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Titel115

Bin ich ein Antiamerikaner?  (Arno Klönne)

Eine geopolitische »Führungsmacht«, deren Regierung immer wieder Feldzüge unternimmt, um andere Staaten zu ruinieren; die geheimdienstlich einen weltweiten Big-Brother-Betrieb unterhält, sich massenmediale Beihilfe für ihre Operationen out of area kauft, zerstörerische »Revolutionen« anzettelt, per Drohne illegal Widersacher tötet, auch Folterungen nicht scheute – wenn ich dieser US-amerikanischen Politik widerspreche, ziehe ich mir hierzulande leicht den Vorwurf zu, ich sei »Antiamerikaner«, ein Feind der »westlichen Wertewelt«, vermutlich ideologisch infiziert von nazistischen Hinterlassenschaften.


Also habe ich daraufhin meinen Lebenslauf überprüft.


Erst mal die Jugendjahre in der Nachkriegszeit: US-Besatzungssoldaten hatten meine Sympathie – jedenfalls die Schwarzen; auf sie war Verlaß, wenn wir als Tramper um Mitnahme baten. Radio AFN brachte für uns Entdeckungen: Endlich Jazzmusik! Upton Sinclair wurde einer meiner Lieblingsautoren, bei ihm war nachzulesen, daß es so etwas wie Klassenkämpfe gibt. Ich erfuhr, daß der 1. Mai als internationaler Kampftag der Arbeiterbewegung seine Herkünfte in der Geschichte der USA hat. Die Historie der »Wobblies« lernte ich kennen, der radikalen US-amerikanischen »Industrial Workers of the World«. Meinen Abituraufsatz habe ich (damals konnte man das Thema noch frei wählen) über Ernest Hemingways Roman »Wem die Stunde schlägt« geschrieben, zum Ärger deutschtümelnder Lehrer, »muß es denn ein Amerikaner sein«, monierten sie.


Dann die Zeit der politischen Opposition gegen den westdeutschen Obrigkeitsstaat und seine Militärsucht: Aus der US-Gesellschaft gewannen wir Impulse, aus der Bürgerrechtsbewegung, aus dem dortigen Protest gegen den Vietnamkrieg. Joan Baez holten wir zum westdeutschen Ostermarsch. Angela Davis wurde ein Vorbild. Und was wären unsere Waldeck-Festivals gewesen ohne den Transfer aus der US-amerikanischen, widerständigen Folklore; die Lieder von Pete Seeger klingen mir bis heute in den Ohren.


Immer noch bin ich begierig auf die Lektüre US-amerikanischer Sozialwissenschaftler, Noam Chomsky beispielsweise oder David Harvey. Da ist viel zu lernen. Und jetzt kommen Berichte aus den USA, wie eine selbstorganisierte Kampagne der Gegner von Rassismus und Gewalt wieder an Kraft zunimmt, sich ausbreitet ...
Bin ich »Antiamerikaner«?


»Die« westliche Wertewelt, politisch präsentiert von den USA und über »Atlantikbrücken« ausgedehnt, Staatsraison auch der Bundesrepublik? Zu welchen »Werten« in der US-amerikanischen Gesellschaft wird mir da ein Bekenntnis abverlangt?


Nationen haben keine kollektive Identität. Keineswegs in der gesellschaftlichen Wirklichkeit, nur in der Propaganda von Machteliten.


»Antiamerikaner«? Bin ich nicht.