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Leben in Lagern  (Sigmar Walbrecht)

Das Land Niedersachsen betreibt drei Flüchtlingslager mit jeweils rund 550 Plätzen: die Zentrale Aufnahme- und Ausländerbehörde (ZAAB) in Braunschweig und die ZAAB in Oldenburg mit einer Außenstelle in Bramsche bei Osnabrück. Die Landesregierung will diese drei Lager auslasten und immer weniger Flüchtlinge auf die Kommunen verteilen. In einem Brief an den Flüchtlingsrat Niedersachsen erklärte das Innenministerium kürzlich, die Landesregierung habe eine besondere Verantwortung, »durch eigene Anstrengungen die Kommunen so weit wie möglich von der Pflicht zur Unterbringung von Asylbewerbern zu entlasten«. Als besondere Aufgabe wird in dem Brief die »Durchsetzung der Pflicht abgelehnter Asylbewerber, das Land zu verlassen«, genannt. In den Lagern könnten Migranten »durch die Mitarbeiter der Einrichtungen sehr viel wirkungsvoller als bei einer dezentralen Unterbringung zum freiwilligen Verlassen des Landes veranlaßt werden«. Hingegen führe »das Leben in einer Gemeinde erfahrungsgemäß zu einer faktischen Verfestigung des Aufenthalts«.

Das Leben in den Lagern ist für die BewohnerInnen äußerst belastend und zermürbend. Wiederholt haben sie öffentlich dagegen protestiert – mit dem Erfolg, daß zum Beispiel der Oldenburger Stadtrat einstimmig die Landesregierung aufforderte, die Kritik der Flüchtlinge ernst zu nehmen, Lösungsvorschläge zu entwickeln und eine dezentrale Unterbringung zu prüfen. Die Landesregierung ließ sich jedoch nicht zu einer Änderung ihres Kurses bewegen.

Deswegen veranstaltete das Netzwerk Flüchtlingshilfe Niedersachsen vor einigen Wochen in Oldenburg eine Anhörung, auf der neben mehreren Experten vor allem die Flüchtlinge selber zu Wort kommen sollten. Doch aus Angst vor behördlichen Repressionen waren viele Flüchtlinge nicht bereit, auf der Veranstaltung zu sprechen. Die Befürchtungen waren offenbar berechtigt: Für den Tag der Veranstaltung verhängte die Lagerleitung der ZAAB Oldenburg ein absolutes Besuchsverbot. BewohnerInnen des Lagers hatten nämlich eingeladen, sie im Anschluß an die Anhörung in ihrer Unterkunft zu besuchen.

Trotzdem waren einige BewohnerInnen der drei Lager bereit, über ihre Situation zu sprechen; andere ließen ihre schriftlichen Berichte verlesen. So hatte eine große Gruppe im Lager Oldenburg gemeinsam einen detaillierten Bericht verfaßt. Die Flüchtlinge beklagen darin die »Abschaffung des Privatlebens«: Bis zu sieben Personen, die teilweise verschiedene Sprachen sprechen, sind in einem Zimmer untergebracht. MitarbeiterInnen der Behörde oder des Sicherheitsdienstes können die Zimmer jederzeit betreten. Der Bericht beschreibt das einförmige Essen, schildert die alltäglichen Respektlosigkeiten, die die Flüchtlinge zu ­ertragen haben, und erwähnt als weiteren Mißstand die unzureichende medizinische Versorgung – alle Krankheiten würden mit Paracetamol behandelt. Die Flüchtlinge sprechen von der Isolation, unter der sie im Lager leiden, und von der zehrenden Unsicherheit über ihre Zukunft. Die Behörden seien anscheinend »nicht dazu da, den Flüchtlingen zu helfen, sondern sie zu zerstören und abzuschieben«, heißt es bitter in dem Bericht.

Eine Bewohnerin des Lagers Bramsche trug vor, wie das Leben im Lager sie gesundheitlich belastet: »Wir wohnen zusammen in einem Zimmer. Mir geht es psychisch nicht gut. Die Situation macht mich kaputt. Ich habe immer nur Probleme und Streß.« Über ihre materielle Situation sagte sie: »Wir haben nur Gutscheine, jeden Monat einen Kleidungsgutschein für 15 Euro. Was kann man davon kaufen? Die Kleidung ist alt. Die Socken haben Löcher. Mit dem wenigen Taschengeld müssen die Lebensmittel bezahlt werden. In die Kantine gehen wir nicht. Das Essen ist nicht gut für die Gesundheit und die Kinder.«

Eine Frau, die in der ZAAB Braunschweig auf die Entscheidung über ihren Asylantrag wartet, machte in der Anhörung die Perspektivlosigkeit deutlich: »Jeder Tag ist wie der vorherige (...). Dieses Vegetieren macht die Leute krank, nicht physisch, sondern seelisch. Dieses Warten ohne Ende, man verliert die Richtung (...). Man hat kein eigenes Leben, ich weiß nicht, was mir die Zukunft bringt, ich weiß nicht, ob ich eigentlich eine Zukunft habe. Ich habe fast alles verloren und würde gern noch einmal anfangen, aber dort verliere ich manchmal die Hoffnung.«

Die Lager in Niedersachsen fügen sich mit ihrer strukturellen Entrechtung der Flüchtlinge in ein System ein, das die ganze Europäische Union und deren angrenzende Länder umfaßt und sogar die Krisenregionen einschließt, aus denen die Menschen fliehen. Ziel ist, die Migrations- und Fluchtbewegungen möglichst vollständig unter Kontrolle zu bringen. Wer es bis an die Grenzen der EU schafft, soll spätestens hier abgefangen werden. Die umliegenden Staaten werden zu »sicheren Drittstaaten« erklärt, auch wenn sie die Genfer Flüchtlingskonvention nicht unterzeichnet haben. So haben die Flüchtlinge, die über Land oder Wasser kommen, kaum noch Chancen auf ein Asylverfahren. Und die Methoden der Flüchtlingsabwehr werden noch verschärft. Seit 2004 überwacht die Grenzschutzagentur Frontex die Fluchtwege und unterstützt finanziell und technisch die Grenzschutzbehörden der einzelnen EU-Länder (s. Ossietzky 5/08). Erst am 13. Februar hat EU-Justizkommissar Frattini ein neues Maßnahmenpaket zur Verstärkung der EU-Außengrenzen und zur strengeren Überprüfung von Einreisenden, ohne Rücksicht auf Datenschutz, vorgestellt.

Die wenigen Flüchtlinge, die es trotzdem noch nach Deutschland schaffen, erwartet dann ein Leben in solchen Lagern wie Braunschweig, Oldenburg und Bramsche.



Sigmar Walbrecht arbeitet beim Flüchtlingsrat Niedersachsen