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Titel814

Fabians Hundejahre  (Klaus Nilius)

In den siebenbändigen Gesammelten Schriften Erich Kästners – 1959 zum ersten Mal als Gemeinschaftsausgabe des Atrium Verlags, Zürich, und zweier deutscher Verlage ediert – heißt es auf dem Deckblatt: »Das Buch erschien 1931. Der vom Autor vorgeschlagene und zunächst zäh verteidigte Titel ›Der Gang vor die Hunde‹ wurde vom Verlag abgelehnt.«

Auf Seite 242 der hier vorzustellenden Ausgabe steht im »Vorwort des Verfassers zur Neuauflage dieses Buches«, das damals, im Mai 1950, noch »Fabian« hieß: »Der ursprüngliche Titel, den, samt einigen krassen Kapiteln, der Erstverleger nicht zuließ, lautete ›Der Gang vor die Hunde‹. Damit sollte, schon auf dem Buchumschlag, deutlich werden, daß der Roman ein bestimmtes Ziel verfolgte: Er sollte warnen.«

Der deutsche Schriftsteller und Literaturvermittler Hermann Kesten, in den 1970er Jahren PEN-Präsident, meinte dazu in seinem Kästner-Porträt (in: »Meine Freunde, die Poeten«, 1953/59): »Nun, das ist ein ausgezeichneter Titel, und es ist schade, daß der junge erfolgreiche Autor Erich Kästner 1931 es zuließ, daß die Deutsche Verlagsanstalt in Stuttgart diesen besseren Titel und die frechen Kapitel ›nicht zuließ‹.«

Lebte Kesten noch, so könnte er jetzt Kästners Roman in jener Form in der Hand halten, »wie er vom Autor geplant und gemeint war« (»Editorische Notiz«, S. 245 der Neuausgabe). Quelle ist, so Herausgeber Sven Hanuscheck, Germanist und Kästner-Biograf, an der Ludwig-Maximilians-Universität München Neuere deutsche Literaturwissenschaft lehrend, die »Urfassung, die sich in Kästners Nachlaß erhalten hat und die heute im Deutschen Literaturarchiv in Marbach am Neckar liegt«: ein »verblüffend gut erhaltenes, handschriftlich korrigiertes Typoskript«, wie er im Nachwort schreibt.

Damit bietet sich dem Lesepublikum über 80 Jahre nach dem Erscheinen der Erstausgabe und fast 40 Jahre nach Kästners Tod unter dem neuen Titel die Möglichkeit, »die Urfassung von Kästners Roman erstmals als durchgehend lesbaren Text mit allen gestrichenen Passagen und der Rekonstruktion stilistischer Details« zur Hand zu nehmen. Auch die Neuausgabe ist im Atrium Verlag erschienen. Ein ursprünglicher Kästner zeigt sich damit, allerdings sittengeschichtlich verankert in der späten Weimarer Republik. Denn was die damaligen Moralapostel und Fallbeiler als zersetzende Literatur, als unmoralisch, zügellos, dekadent, obszön oder gar pornographisch zensiert und verworfen haben, würde es heute, in zeitlicher Distanz, in so mancher Daily-Soap nicht einmal in eine Storyline schaffen.

Sei’s drum. »Fabian« ist Erich Kästners wahrlich zeitloses Meisterwerk. In seinem »Nachwort für die Sittenrichter« – 1931 nicht im Buchanhang, sondern nur in der Weltbühne zu lesen –, schreibt Kästner über sich, den Autor, in dritter Person, hellseherisch schon damals: »Er sieht, daß die Zeitgenossen, störrisch wie ein Esel, rückwärts laufen, einem klaffenden Abgrund entgegen, in dem Platz für sämtliche Völker Europas ist.«

Mein ältester, inzwischen erwachsener Sohn heißt Fabian, ganz nach dem Wunsch meiner Frau. Sie bestand auch beharrlich darauf, daß er so früh wie möglich schwimmen lernte. Also machte er mit fünf Jahren sein Seepferdchen. Ein gutes Jahrzehnt später, im Deutschunterricht, konnte er nachlesen, warum:
»Lernt schwimmen!«, lautet eine der Überschriften zum 24. Kapitel von Kästners »Fabian«. Es ist das letzte Kapitel. Mit ihm endet nicht nur das Buch, sondern auch das Leben des passiven Helden, denn, wie Sie sicherlich wissen, Jakob Fa-bian will einen kleinen Jungen retten, der von einer Brücke in den Fluß gefallen ist. Er springt nach: »Der kleine Junge schwamm heulend ans Ufer. Fabian ertrank. Er konnte leider nicht schwimmen.«

Erich Kästner: »Der Gang vor die Hunde«, Atrium Verlag, 320 Seiten, 22,95 €