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Titel515

Bemerkungen

Wladimir schikaniert Golfer
An Bösartigkeit ist der russische Staatspräsident nicht zu überbieten, und seine Macht ragt weit – jetzt hat er, so die F.A.Z., »einen Golfplatz in der Kurpfalz verhindert«. Der sollte in Mannheim eingerichtet werden, auf einem bisher von der US-Army genutzten Gelände, das diese schon zu räumen begonnen hatte. Nun muß sie es doch wieder in Anspruch nehmen, als »Zwischendepot« für Panzer, die sich dann im NATO-Auftrag an die Grenzen Rußlands begeben. Wer ist schuld an diesem Verlust für deutsche Freizeitsportler? Das Blatt aus Frankfurt hat da keine Zweifel: »Die Weltpolitik oder, genauer, der Ukraine-Konflikt oder, noch genauer, der russische Präsident Wladimir Putin.«

M. W.


Hochschulreform
Die Bertelsmann AG will ihr Geschäftsfeld »Bildung« ausweiten; zu diesem Zweck hat sie sich mit dem kalifornischen Unternehmen Alliant zusammengetan, das privat akademische Studiengänge und Examina offeriert. Entstehen soll, berichten die Gütersloher, ein »internationales Netzwerk« derartiger unternehmerischer Angebote. Freihandelsabkommen werden einem solchen Verdrängungswettbewerb mit den staatlichen Hochschulen nützlich sein, per »Investitionsschutz«.

 

Die »gemeinnützige« Bertelsmann-Stiftung hat durch ihre Expertisen den Boden für die Kommerzialisierung auch der akademischen Ausbildung vorbereitet. Bedenken kommen noch aus der deutschen Hochschul-Rektorenkonferenz; aber wie lange wird wissenschaftliche »Exzellenz« sich dem Gebot verweigern, daß allein der »Markt« selig mache?

A. K.


Wauwau
Wie Spiegel online berichtet, haben im Hamburger Bürgerschaftswahlkampf verschiedene Kandidaten für sich und ihre Partei damit geworben, daß sie auf ihren Wahlplakaten mit Hunden posierten. Das hätte sich Sigmund Freud nicht entgehen lassen. Denn die Parallelen sind nicht zu übersehen. Schließlich sind auch Hunde Lebewesen, die laute Töne von sich geben, hinter denen kein Inhalt steckt, und die in der Öffentlichkeit Geschäfte verrichten, die dem Hundesteuerzahler zur Last fallen. Oder geht es den Politikern um ein Wesen, das dankbar schwanzwedelnd auf kleine Leckerlis reagiert?


Günter Krone


Nicht normal
Als die Agentur für Arbeit Hanau zu ihrem Neujahrsempfang am 30. Januar 2015 in Langenselbolds Klosterberghalle einlud, kündigte sie fröhlich Gregor Gysi (Linke) als Festredner an. Für die nötige Ausgewogenheit sollten der frühere hessische Wirtschaftsminister Florian Rentsch (FDP) und der linker Neigungen unverdächtige SPD-Landrat Erich Pipa sorgen. Kurz vor dem Termin sagten die Granden der CDU Main-Kinzig ihre Teilnahme ab. Dem Empfang tat das augenscheinlich keinen Abbruch. »Alte Parolen, unterhaltsam verpackt« titelte die Gelnhäuser Neue Zeitung (GNZ), berichtete über die Absage und ließ sich zu der launigen Bemerkung hinreißen, Gysi habe sich als unterhaltsamer Redner erwiesen.


Das war offenbar zu viel, und manche Frotzeleien mögen ein Übriges getan haben. Wenige Tage später sah sich die CDU zu einer wuchtigen Erklärung veranlaßt. »Bis zum heutigen Tag sieht die CDU die Linkspartei als keine normale Partei an«, ließ der Kreisvorsitzende Johannes Heger wissen und begründete das auch: Die Linke habe in Teilen ein gespaltenes Verhältnis zum Rechtsstaat, und gewählte Abgeordnete stellten unser bestehendes System offensiv in Frage. Der Vorsitzende der CDU-Kreistagsfraktion und Landtagsabgeordnete Michael Reul setzte noch eins drauf: Die Linke, Nachfolgepartei der SED, weigere sich noch immer, die DDR als Unrechtsstaat zu bezeichnen. Herber Tadel traf auch die Agentur für Arbeit, die sich »für ihren Jahresempfang einem Redner der Linken bedient hat«.


Das mußte einmal gesagt werden, ohne Rücksicht auf Originalität und Grammatik. Kleinlaut gab die GNZ der Pressemitteilung gebührenden Raum. Da sich die Zeitung eines Kommentars enthält, sollten wir ihre bestürzten Leser nicht allein lassen. Wir könnten ihnen sagen:
Parteiverlautbarungen bestechen selten durch intellektuelle Brillanz. Diese hat es gar nicht erst versucht. Sie offenbart nur erschreckend dumpfe Vorurteile. Wollen wir nicht den Spieß umdrehen und die Herren von der CDU fragen, wie viele Altnazis einst in ihre »normale« Partei eintraten? Und sollten wir nicht einmal ihr Rechtsstaatsverständnis anhand ihrer Einstellung zum US-Straflager Guantanamo, zur US-Datenspionage in Deutschland, zur Ausschaltung von Parlaments- und Gerichtskompetenzen durch das geplante Freihandelsabkommen TTIP überprüfen? Wenn sie da etwas falsch machen, laufen sie Gefahr, zum nächsten Jahresempfang der Arbeitsagenten nicht mehr eingeladen zu werden. Obwohl sie einer normalen Partei angehören.

Helmut Weidemann


Vergessene Kraftquelle

Sie kennen ihn alle, haben seinen Namen ungezählte Male gelesen. Mehr als 14 Millionen Deutsche setzt er unaufhörlich in Bewegung. Ein Kraftstoffgemisch ist nach ihm benannt. Doch zu Unrecht wurde der geniale Ingenieur Rudolf Diesel (1858–1913) zu einer Erfinderikone der herrschenden Wirtschaftsform gekürt. Denn der Mann war entschiedener Antikapitalist.


Im Jahre 1903 veröffentlichte Diesel seine Schrift »Solidarismus. Natürliche wirtschaftliche Erlösung des Menschen«. Im Zentrum der dort entworfenen genossenschaftlichen Gesellschaftsorganisation, in der die irrationale, mit permanenter existentieller Unsicherheit verbundene kapitalistische Konkurrenz um Marktanteile entfallen soll, steht die von ihm so bezeichnete »Volkskasse«. »Ihr seid in Deutschland 50 Millionen Menschen, die von Gehalt, Lohn, Salär abhängen« beklagt Diesel. Und er rechnet vor: Würde täglich nur ein Pfennig beiseite gelegt, »so habt ihr pro Jahr 182 Millionen und in zehn Jahren schon zwei Milliarden Mark zu eurer wirtschaftlichen Erhöhung zur Verfügung«. Mit einem solchen Kapitalstock ließen sich, meint Diesel, selbstverwaltete Betriebe aufbauen, die nicht nur für angemessene Löhne sorgen, sondern sich auch gegenseitig zum Selbstkostenpreis mit ihren Waren beliefern. Deren Konsum durch die Arbeitenden erfolge ohne Zwischenhandel am Arbeitsplatz.


Diesel setzte grundsätzlich auf freiwillige Mitgliedschaft an den zu gründenden Genossenschaften. Jedoch war er überzeugt, daß der Nutzen für alle absehbar so deutlich zutage träte, daß am Ende die ganze Gesellschaft sich genossenschaftlich organisieren würde. Die »Erlösung« aus Ausbeutung und prekären Lebensverhältnissen wäre dann erreicht, wenn die kapitalistische Konkurrenz der Vergangenheit angehören würde, Produktion, Verteilung und Konsumption einer vernünftigen Planung folgten.


Rudolf Diesels Ideen zum »Solidarismus« sind schnell in Vergessenheit geraten. Statt dessen schwang sich das folgende Zeitalter der weltweiten Mobilisierung, verbunden mit dem Namen Diesels, zu ungeahnten Höhen auf. Doch hat diese Ära ihren Zenit ganz offenbar überschritten. Mit den sich immer deutlicher abzeichnenden Grenzen des Wachstums, mit Peak Oil und versiegenden fossilen Energiequellen, ist ihr Ende eingeläutet.


Wer weiß, vielleicht kommt es absehbar zu einer Neuentdeckung des »anderen« Diesel, des Theoretikers einer sozialen Ökonomie und solidarischen Gesellschaft. Denken Sie, wenn Sie das nächste Mal eine Tankstelle anfahren, doch einmal darüber nach.

Carsten Schmitt


Die Mathematik der Wurst
Wenn ich Kultur brauche, dann gehe ich in meine Lieblingsbuchhandlung – oder aber ich besuche Lebensmittelgeschäfte. In den Lebensmittelgeschäften werden feinste Waren angeboten, mit denen ich die Geschmacksnerven prüfe, manchmal auch die Verdauung oder ob die angebotene Ware jenem Lebensgefühl entspricht, das mir als »schmeckt fein« bekannt ist.


Bevor aber die Segnungen der Verpackung, die fast vor jedem Lebensmittelgenuß stehen, geprüft sind, bedarf es meist einer Lupe und von Makula-Degeneration verschonter Augen, um sich der Lektüre hinzugeben.


Ein Beispiel: Ich habe es hier mit einer Wurst zu tun, die von der Firma Reiter (Innviertler Fleischwaren e. U.) in Mühring 29, A-4906 Eberschwang, hergestellt wurde und »Glücksgefühle« für den Gaumen verspricht, obwohl der weder beim Lotto, Roulette oder Pferderennen sein Glück versuchte.


Wie auch? Als Gaumen?!


Die Vorderseite der Verpackung garantiert zudem 100 Prozent Fleisch aus Österreich und ein Produkt, das gluten- und laktosefrei ist, damit viele Gaumen etwas davon haben.


Weiterhin möchte ich wirklich nicht unter den Tisch fallenlassen, daß »die mit Gold ausgezeichnete österreichische Spitzensorte für Wurstliebhaber, edel gewürzt und mit Gebirgsholz heiß geräuchert«, der Wurstliebhaberin die »rote Karte« zeigt. Welcher »Edle von Wurst« da Speisesalz, Gewürze, Gewürzextrakte, Speisewürze, Stabilisator E450, Geschmacksverstärker E621, Antioxidationsmittel E141 und Konservierungsstoff E250 in die Wurstmasse streute, ist mir leider nicht bekannt, aber zum Schluß der Zutaten, da liest man: »Buchenrauch«.


Auf der Website wirbt die Fa. Reiter noch mit dem Slogan: »Die feinste, mit Gold ausgezeichnete, österreichische Spitzensorte für Wurstliebhaber. Edel gewürzt, mit Gebirgsholz dunkel geräuchert.«


Eberschwang, wo die Fa. Reiter ihren Firmensitz hat, liegt in Oberösterreich und hatte am 1. Januar letzten Jahres 3.341 Einwohner. Bildung wird mit einer am Ort vorhandenen Volks- und Hauptschule vermittelt. Dort fragte ich vorsichtshalber an, ob die vier Grundrechnungsarten noch gelehrt und geübt werden. Die Antwort war: »Ja!«


Nun denn, ich will Leserin und Leser nicht weiter nerven. Auf dem auf der Rückseite angebrachten, natürlich kleingedruckten Etikett liest man: »REITER SPEZIAL – Fleischwurst Sorte 1, REITER GARANTIERT 100 % FLEISCH AUS ÖSTERREICH, Zutaten: In 100 g Reiter Spezial sind 116 g Schweinefleisch enthalten.«


Was für eine edle göttliche Hand kann eigentlich in 100 Gramm »Reiter Spezial« insgesamt 116 Gramm Schweinefleisch unterbringen? Die anderen »Zutaten«, die ich ja bereits erwähnte, die scheinen auch nichts zu wiegen. Ja, was wiegt eigentlich »Buchenrauch«?


Meine Reklamation in einem der »führenden« Lebensmittelgeschäfte in Salzburg, ganz nah beim Festspielhaus, wo die Hochkultur bei teuersten Eintrittspreisen Jahr für Jahr ihren Niedergang manifestiert, brachte folgende Reaktion: »Jo mei, mia vakaffn dös ja nua!«


Als Liebhaber der vielen österreichischen Dialekte, da kann ich nur darauf reagieren: »Is eh wuascht!«

Oder?

Dieter Braeg


Auf Kneipentour in London
Fahren Sie nach London? Dann folgen Sie dort unbedingt der Durststrecke von Johann-Günther König. Der anglophile Bremer Schriftsteller lädt ein zu einer Kneipentour durch die britische Hauptstadt. Selbst wem Züge durch die Gemeinde fremd sind oder bitter, ale, lager und stout nicht zu seinen bevorzugten Getränken zählt – dieser pub crawl kann selbst Abstinenzler begeistern.


Denn so wenig wie das pub einfach nur eine Kneipe ist, so ist Königs »literarische Kneipentour« durch London sehr viel mehr als nur ein digitaler touristischer Reiseführer für Durstige – oder auch Hungrige, denn das Speisenangebot der pubs ist laut König inzwischen international und vergleichsweise preiswert.


Das britische public house, das wird beim Stöbern auf den 318 Seiten des vom Strombuch-Verlag herausgegebenen multimedialen E-Books schnell klar, ist eine kulturelle Institution, in ihrer Bedeutung vergleichbar mit den traditionsreichen Kaffeehäusern in Wien oder Bistros in Paris. Die pubs haben eine lange Tradition, sind eng verbunden mit dem gesellschaftlichen und kulturellen Leben der Briten und gelten als geschätzte Bewahrer nationaler Identität, obwohl auch sie nicht davor geschützt ist, wie König warnt, von einem Tag auf den anderen unter die Kontrolle extrem profitorientierter Investoren oder in die Hände unfähiger Wirtsleute zu geraten.


Nicht erst seit heute, da das Wohnen in der Finanzmetropole London aberwitzig teuer und für viele so beengt ist, daß sie sich daheim mit Freunden kaum treffen können, ist das pub für viele auch wie ein Wohnzimmer. Und regulars, sprich Stammgäste, die sich von ihrem zweiten Zuhause nach dem Tod nicht lösen möchten, treffen auch auf keine großen Probleme: »Wenn die Wirtsleute nichts dagegen haben, kann die Urnenbeisetzung im Pub stattfinden. Ein nettes Plätzchen für die sterblichen Überreste bieten etwa Kaminsims oder eine Fensterbank«


König ist Ossietzky-Lesern als historisch und polit-ökonomisch versierter Diagnostiker unserer Zeitläufte vertraut. Er bringt uns die britische Trinkkultur und vielseitige Braukunst, deren Geschichte und sozialen Hintergründe so lebendig und unterhaltsam nahe, daß zweierlei gelingt: erkenntnisreiche Einblicke in die britische Klassengesellschaft und deren Entwicklung, gleichzeitig werden Lust und Vorfreude auf das eine oder andere pint in einer der von ihm detailreich beschriebenen Gasthäuser geweckt.


Sehr zum Gelingen tragen die von ihm zielsicher ausgewählter Zitate und Leseproben etwa aus Werken von Charles Dickens, Theodor Fontane oder Heinrich Heine bei. Als hilfreich erweisen sich die multimedialen Angebote dieses Strombuchs: unterhaltsame Videos, die den Autor auf Tour oder im fachkundigen Gespräch mit Wirten und Bierbrauern zeigen; informative Links auf Zusatzinformationen im Internet-Lexikon Wikipedia und geographische Angaben, mit denen sich per Tastendruck auf Handy oder Tablet unter den rund 2000 Londoner pubs schnell die finden lassen, die diesen Namen verdienen beziehungsweise die von König ausgewählt wurden, weil sie auf ihre jeweils spezifische Art unverwechselbar sind. Cheers!

Rainer Butenschön

 

Johann-Günther König: »Pubs in London. Eine literarische Kneipentour«, Verlag Strombuch, 9,99 €, zur Zeit in iBooks verfügbar für iPhone, iPad, iPodtouch und Mac. Bei Google play gibt’s das Opus für Android-Geräte und PC.


Zum 75. Geburtstag
von Rudi Dutschke am 7. März 2015 erscheint in Berlin sein Briefwechsel, den er mit Peter-Paul Zahl in den Jahren 1978/79 führte, als Zahl eine zehnjährige Haftstrafe im bundesdeutschen Knast verbüßte. Dutschke lebte mit seiner Familie zu dieser Zeit nach dem Attentat in seiner neuen Heimat, im dänischen Aarhus, wo er Weihnachten 1979 an den Folgen der Schußverletzung starb.


Anfang 1978 nahm er brieflichen Kontakt zu Zahl auf, den er persönlich nicht kannte und erst später mit seinen Kindern einmal im Knast besuchte.


Der Briefwechsel geht auf eine Bearbeitung von Peter-Paul Zahl aus den Jahren 2001/02 zurück. Dabei ergänzte er, wenn es der Verständlichkeit diente, und ordnete die Briefe chronologisch, auch wenn sie die Empfänger zuweilen in anderer Reihenfolge erreichten. Der Ansatz entsprach seiner dokumentarischen Absicht. Peter-Paul Zahl übergab mir etwa zehn Jahre später sein noch existierendes Teilmanuskript in Kopie mit der Bitte, ihm bei der Suche nach einem Verlag für den Briefwechsel behilflich zu sein. Das Original des Manuskripts ist vermutlich im Haus Peter-Paul Zahls in Jamaika verlorengegangen – Zahl starb 2011 im Krankenhaus von Port Antonio auf Jamaika, wo er seit 1985 lebte und Theaterstücke, Krimis, Lyrik und Prosa schrieb.


Das vorliegende Material endete mit dem Brief Peter-Paul Zahls vom 17. Juli 1978.


Die folgenden Briefe ab Seite 133 sind aus Rudi Dutschkes Nachlaß transkribiert worden, der auf Wunsch von Gretchen Dutschke am Hamburger Institut für Sozialforschung archiviert wurde. Bei der Bearbeitung folgten wir dem chronologischen Ansatz Zahls, verzichteten weitgehend auf die Wiedergabe der den Briefen beigelegten Dokumente, Abschriften und Zeitungsartikel und nahmen keinerlei sprachliche Eingriffe vor, nur Fehler wurden der alten Rechtschreibung folgend behutsam korrigiert.


Dem Briefwechsel ist ein Anhang beigefügt. Er umfaßt ein Abkürzungsverzeichnis und Erläuterungen zu Begriffen und Personen.


Dutschke und Zahl reflektieren in ihren Briefen ihre politischen Aktionen, Motive und Ziele in der 68er Bewegung, die in die verschiedensten Splittergruppen zerfiel. Sie diskutieren – teils kontrovers – die aktuellen politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen zum Ausgang der 70er Jahre und entwickeln dabei eine fast zärtliche briefliche Beziehung, in Sorge umeinander, auch was Zahls Beteiligung an den Hungerstreiks der RAF-Gefangenen betrifft.


Viele Begrifflichkeiten, die in den Briefen verwendet werden, mögen jüngere Leser fremd anmuten – insgesamt ist der Text hochinteressant, besonders wo es um die Abkehr vom und die Rückkehr zum Parlamentarismus geht, mit den Diskussionen um die Gründung der Grünen und der taz bei Rudi und einem gewissen Romantizismus bei Zahl, aber gleichzeitig auch seinem großen Realismus in bezug auf die damalige Repression.


In einem späteren Brief bemerkte Zahl dazu: »Rudi sprach – mit einiger Erbitterung aus böser Erfahrung – schon ganz am Anfang unseres Briefwechsels von den ›verschiedensten Arten der Verdrängung‹, die er wohl oft angetroffen [hat]. Gemeinsam arbeiteten wir daran, diese bei uns nicht zuzulassen, und ich möchte diese Arbeit fortsetzen. Nicht allein, nie allein. Jede Frage Rudis – und er stellte so viele Fragen und provozierte ein jedes Mal intensive Fragen und Antworten! – war ›Retten der Erbschaft‹, ist ›die Negation von Nostalgie und Geschichtsbetrug‹. Diese Rettung, diese Negation gilt es fortzuführen; und ich glaube, indem wir Rudis Denken und Arbeiten authentisch vermitteln – statt der vielen Bilder über ihn, statt der Mythen und der Lügen, die drohen, noch mehr im Schwange zu sein – ehren wir ihn am meisten.«

Christoph Ludszuweit

 

»Mut und Wut. Rudi Dutschke und Peter-Paul Zahl. Briefwechsel 1978/79«, bearbeitet von Gretchen Dutschke, Christoph Ludszuweit und Peter-Paul Zahl, Edition Stadtmuseum Berlin / Berliner Subjekte, 344 Seiten, 24,90 €.

 

Lesung und Gespräch im taz-Café mit Gretchen Dutschke und Christoph Ludszuweit am 6. März, 19 Uhr, Rudi-Dutschke-Straße 23, Berlin


Staatskünstler
Der französische Staatsmann Talleyrand-Périgord hat einmal gesagt: »Niemand vermag zu sagen, wie viele politische Dummheiten durch Mangel an Geld schon verhindert worden sind.« So spricht der Diplomat. Damit der Bürger nicht auf den Gedanken kommt, daß die Politik bereits weit mehr Dummheiten finanziert hat.

Günter Krone