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Titel614

Goldberg-Positionen  (Katharina Schulze)

Konzertbesucher sind auf Hör-Erlebnisse eingestellt. Im Foyer der Berliner Philharmonie werden sie zur Zeit zum Hingucken eingeladen. Zu sehen ist eine kleine, aber feine und vor allem längst überfällige Ausstellung: »Szymon Goldberg – Geiger, Dirigent, Pädagoge«. Kaum einem Betrachter mag der Mann bekannt sein, den Furtwängler einmal »den besten Konzertmeister Europas überhaupt« genannt hat. Sein überdurchschnittliches Talent freilich hat ihm wenig gebracht in einer Zeit, wo Rassenwahn die Vernunft ausgeschaltet hatte. Szymon Goldberg war Jude.

Geboren wurde er 1909 im damals zum russischen Zarenreich gehörenden Teil Polens. Die Eltern und Freunde ermöglichten dem Achtjährigen einen Aufenthalt in Berlin, wo er zeitweise bei der namhaften Pianistin Wanda Landowska wohnte und von dem bedeutenden Violinisten Carl Flesch unterrichtet wurde. Dieser Lehrer und die eigene außergewöhnliche Begabung empfahlen den erst 16jährigen der Dresdner Philharmonie als Ersten Konzertmeister. 1929 holte ihn Wilhelm Furtwängler zum Berliner Philharmonischen Orchester, wo er nicht nur als Erster Konzertmeister, sondern auch als Solist und Kammermusiker brillierte. Ungewöhnlich zudem die Weitsicht des jungen Musikers: Er ahnte bald, daß er in Hitlerdeutschland als Jude und Pole nichts Gutes zu erwarten hatte, verweigerte sich, wenn »der Führer« ein Konzert des »Reichsorchesters« besuchte, und verließ 1934 – »nach einem Vorfall bei der Gestapo« – mit seiner jüdischen Frau fluchtartig das Land. In dem vorerst kaum einer begriff, um wieviel ärmer der Antisemitismus das Volk machte.

Als gefragter Solist und Hochschullehrer überstand Goldberg die Tiefen des Exils und eine dreijährige japanische Internierung auf Java. Nach seiner Befreiung lebte er in den USA, London und Amsterdam. Von 1955 bis 1977 leitete er das Niederländische Kammerorchester. Nach Deutschland ist Goldberg nicht wieder zurückgekehrt. Zu tief wird ihn die Verweigerung der Wiedereinstellung im Orchester getroffen haben. Der damalige Intendant Wolfgang Stresemann hatte geschrieben, daß die Stellen der Ersten Konzertmeister im Berliner Philharmonischen Orchester besetzt seien und eine zusätzliche Stelle für »ein neues Orchestermitglied« nur mit Zustimmung der Orchestermitglieder und des künstlerischen Oberleiters Herbert von Karajan geschaffen werden könnte. Weiter teilte Stresemann mit, daß – sollte die Wiedereinstellung durch einen Wiedergutmachungsbescheid angeordnet werden – Goldberg »die Gepflogenheiten des Orchesters anerkennen« und nach einer Probezeit ein Urteil akzeptieren müsse, ob er den »künstlerischen und physischen Anforderungen eines Orchesters von Weltrang gerecht zu werden« vermöge. Memoiren oder persönliche Notizen von Goldberg sind nicht bekannt. Unbekannt, was er erinnert und welche Parallelen er gezogen hat.

Die letzten Lebensjahre – seine erste Frau, Maria Manasse, war 1985 gestorben – verbrachte Goldberg an der Seite der japanischen Pianistin Miyoko Yamane in Japan, hoch geachtet als Dirigent des New Japan Philharmonic Orchestra, als Lehrer und als Leiter des Szymon-Goldberg-Festivals in Toyama. Seine hohe Kunst ist mit ungezählten Tonaufzeichnungen von 1930 bis zum Todesjahr 1993 dokumentiert.

Eine ganze Reihe Schallplatten und CDs liegen in den Vitrinen der Ausstellung. Neueste Technik ermöglicht das Hineinhören. Eine Rarität: der Film von 1931, in dem Bruno Walter die Berliner Philharmoniker dirigiert und Szymon Goldberg als Konzertmeister zu sehen ist. Zusammengetragen hat die Schätze – dazu Programmzettel, Konzertkritiken, Bücher und Fotos von Goldbergs Familie, seiner Zeit in Dresden und Berlin sowie berührende Porträtaufnahmen – der Kammervirtuos Volker Karp, lange Jahre Mitglied der Dresdner Philharmonie. Auf einer Konzertreise hatte er in Tokyo Frau Yamane-Goldbergs Bekanntschaft gemacht und seitdem gesammelt, was Auskunft über Szymon Goldberg gibt, und das Andenken des einzigartigen Musikers bewahrt. Anläßlich des 100. Geburtstags gestaltete Karp 2009 eine Ausstellung im Weber-Museum Hosterwitz. Ein kleines Plakat der Exposition war das einzige, was damals in der Berliner Philharmonie auf der Treppe zur Kantine an den berühmten und vertriebenen einstigen Kollegen erinnerte. Auch die nächste Gelegenheit, der 20. Todestag Goldbergs, blieb in Berlin ungenutzt. Andere Gedenktage und Jubiläen waren wichtiger: 50 Jahre Eröffnung der Philharmonie, zehn Jahre Education-Programm (gesponsert von der Deutschen Bank), 25 Jahre Blechbläserensemble.

Die aktuelle Ausstellung versöhnt. Kurator Helge Grünewald hat die Exponate aus der Sammlung Volker Karps durch prägnante Wortmeldungen von Schülern und Kollegen sowie um sachliche Darstellungen der Lebensphasen Szymon Goldbergs und einige leicht selbstkritische Töne bereichert. Annette Heilfurth und Saskia van de Calseijde haben alles erstklassig präsentiert. Es sind ihr viele Besucher zu wünschen.