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Titel0612

Vom Umgang mit Stasiakten  (Heinrich Fink)

In den Tagen, bevor mich der Berliner Wissenschaftssenator Manfred Erhardt (CDU) fristlos aus dem Lehrkörper der Humboldt-Universität entließ, waren in der Presse Details aus der »Akte Fink« der Stasi-Unterlagen-Behörde erschienen, verbunden mit dem Hinweis, daß ich mit dieser Belastung unmöglich noch einmal für das Amt des Rektors kandidieren könne. Die Vollversammlung der Universität beschloß daraufhin, am 27. November 1991 folgenden Brief an den Leiter der Behörde, Joachim Gauck: »... Die Vorgänge um Herrn Professor Dr. Heinrich Fink und die durch Ihren Bescheid ausgelösten Verfahren veranlassen uns, Sie aufzufordern, daß mit Archivgut und Aktenbeständen Ihrer Behörde sorgfältiger und entsprechend den diesbezüglichen gesetzlichen Bestimmungen umgegangen wird. Es ist ein unmöglicher Zustand, daß dieses Archivgut unkontrolliert in die Öffentlichkeit gelangen konnte. Dafür tragen Sie die Verantwortung. Die Vollversammlung der Humboldt-Universität zu Berlin erwartet umgehend eine korrekte Aufklärung dieses unverantwortlichen Vorganges. Die Vollversammlung der Humboldt-Universität am 27.11.1991, i. A. Prof. Dr. V. Klemm, Prorektor« Das Präsidium des Konzils berief für den Nachmittag des 29. Novembers 1991 eine außerordentliche Konzilssitzung ein. Spontan erklärten sich 500 Studenten bereit, in einer Demonstration zur Gauck-Behörde dieses Schreiben und eine persönliche Einladung zum Konzil für Gauck zu überbringen. Diese außerordentliche Konzilssitzung, die öffentlich sein sollte, hatte als einziges Thema die fristlose Entlassung des Rektors durch den Wissenschaftssenator, ohne daß er selber »Akteneinsicht« genommen hatte und ohne daß man dem »Amtsenthobenen« Akteneinsicht gewährt hätte.

Weil Gauck nicht in seiner Behörde war, konnte nur sein Stellvertreter, Hansjörg Geiger, die Demonstranten empfangen. Er nahm Brief und Einladung entgegen.

Senator Erhardt folgte der Einladung nicht; Gauck und sein Vertreter Geiger kamen. Und Gauck löste lautstarken Unmut im überfüllten Audimax aus, als er seinen Beitrag mit den Worten begann: »Ich erwarte gelassen und voller Freude die Proteste einer PDS-gesteuerten Hochschulöffentlichkeit.« Alsdann bedauerte Gauck die Abwesenheit des Senators, denn er habe ihm am Vortag ein neues präzises Schreiben zum »Fall Fink« nicht nur mit neuen Fakten, sondern nunmehr mit einer ausführlichen Begründung zur Aktenlage zugänglich gemacht (wohlgemerkt: nach der bereits ausgesprochenen fristlosen Entlassung!). Aber der Senator habe ihn legitimiert über den Inhalt dieses zweiten Schreibens öffentlich zu informieren. Selbstverständlich müsse die Privatsphäre von Heinrich Fink geschützt bleiben. Deshalb wolle er erst ihn fragen, ob er mit der öffentlichen Verlesung einverstanden sei. Dabei schwang die Hoffnung mit, daß ich der Verlesung dieser mir unbekannten Akten nicht zustimmen würde. Ich begrüßte prompt die Verlesung, denn Studenten und Mitarbeiter der Uni hätten Anspruch darauf, zu erfahren, was ihrem Rektor vorgeworfen würde. Ich nutzte die Gelegenheit, noch einmal eidesstattlich zu erklären, daß ich zu keiner Zeit als informeller Mitarbeiter für die Stasi tätig gewesen sei und weder mündlich noch schriftlich jemals geheimdienstliche Kontakte akzeptiert hätte.

Daraufhin verlas Geiger das 16 Seiten umfassende Elaborat, das, wie er betonte, aufgrund von zwölf Akten oder Schriftstücken aus dem Aktenbestand, verfaßt worden sei. Eine Zusammenarbeit Finks mit der Stasi könne er »nicht ausschließen«, »konkret« gebe es weder Hinweise noch Beweise. Gauck dagegen betonte nach der Verlesung durch Geiger, nicht er als Sonderbeauftragter der Bundesregierung, sondern allein die »personalführende« Stelle könne über Entlassungen entscheiden. Der Senator aber hatte keine Aktenkenntnis, als er mich entließ. Auf eine Anfrage aus dem Auditorium, ob Fink möglicherweise gar nicht gewußt habe, daß über ihn Akten angelegt worden sind, antwortete Gauck: »Ich kann mir durchaus vorstellen, daß Fink, von dessen politischer Haltung ich mich immer abgegrenzt habe, daß gerade ein Mann wie er es nicht gewußt hat.«

Der Schriftsteller Stefan Heym stellte Gaucks Stellvertreter, dem Juristen Geiger, folgende Frage: »Glauben Sie, daß das, was Sie uns hier dankenswerter Weise vorgelesen haben, vor einem ordentlichen Gericht, einem westdeutschen, einem englischen, einem amerikanischen, als Beweis gegen einen Menschen bestehen kann?« Geiger antwortete ausweichend: Prinzipiell könne niemand sagen, wie ein Gericht entscheide. Sein Amt könne nur mit den Akten arbeiten, Einbeziehung der Betroffenen sei ihnen verwehrt, es gebe allerdings auch keine Berufungsinstanz gegen die Feststellungen seiner Behörde. Und ob der Dienstherr eine Anhörung mache, sei persönliches Ermessen ...

Nach sechsstündiger Diskussion befand das Konzil, daß meine Entlassung rechtsstaatlich nicht zu halten sei. Man ermutigte mich, gegen die Entlassung zu klagen. Aber da die Rektorwahl und die der Gremien schon Ende Januar stattfinden mußte, hatte der Senator sein Ziel, meine erneute Kandidatur zu verhindern, tatsächlich erreicht.

Am 13.12.1991 schrieb der Staatsrechtler Wilhelm Nordemann daraufhin im Rheinischen Merkur: »Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist ein von unserem Grundgesetz verbrieftes Grundrecht, das jedermann zusteht (Art. 103 Abs. 1 Grundgesetz), auch wirklichen oder vermeintlichen Stasimitarbeitern. Der Fall Heinrich Fink erhält zusätzliche rechtliche Brisanz dadurch, daß es sich nicht um irgendeinen Universitätsangehörigen, sondern um den vom Konzil gewählten Rektor handelt. Da nur ein Hochschullehrer Rektor sein kann, habe mit der fristlosen Entlassung Finks aus dem Dienstverhältnis als Theologieprofessor auch sein Rektorat geendet, meint der Berliner Wissenschaftssenator. Aber steht die gesetzlich verbriefte Selbstverwaltung der Universität nicht nur auf dem Papier, wenn der zuständige Senator durch dienstrechtliche Maßnahmen gegen den Gewählten dessen Wahl oder erneute Kandidatur zunichte machen kann? Der Akademische Senat der Humboldt-Universität hat die Rektoratswahlen, die für den 11. Dezember geplant waren, einstweilen verschoben. Aber noch vor dem Ende des Wintersemesters wird gewählt werden müssen – aller Voraussicht nach ohne den Kandidaten, den die überwältigende Mehrheit will.«

Und nochmals Stefan Heym vor den Studenten: »... wir waren froh, daß die Volkskammer einen unbescholtenen Mann Gottes und der Bürgerbewegung, eben den Herrn Gauck, zum Hüter der Akten bestimmte. Wer konnte ahnen, daß Herr Gauck selber seine Hand dem fahrlässigen Umgang mit diesen Akten leihen würde. Denn was dem Rektor Fink geschah, ist auch anderen schon geschehen. Ja, es sieht so aus, als stünde jedesmal, wenn die in Bonn oder Westberlin bei der Abwicklung einer relativ reputierlichen Institution der früheren DDR nicht recht vorankommen, eine entsprechende Akte aus den Gauck‘schen Vorräten zur Verfügung, nicht aber dann, wenn es um die Entlarvung von Leuten aus dem Geheimen Apparat geht, die sich um Wohl und Profit der neuen Herren des Landes verdient gemacht haben. Professor Fink mag kein Heiliger sein. Aber auch Professor Fink, wie alle Bürger, verdient Gerechtigkeit. Denn die Studenten dieser Universität verdienen, daß solche Konflikte, die in der Art von Politik beruhen, die heute betrieben wird, nicht auf ihrem Rücken ausgetragen werden, sondern daß sie befähigt werden, sie, die am Anfang ihres Lebens stehen, daß sie mit gutem Gewissen und offenem Blick ihr Leben leben können und uns allen nützen. Ich danke.«

Am 2. Dezember nahm ich die Gelegenheit, in einer Sondernummer der Studentenzeitung Unaufgefordert noch ein Abschiedswort an die Studenten zu richten: »Diese hinter uns liegende Woche erregter Diskussionen um Gründe und Methode meiner fristlosen Kündigung als Hochschullehrer halte ich für einen gewichtigen Bestandteil der Erneuerung unserer Universität. Ich danke Ihnen sehr herzlich für Ihr Vertrauen, eine Entscheidung, die den Rektor betrifft, auch zur Sache der Studenten zu machen ... Sie haben die in unserem ersten demokratischen Statut festgeschriebene Mitbestimmung der Studenten noch einmal überzeugend praktiziert: ... Dem allen haben Sie mit ihrem Warnstreik Öffentlichkeit verschafft. Ich jedenfalls habe von diesem Warnstreik den Eindruck, daß er maximal genutzte Studienzeit im Wahlfach Demokratie war. Denn Studenten und Lehrer haben in freundschaftlicher Gleichberechtigung für unsere Universität in einer Non-Stop-Diskussion gestritten und entschieden. Schade finde ich nur, daß es noch Zeitgenossen gibt, die meinen, daß Studenten »unaufgefordert« keinen Warnstreik machen würden, sondern so etwas vom Rektor selber organisiert sei ... Ich danke Ihnen für die heitere Besonnenheit der Aktionen in der Öffentlichkeit. Sie haben nicht nur in unserer Stadt Menschen zum Nachdenken darüber gebracht, daß Demokratie an der Basis praktiziert werden muß ... Die 18 Monate meines Rektorats haben immer dieses Ziel als Thema aller Bemühungen gehabt. Nun haben Sie in einer nicht nur mich ermutigenden Weise bewiesen, daß Sie in der Lage sind, Protest mit dem demokratischen Instrumentarium Ihrer eigenen Universität in Praxis umzusetzen ... Wie auch immer das Bemühen um meine Rehabilitation ausgehen mag, diese gemeinsame Erfahrung im Streit um Demokratie hat uns aufs Neue verbündet.«