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SS-Verbrecher zu »Freiheitskämpfern«  (Ulla Jelpke)

Weniger das Aufkeimen neofaschistischer Schlägerbanden, sondern vielmehr die positive Bezugnahme auf frühere Nazi-Kollaborateure und die Relativierung der faschistischen Verbrechen gehören zu den geschichtspolitischen Markenzeichen früherer Sowjetrepubliken, die nach 1990 ihre Unabhängigkeit (zurück)erlangt haben.

Vor allem in den baltischen Republiken ist die Gleichsetzung von »Kommunismus« und »Nationalsozialismus« gleichsam offizielle Staatspolitik, wie sie in der sogenannten Prager Deklaration von 2008 niedergelegt ist. Sie fordert eine »gleiche« Auseinandersetzung, eine »gleiche« Anerkennung der Opfer, eine »gleiche« Verurteilung der Täter und so weiter. Zu den Unterzeichnern gehören vor allem osteuropäische Politiker, aber auch Bundespräsident Joachim Gauck.

In der Praxis gibt es nicht einmal eine Gleichsetzung. So ist das staatlich finanzierte »Museum der Opfer des Genozids« in der litauischen Hauptstadt Vilnius ausschließlich der Unterdrückung durch sowjetische Polizei und Geheimdienste gewidmet. Die Phase der deutschen Besetzung hingegen, während der rund 95 Prozent der vormals 200.000 Jüdinnen und Juden Litauens ermordet wurden, bleibt ausgespart (vgl. junge Welt vom 16.12.2010). Somit wird der Begriff »Genozid« nicht, wie es in diesem Kontext einzig angemessen wäre, auf den Holocaust angewandt, sondern auf die sowjetische Repression. Die Botschaft ist klar: Nicht die Nazis, sondern die Kommunisten sind die größten Übeltäter, weil die »unsere« Landsleute verfolgt haben. Die jüdische Bevölkerung gilt in dieser Logik als nicht-litauisch.

Der Jiddisch-Professor Dovid Katz, der seit Ende der 1990er Jahre in Vilnius lebt, sammelt und veröffentlicht auf seiner Homepage www.defendinghistory.com unzählige Beispiele antisemitischer und geschichtsrevisionistischer Statements in der litauischen Presse und Politik.

Besonders perfide war die 2005 eingeleitete politische und juristische Verfolgung früherer jüdisch-sowjetischer Partisaninnen und Partisanen als angebliche »Kriegsverbrecher« – in einem Land, in dem zugleich Angehörige der litauischen Milizen, die sich gegenüber den Nazis zu den Massenerschießungen bereitgefunden hatten, als »Patrioten« geehrt werden.

Am Unabhängigkeitstag im März marschieren jedes Jahr mehrere Tausend Nationalisten teilweise mit Hakenkreuzen durch die Vilniuser Innenstadt. Anmelder der Demonstration ist ein rechtsextremer Jugendverband (Parole: »Litauen den Litauern«).

In Lettland wie auch in Estland, wo es während des Zweiten Weltkrieges einheimische Waffen-SS-Verbände gegeben hatte, finden zu Jahrestagen bedeutender Schlachten Märsche zu Ehren der Veteranen statt, in der lettischen Hauptstadt Riga beteiligen sich daran mehrere Tausend Menschen. Dabei bekommen sie politische Rückendeckung durch die Regierung. Präsident Andris Berzins sagte 2012, man solle sich vor den SS-Söldnern verneigen, weil diese »für ihr Vaterland« gekämpft hätten. Im März 2013 gingen Abgeordnete der an der Regierung beteiligten rechtsextremen Partei »Alles für Lettland« handgreiflich gegen die wenigen antifaschistischen Gegendemonstranten vor. In Estland unterstützte der frühere Verteidigungsminister Mart Laar ebenfalls den SS-Aufmarsch.

Diese geschichtspolitische Entwicklung ist zugleich in erheblichem Maße ethnopolitisch aufgeladen. Es sind nationalistische Verfechter des »reinen« Lettlands/Estlands/Litauens, die sowjetische Denkmäler zum Gedenken der Roten Armee abreißen lassen, und es sind Angehörige der russischen Minderheit, die dagegen protestieren. In gewissem Maße verteidigen beide die Biographie ihrer Väter und Großväter. In einem solchen Klima geraten die sehr wenigen ethnischen Letten/Esten/Litauer, die gegen die Pflege faschistischer Traditionen protestieren, sofort in den Ruf, Agenten Moskaus zu sein.

In der Ukraine hat bei den Wahlen im Oktober 2012 die »Allukrainische Vereinigung Swoboda« über zehn Prozent der Stimmen erhalten. Erstmals seit der Unabhängigkeit 1990 gelangte damit eine rechtsextreme Partei in Fraktionsstärke ins nationale Parlament. Seither baut Swoboda, die ihre Basis bis dahin ausschließlich im westukrainischen Galizien hatte, ihre Rolle als landesweit bedeutende Kraft aus.

Swoboda ist die Nachfolgerin der »Sozial-Nationalen Partei der Ukraine« und anderer faschistischer Organisationen. Die Bundesregierung beschrieb sie in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion als »rechtspopulistische und nationalistische Partei, die zum Teil rechtsextreme Positionen vertritt.« Parteichef Oleg Tjagnibok hat in der Vergangenheit wiederholt antisemitische Positionen gegen die »Moskau-jüdische Mafia« losgelassen und zum »Kampf gegen Moskowiter, Deutsche, Juden und andere Schädlinge« aufgerufen.

In Vorbereitung auf die Parlamentswahlen hatte Swoboda, ist verschiedentlich zu lesen, Kreide gefressen und mehrere eindeutig rechtsextreme Positionen aus dem Parteiprogramm gestrichen.

Ideologische Leitfigur von Swoboda ist aber weiterhin Stepan Bandera, langjähriger Anführer der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN). Vor und während des Zweiten Weltkrieges bemühte sich Bandera, mit sehr unterschiedlichem Erfolg, immer wieder um ein Bündnis mit Nazi-Deutschland. Der militärische Arm der OUN, die Ukrainische Aufständische Armee (UPA), war eine Truppe, deren Antisemitismus und Antikommunismus kaum weniger mörderisch war als derjenige der SS-Einsatzgruppen: Sie machte regelrechte Jagden auf entflohene Juden in den galizischen Wäldern, und im nordwestlich gelegenen Wolhynien massakrierte sie mehrere zehntausend polnische Einwohner. Dennoch sind vor allem in Galizien in den letzten Jahren Dutzende von Bandera-Denkmälern errichtet worden. OUN/UPA gelten dort ebenso als »Freiheitskämpfer« wie SS-Veteranen im Baltikum. Im April 2013 führte die Swoboda-Gliederung in Lwiw (Lemberg) gar einen glorifizierenden Marsch zum Gedenken an die SS-Division Galizien durch, und in der Lwiwer Stadthalle wurden 20 SS-Veteranen Medaillen für ihren Kampf gegen die Sowjetunion verliehen.

Swoboda ist auf europäischer Ebene vielfach mit rechtsextremen Gesinnungsgenossen liiert, die Partei hat unter anderem Beobachterstatus in der »Europäischen Allianz nationaler Bewegungen«. Ende Mai 2013 besuchte eine Swoboda-Delegation die Fraktion der NPD im sächsischen Landtag. Swoboda-Parlamentarier Mychajlo Holowko überbrachte dabei der NPD zufolge freundliche Grüße von Parteichef Oleg Tjagnibok und hoffte auf einen Ausbau der Beziehungen zur NPD. Der von Swoboda gestellte Bürgermeister des galizischen Ternopil gewährte dem NPD-Blatt Deutsche Stimme ein Interview.

Dennoch scheuen jene Ukrainer/innen, die hierzulande gerne als »pro-westlich« bezeichnet werden, nicht die Zusammenarbeit mit den Faschisten von Swoboda. Schon in der Vergangenheit gelangten einzelne Swoboda-Politiker auf den Listen bürgerlicher Parteien ins Parlament. Im Wahlkampf 2012 gab es Absprachen über die Kandidatenaufstellungen in den Wahlkreisen zwischen Swoboda, Klitschkos UDAR und Timoschenkos Batkiwschtschina, und im Parlament bilden diese drei die »Vereinte Opposition«. Auch die Bilder von den Protesten auf dem Maidan bestätigen: Swoboda wird als ganz normaler Bündnispartner akzeptiert. Selbst ein (erfolglos verpuffter) Appell linksdemokratischer Kräfte des »Komitees gegen Diktatur«, sich »dauerhafter Partnerschaft und engerer Verbindungen« mit Swoboda zu enthalten, konzediert eine zumindest partielle Zusammenarbeit mit Swoboda-Aktivisten bei gemeinsamen Demonstrationen als »unvermeidlich«.

Der Etablierung von Swoboda als scheinbar honoriger Partei leisten auch die Bundesregierung und die Europäische Union Vorschub. Beide führen sie, wie die Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion mitteilte, regelmäßig »Gespräche mit Vertretern von Parlamentsfraktionen einschließlich der drei großen Oppositionsfraktionen«. Was würde man hierzulande davon halten, wenn die, sagen wir: russische Botschaft regelmäßig den NPD-Vorstand zum Tee einladen würde? Wie die Faschisten ihre Duldung danken, zeigen sie auf dem Maidan: Linke, die sich dort explizit antifaschistisch oder antirassistisch äußern, beziehen Prügel von Swoboda-Aktivisten.

Anfang Dezember hat ein nationalistischer Mob das letzte verbliebene Lenin-Denkmal in Kiews Stadtzentrum zerstört – unter der UPA-Parole »Ruhm der Ukraine – Ruhm ihren Helden«. Dennoch stößt, anders als im Baltikum, der Geschichtsrevisionismus in der Ukraine auf Widerspruch. Es käme derzeit niemandem, außer wohl den Faschisten aus der Westukraine, in den Sinn, den populären Denkmalskomplex des Großen Vaterländischen Krieges am Kiewer Dnjepr-Ufer zu schleifen. Schließlich haben die meisten Ukrainer in der Roten Armee gekämpft – und damit auch gegen die UPA.