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Titel514

Generationen zu Picasso  (Peter Arlt)

Zum »eigenmächtigsten und gewaltigsten Bild-Erfinder« prognostizierte Lothar Lang 1976 in der Weltbühne: »Die Forschungen zu Picassos Werk werden noch Generationen beschäftigen.« Unerschöpflich bleiben Werk und Leben Picassos. Seine Kunst aus der Entstehungszeit zu erschließen, läßt die Aktualität Picassos erleben, sein Engagement gegen die waffenstarrende Zeit und für Frieden, die von ihm tief empfundene dramatische Beziehung zwischen Frau und Mann. Picassos Kunst bleibt offen für neue Rezeption und bedeutend in neuer Gegenwart. Neue Generationen treiben aus hohem spezialisierten Wissen die Forschung in die Tiefe. Zum Thema »Picasso und das Modell« erzählt eine Ausstellung über Sylvette in der Kunsthalle Bremen (28.2. – 22.6.14).

Mit der Ausstellung »Pablo Picasso. Bacchanal des Minotaurus« schmückt sich derzeit das Kunsthaus Apolda Avantgarde anläßlich seines 20. Geburtstags, auf Grafik beschränkt, etwa 130 Blätter, Werke aus dem Kunstmuseum Pablo Picasso Münster. Die beiden Hamburger Kuratoren Tom Beege und Andrea Fromm folgen der bekannten Überlegung, bei Picasso vom Geschlechtlichen als »élan vital«, der lenkenden Lebenskraft, auszugehen. Gaston Diehl verwies einst darauf, »daß jedes neue Gefühlsabenteuer Picassos unweigerlich einen neuen ästhetischen Standpunkt mit sich brachte«. Allerdings hat 2002 die Chemnitzer Ausstellung »Picasso et les femmes« nachgewiesen, wie schematisch solch eine Epocheneinteilung ist. Trotzdem versuchen Apoldas Katalogtexte weiterhin, Picassos Werk nach den wesentlichen Liebesaffären zu periodisieren. Einseitig wird die schöpferische Vitalität mit der engen Verbindung zu Frauen begründet, als hätte Picasso mit »Eva« zum synthetischen Kubismus gefunden oder hinge der Technikwechsel von der Lithographie zum Linolschnitt mit einem Frauenwechsel zusammen. Dabei gab es in Vallauris keinen Stein-, dafür einen Linolschnittdrucker. Besonders interessiert in Apolda, wie der Archetyp Weib auch bei Picasso das ambivalente Gefühl von Erhobenheit und Überwältigtsein bewirkte. Der Katalog läßt in eindringlichen Beispielen den Sex als Schaffensfuror gegen den Tod erleben, wie Frauen und Freunde ihr Leben stark mit dem Picassos verbanden, was mehrfach zum Selbstmord führte. Behauptet wird, Picasso habe alle Frauen vergewaltigt. Doch Françoise Gilot erblickte zwar in ihm ein »schönes Tier«, aber sie ermunterte ihn nicht mit Widerstand, eine sexuelle Vorliebe von ihm. Picasso entsprach mit viel Zeit herzlich und sanft beiderseitigem Wunsch. Picassos Minotaurus ist voll brachialer Gewalt und zärtlicher Innigkeit, ein Mann mit Stiermaske. Biographisches spielt hinein, doch den Anstoß zum Mischwesen aus Stier und Mann gab der Verleger Albert Skira, der 1928 ein Titelbild zur Zeitschrift Minotaure brauchte. Den bekannten Mythos erweiterte und veränderte Picasso, machte die Minotauren zum Herrscherstamm, von dem an jedem Sonntag einer getötet wird. Zu ihm und wohl zu sich meint Picasso, nicht um seiner selbst willen geliebt zu werden, weshalb er in Orgien Erotik sucht und die schlafende Frau, die er bewacht, wecken oder töten und streicheln wird.

Mißverständlich betitelte Andrea Fromm ihren Text »Von Frauen und Fröschen«. Leider zeigt man nicht die schöne Lithographie »Kröte« von 1949, obwohl sie zu dem Zeitpunkt entstanden ist, als Picasso sagte: »Für mich gibt es keinen Unterschied zwischen einer bezaubernden Frau und einem Frosch.« Dabei meinte er die künstlerische Bearbeitung und keine Herabsetzung des schönen Geschlechtes.

Bei der Ausstellungsgestaltung bezaubert der Farblinolschnitt »Faune und Ziege«, 1959, an der schönsten Wand, die aber durch die Konfrontation mit einem schwächeren »Doppel« ohne schwarze Linien (»Suche den Unterschied!«) verschwendet wird. Als besonders beeindruckender Werkkomplex werden die Lithographien geschätzt, von denen die Aura einer glücklichen Lebenszeit ausgeht. Nach wenigen früheren Versuchen, von denen das »Gesicht (Marie-Thérèse)«, 1928, zu sehen ist, entwickelte Picasso diese Drucktechnik in der Zeit des Neubeginns Frankreichs nach 1944. Es ist auch die Zeit Françoise Gilots, einer jungen Malerin. Mit welcher Lust erschloß sich Picasso die reichen Möglichkeiten der Lithographie beim Pariser Drucker Fernand Mourlot. Er brilliert mit dem Einsatz aller lithographischen Techniken und Mittel. Zumeist gestaltete er in verschiedenen, oft zahlreichen Variationen, die auch die Ausstellung gliedern, besonders »Die zwei Frauenakte«, 1945, und »Frau im Lehnstuhl«, 1949. So werden die Lithographien in ihrer Machart durchsichtig; der Methodiker Picasso eröffnet geradezu spannende Einblicke in seine Arbeitsweise und sein bildnerisches Denken. Einen Vergleich künstlerischer Mittel unternimmt Picasso in der Radierfolge »Der Maler und sein Modell«, als er Honoré de Balzacs Novelle »Das unbekannte Meisterwerk« (1927–1931) mit dem Problem, welche Kunstmittel die Natur erfassen könnten, durchdachte und für Ambroise Vollard illustrierte. Im Blatt 8 wird das Modell in fließenden, klaren Linien umrissen, eine traumhaft sicher gezeichnete Kontur, so zart und rein wie mozartsche Melodienbögen. Eine gedrehte Flächenschraffur setzt er daneben, welche die Malerei bedeutet und die Figur in plastischer Anmutung zeigt. Picasso deutet an, was in welcher Gattung möglich ist, mit dem Ergebnis, das sich keine Gattung zum Sieger erhebt. Unterm Dach des Kunsthauses lassen Tauben mit Regenbogen, Farblithographien von 1952, den Gedanken an den Frieden auffliegen.

Kunsthaus Apolda Avantgarde, Bahnhofstraße 42, bis 23. März 2014