erstellt mit easyCMS
Titel118

Schöne neue Arbeitswelt  (Marcus Schwarzbach)

Während die FDP im Bundestagswahlkampf noch von »Digital first – Bedenken second« sprach, sind die Unternehmen schon weiter. Die Digitalisierung wird in erster Linie mit positiven Begriffen versehen. »Aufbruch zu mehr Freiheit« verspricht Thomas Sattelberber, Ex-Telekom-Vorstand und Vordenker der Personaler-Szene. Auch Demokratie, ja sogar Liebe ist bedeutsam: Zum Bericht über die IT-Agile GmbH in Hamburg titelt das Magazin Brand Eins »Die Geschichte eines demokratischen Unternehmens«: »Wer hier arbeitet, ist ein Teil der Firma. Wir werden nicht gesteuert, wir steuern selbst. Aber Demokratie im Unternehmen funktioniert wie eine Liebesbeziehung – du musst ständig daran arbeiten«, wird ein Beschäftigter des Unternehmens zitiert.

 

In vielen Betrieben zeigt sich ein Trend, der »agile Personalführung« genannt wird. Unternehmen versuchen, mit diesen Strategien die Digitalisierung in ihrem Sinne zu gestalten. Agilität klingt nach Flexibilität – und scheint aus Sicht der Beschäftigten auf den ersten Blick keine Veränderung zum heutigen Stand zu sein. Es geht aber um mehr: Ziel ist eine grundlegende Umgestaltung der Arbeitsabläufe.

 

Agile Steuerung erfolgt, indem sich Beschäftigte in eigener Verantwortung innerhalb der Vorgaben direkt dem Kunden gegenüber am Markt orientieren müssen. Ein Beispiel hierfür können Zielvereinbarungen sein. Bei diesen ist nicht »der Weg« das Entscheidende, vielmehr entscheidet der Arbeitnehmer eigenständig, wie das Ziel zu erreichen ist. Statt direkte Anweisungen zu befolgen, organisieren die Beschäftigten, häufig in Teams, ihre Arbeitsabläufe selbst. Somit bestehen Handlungsspielräume, welche Mittel eingesetzt werden, um ein Ziel zu erreichen. Die Steuerung der Arbeitsprozesse erfolgt indirekt, indem von der Unternehmensleitung zum Beispiel Kennziffern vorgegeben werden. In der Praxis zeigt sich jedoch, dass die Ziele oft bewusst zu hoch angesetzt werden.

 

Bei agilen Arbeitsformen »findet viel Basisdemokratie statt«, verkündet Professor Carsten Schermuly von der SRH Hochschule Berlin. Eine Studie der Haufe Akademie macht die Entwicklung deutlich. Die Mehrheit der Befragten (77 Prozent) gibt an, heute schon in einem Unternehmen zu arbeiten, das sie als eher selbstgesteuert wahrnehmen.

 

Durch moderne Personalführung werde »das Selbstbestimmungserleben gestärkt«, doziert Professor Schermuly und ignoriert die Folgen für die Beschäftigten in der Praxis.

 

Der Arbeitsdruck in den Betrieben nimmt durch die Digitalisierung zu. Mehr als die Hälfte der Arbeitnehmer steht häufig unter Zeitdruck, so eine aktuelle Untersuchung des Deutschen Gewerkschaftsbunds mit dem Titel »DGB-Index ›Gute Arbeit‹«. Bei 82 Prozent aller Arbeitnehmer wird die Arbeit durch Digitalisierungsprozesse beeinflusst, bei 60 Prozent sogar in hohem oder sehr hohem Maße. Auf die Frage: »Haben Sie den Eindruck, dass Sie in den letzten zwölf Monaten mehr Arbeit in der gleichen Zeit als vorher schaffen müssen?« antworteten 61 Prozent der Befragten mit Ja. »In der Debatte um Arbeiten 4.0 wird meist der Eindruck erweckt, als wären die Chancen und Risiken der Digitalisierung der Arbeitswelt gleich verteilt«, kritisiert DGB-Vorstand Annelie Buntenbach. Die aktuelle Befragung zeige »allerdings, dass digitales Arbeiten bislang für fast die Hälfte der Beschäftigten dazu führt, dass die Belastungen steigen«. Die höhere Arbeitsbelastung sei »Folge der Entgrenzung und Verlängerung der Arbeitszeiten, der permanenten Erreichbarkeit und der Arbeitsverdichtung«.

 

Aber auch dafür gibt es Lösungen in der digitalen Arbeitswelt: »Gewinnen Sie Herzen und Köpfe, indem Sie Folgendes tun«, empfiehlt die Haufe-Online- Redaktion dem Management: »Veranstalten Sie mitreißende Events, an die sich die Miterbeiter gern und positiv erinnern.« So agiere der »Personaler als Change Manager bei der Digitalisierung«, erläutert die Redaktion.

 

 

Marcus Schwarzbach ist Autor des neuen isw-Wirtschaftsinfo 52 »Agil und ausgepresst – Agile Unternehmensführung als Herausforderung für Gewerkschaften und Betriebsräte in der digitalen Arbeitswelt«, siehe https://isw-muenchen.de/produkt/wirtschaftsinfo-52/.