Kerry ist mit untauglichen Instrumenten zu einer unmöglichen Operation angereist und will sie auch noch über das vorgesehene Ende im April 2014 verlängern. Er sollte nach Hause geschickt werden, um nicht weitere Illusionen zu verbreiten. Netanjahu ist nicht Ban Ki-moon, und Palästina ist kein Handelsobjekt. Auch hier erweist sich die US-Politik nicht weiter als vor vierzig Jahren, als Präsident Johnson auf dem Höhepunkt des Vietnamkrieges bekannte: »Es muß alles noch viel schlimmer werden, ehe es besser wird.«