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Titel519

Bemerkungen

Unsere Zustände

Manche falten ihre Hände nur, damit sie die nicht gebrauchen müssen.

 

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Die deutsche Literaturszene gleicht immer mehr einem Gemüsemarkt, in den sogenannte Schriftsteller gehen und sich umsehen, was im Moment gefragt ist. Sind es Tomaten, schreiben sie über Tomaten, sind es Gurken, über Gurken.

 

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Am Tröstlichsten kommt man durch das Leben, wenn man davon ausgeht, dass es trotzdem überall gute Menschen gibt.

 

Wolfgang Eckert

 

 

Der Mensch Bertolt Brecht

Auf der Berlinale, am 9. Februar, hatte Heinrich Breloers Doku-Fiction BRECHT seine Weltpremiere. Der Titel, in Großbuchstaben, ist genau was B.B. sich aufs Grab geschrieben im Testament gewünscht hatte – nicht ein Buchstabe mehr. (Auf seinem Grabstein steht »Bertolt Brecht« – also nicht genau wie gewünscht, aber doch keine rühmende Phrase.) Und so ist der drei Stunden lange Film – in zwei Teilen – ein wenig kultisch: Die Filmförderung galt als »nationales« (Brecht wird sich im Grab umgedreht haben!) Anliegen«, der Bundespräsident erschien mit Ehefrau Elke Büdenbender.

 

Im ersten Teil muss der junge Brecht (Tom Schilling), Kriegsdienstverweigerer im Ersten Weltkrieg, mit etlichen Verfeindungen aus Eifersucht fertig werden, im »reifen« Teil (Burghart Klaußner als Brecht) sorgt Helene Weigel (Adele Neuhauser) als »Weggefährtin trotz alledem« immer wieder fürs ruhige Leben mit dem nötigen Augenzwinkern und gelegentlich mal Adresswechsel – falls nötig.

 

Frauenheld Brecht: ja. Politischer Held: auch das. Vor der Nazi-Herrschaft in die USA gegangen, knallt ihm der McCarthy-Ausschuss mit dem (wie eine Brecht-Satire klingenden) Titel »Gegen unamerikanische Umtriebe« die Türen des Landes zu, obwohl ihm keine Anti-US-Aktionen außer dem Stückeschreiben selbst nachzuweisen sind. Er geht für ein paar Jahre in europäische Länder außerhalb der Reichweite des Hitler-Terrors (im Film ausgespart) – und schließlich in die Deutsche Demokratische Republik.

 

Dort bemüht er sich um das Berliner Theater am Schiffbauerdamm: Ewig Mieter sein? Brecht will Boss sein, und er wird es auch – die Dreigroschenoper ist der – auch kommerziell erfolgreiche – Einstieg in sein Theater. Und Brecht muss den 17. Juni 1953 erleben. Den Aufstand kommentiert er mit dem legendären demokratie-technischen Spruch, die Regierung möge doch besser das Volk auflösen und sich ein anderes wählen. Im Film schließt er das Papier mit diesem weisen Wort lautlos in eine Schreibtischschublade ein: sehr eindrucksvolle Szene. Nicht lange danach lässt er sich mit einem Stalin-kultischen Orden auszeichnen. Und wenig später klärt er sich über Stalins Staatsverbrechen auf. Achselzuckend, aber nicht etwa gleichgültig. Dann stirbt er, mit nur 59 Jahren. Was, wenn er länger gelebt hätte?

 

B.B. trägt das starke Individuum, den Boss, auch als Chef des Berliner Ensemble im Schiffbauerdamm-Theater ins Leben und auf die Bühne, wenn er die SchauspielerInnen kommandiert: immer gegen das »Illustrieren«, immer für die Stärkung der selbständigen Lernfähigkeit des Publikums. Auch dieses dritte Lebensspektakel – Machismus, Sozialismus, episches Theater – bringt der Film als Schicksal des mächtig und zugleich dienend Engagierten. Für die großen Ziele und für die Menschen, um derentwillen sie erreicht werden sollen.

 

Hätte Brecht 1989 auf dem Berliner Alexanderplatz für eine neue, eine demokratische DDR mit-gegen-demonstriert? Wäre er bei den friedlich-revolutionären Gruppen, denen die SED schließlich das Haus der Demokratie überließ, aufgetaucht? Der Film lässt diese Fragen offen. Öffentlichkeit fragt hier nicht stark weiter, die Geschichte der DDR-Opposition wird nicht mit dem verdienten Gewicht befragt. – Ach ja: Einen Preis hat BRECHT auf der Berlinale nicht erbeutet.                           

Richard Herding

 

 

Am 22. März ist der Zweiteiler auf arte und am 27. März in der ARD zu sehen, jeweils ab 20.15 Uhr. Breloers »Brecht. Roman seines Lebens« ist 2019 bei Kiepenheuer & Witsch erschienen (544 Seiten, 26 €).

 

 

 

Brecht pathologisch

Übertreibungen ist man bei der Werbung, auch der für Bücher, gewohnt, aber es ist nun wirklich gegen jegliche literaturwissenschaftliche Regel und Erfahrung, eine Biographie eines Klassikers als »die endgültige Darstellung« von dessen Leben und Werk anzukündigen. So jetzt geschehen bei Stephen Parkers Brecht-Biographie. Umso kritischer reagiert die Rezensentin und prüft den »unvoreingenommenen neutralen Blick« des neuen Buches. Gibt es das überhaupt? Und zumal bei Brecht?

 

Man muss dem britischen Autor bescheinigen, eine Unmenge von Fakten gesammelt und aufbereitet zu haben. Parker sympathisiert mit seinem Autor und erzählt spannend. Ganz ausführlich geht er auf Kindheit und Jugend und die verschiedenen Jugendlieben ein, und er ist wohl der erste, der in einer Biographie genau und medizinisch versiert die Krankheiten Brechts beschreibt. Aber das hat schon mit der eigenwilligen Interpretation Parkers zu tun, der die »biophysische Dimension« nicht nur für wichtig, sondern für ausschlaggebend für Brechts Werk hält und behauptet, dass Brechts episches Theater auf dessen »eigenwilliger kreativer Sensibilität« beruhe. Nun wird jeder, der Gedichte von Brecht liebt, die Sensibilität in ihnen bewundern, aber weitere Dimensionen – die politische, philosophische, sprachliche, die Reaktion auf Zeitgeschehen und andere – ebenso wertschätzen. Parker lässt das alles auch nicht außer Acht, rückt es aber ein bisschen in die zweite Reihe, und so »menschelt« es in dieser Biographie, die nicht die letzte sein wird, etwas mehr, als Brecht und seinen Fans lieb sein dürfte.

 

Abgesehen davon, dass Parker – dem Mainstream und der Wahrheit gemäß – Brechts Differenzen mit den Parteikommunisten und späteren SED-Funktionären sehr ausführlich, aber auch einseitig darstellt, ziehe ich im Vergleich zur über dreißigjährigen Biographie von Werner Mittenzwei noch immer letztere vor, denn Mittenzwei arbeitete die historischen Zusammenhänge klarer heraus

 

Christel Berger

 

 

Stephen Parker: »Bertolt Brecht. Eine Biografie«, übersetzt von Ulrich Fries und Irmgard Müller, Suhrkamp Verlag, 1030 Seiten, 58 €

 

 

Walter Kaufmanns Lektüre

Der Rezensent ist gespalten. Zum einen beeindruckt ihn, wie Isabel Allende in ihrem Roman vom »unvergänglichen Sommer« Einblicke in ein Chile unter Pinochet gibt, sie die verzweifelte Suche einer Mutter nach ihrem verschollenen Sohn erlebbar macht; sie die Gangsterbanden in Guatemala schildert, deren grausame Mordlust, ihr Wüten in der Bevölkerung, ihre Vergewaltigungen und blutigen Rituale und ihre höllischen Racheakte gegen Abtrünnige aus den eigenen Reihen; auch wie die Allende Fehden darstellt und Kleinkriege, die in der Bevölkerung Massenfluchten auslösen, an denen sich ruchlose Schlepper bereichern, und was es mit sich bringt, Grenzen illegal durchbrechen zu müssen, aus mexikanischer Wüste letztlich in die USA zu gelangen, wo sich ungeahnte, oft grausame Schicksale auftun! Parallelen zu den Schicksalen Geflüchteter in unseren Breitengraden finden sich hier. Zum anderen jedoch verwirrt es, dass die Allende gegen jegliche Chronologie erzählt. Nicht dass der Rezensent auf Chronologie bestünde. Sie zu durchbrechen, kann oftmals ein Spannungselement sein – und doch: Bei all ihrer südamerikanischen Erzählkunst verwirrt die Allende allzu häufig. Sie zwingt ihre Leser hin und her zu denken – am ärgsten aber stieß dem Rezensenten die »Räuberpistole« von der Leiche im Kofferraum einer Luxuslimousine auf, die tagelang durch eine Schneelandschaft zu einem abgelegenen See gefahren wird, weil sie dort versenkt werden soll. Dass die Leiche dann anderswo und anderswie entsorgt wird, kompliziert die Sache derart, dass der Rezensent die dramaturgische Notwendigkeit der Mordaffäre bezweifelt. Wäre der Roman nicht ohne diesen Handlungsfaden schlüssiger, ja geradezu überzeugender gewesen? Die Leiche im Kofferraum verfälscht die Intentionen des Romans über lange Strecken, lenkt ab vom Soziologischen, vom Politischen; wobei der schließlich aufgeklärte Mord den Ausklang des Romans wie ein Klumpen Blei belastet. Was zur Folge hat, dass der Rezensent zwischen einem Ja zu diesem Buch und einem nicht weniger emphatischen Nein
schwankt.                                          

W. K.

 

 

Isabel Allende: »Ein unvergänglicher Sommer«, übersetzt von Svenja Becker, Suhrkamp, 348 Seiten, 24 €

 

 

 

 

Blau ist nicht nur der Enzian

Man will es einfach nicht glauben …, aber neulich fragte mich ein Bekannter: »Was ist deine Lieblingsfarbe?« Wie aus der Pistole geschossen antwortete ich: »Blau, natürlich blau!« »Aber warum willst du das wissen?«, fragte ich nun meinerseits. »Über die Vorlieben für bestimmte Farben kann man gewisse Rückschlüsse auf Charakter und Wesen einer Person ziehen«, wurde ich aufgeklärt. »Und was kann man über so einen Blau-Typen aussagen wie mich?« ließ ich nicht locker. »Der Blau-Liebhaber will Karriere machen, fährt japanische Autos und hat als Haustier eine Katze.« »Quatsch«, erwiderte ich verärgert, »da liegst du mit deinen Vermutungen bei mir aber völlig daneben.«

 

Solche Farbpsychologie und Symbolik finde ich Unsinn. Auf die Frage nach meinem Lieblingsessen musste ich dagegen länger nachdenken. Kohlroulade? Königsberger Klopse? Brokkoliauflauf? Schwedische Apfeltorte? Ein klassisches Lieblingsgericht habe ich nicht. Sicher gibt es ein paar Speisen, bei denen ich mich freue, wenn sie auf den Tisch kommen. Im Grunde genommen bin ich ein sogenannter Allesesser – aber bitte mit Geschmack.

 

Obwohl die Farbe Blau Seriosität und Harmonie symbolisieren soll und die Lieblingsfarbe von knapp 40 Prozent der Deutschen ist, nerven mich solche Fragen nach der Lieblingsfarbe, dem Lieblingsessen, dem Lieblingsfilm, der Lieblingsmusik oder nach meinem Lieblingsbuch. Ich lese viel, und mein Lieblingsbuch ist immer jenes, das ich gerade lese. Also lasst mich demnächst mit solchem Schnickschnack zufrieden, sonst sehe ich nicht blau, sondern rot.    

Manfred Orlick

 

 

Zuschrift an die Lokalpresse

Unter der Überschrift »Kosmos wird kommunalisiert« begrüßt das nd vom 11. Februar den Rückkauf von 1821 Wohnungen im Berliner Kosmosviertel. Die Berliner Zeitung vom 12. Februar greift das Thema unter der Überschrift »Landeseigene Wohnungsgesellschaft ... übernimmt einen großen Teil des Kosmosviertels ...« ebenfalls auf und erinnert daran, dass durch den Senat bereits 514 Wohnungen im Sozialpalast Schöneberg zurückgekauft worden sind. Außerdem wurde bereits ein »Hilfspaket für Hunderte Mieter in der Karl-Marx-Allee geschnürt«. Das ist ein guter Trend. Dessen hohe Kosten hätten jedoch vermieden werden können, wenn der Senat und die städtischen Wohnungsbaugesellschaften früher zugegriffen oder gar nicht verkauft hätten. Damit wäre der Umweg über private Betreiber ausgespart geblieben. Unter dem Aspekt einer langfristigen Planung des Wohnraumbedarfs schlage ich den Kommunen vor, außer dem Berliner Kosmosviertel auch Gebiete in weiteren sphärischen Dimensionen zu erwerben und für den Wohnungsbau festzumachen. Seitdem China neuerdings dabei ist, auf der Rückseite des Mondes Bodenproben zu entnehmen und Vermessungen durchzuführen, muss man davon ausgehen, dass der Wettlauf der Mächte um den Wohnungsbau in den planetarischen Gefilden unmittelbar bevorsteht. Darauf müssen sich der Senat und die Länder rechtzeitig einstellen. – Patrick Planer (34), Campaigner, 74545 Hinterziegelhalden 

 

Wolfgang Helfritsch