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Titel1011

Bahros Glaube ans Veränderbare  (Friedrich Wolff)

Rudolf Bahro war Ende der 1970er, Anfang der 1980er Jahre als DDR-Dissident in Ost und West bekannt. Für seine Schrift »Die Alternative«, die in der BRD erschien, wurde er in der DDR mit der Begründung, er habe Spionage begangen, zu acht Jahren Freiheitsentzug verurteilt. Heute ist er weniger bekannt, er starb am 5. Dezember 1997. Heinrich Fink hat in Ossietzky 3/11 über Bahros letzte Jahre berichtet (»Die Abwicklung des Rudolf Bahro«).

Guntolf Herzbergs und Kurt Seiferts dickleibige Biographie »Rudolf Bahro – Glaube an das Veränderbare« liest sich mühsam, bietet aber auch Stoff zum Nachdenken und Offenbarungen über die DDR, die SED und das Ministerium für Staatssicherheit (MfS).

Da ist zunächst und vor allem Rudolf Bahro selbst. Ein offenbar hochintelligenter Mann, ein Philosoph. Seine Gedanken und seine Vorhaben sind jedoch zuweilen skurril, man fragt sich beim Lesen manchmal, ob bei ihm etwas nicht stimmte. Jedenfalls war er seinerzeit in aller Munde, wurde Professor und Diskussionspartner führender Linker aus vielen Ländern. Nach seiner Übersiedlung in die BRD wurde er Mitglied der Grünen, gründete das »neue Kloster«, eine alternative Lebensgemeinschaft, und gab den Autoren der Biographie Anlaß zu dem Kapitel »Bahro und die Frauen«. Vieles daran erscheint ungewöhnlich, exzentrisch. Doch 2011 fragt sich mancher Leser vielleicht: Was soll’s?

Anderes, Verstreutes erweckt Aufmerksamkeit. So liest man in der Biographie: »Nun zu den Haftbedingungen (in der Untersuchungshaftanstalt des MfS in Hohenschönhausen; F.W.). Er beschrieb sie später als ›gar nicht so schlecht‹: Die Zelle hatte zwei Fenster aus Glasziegeln, durch die man nicht hinaussehen konnte, es gab warmes Wasser, die Luft sei gut gewesen, das Essen habe ihn an ein mäßiges Betriebskantinen-Essen erinnert« ... »Die Vernehmungen gingen ab 8.30 mit einstündiger Mittagspause bis 16 oder 17 Uhr ... Er bekommt Papier und kann Briefe schreiben (worauf er keinen Einfluß hat: ob sie auch befördert werden) ... Er bekommt Bücher und liest viel. Auch darüber spricht er in seinen Briefen ...« In einem Brief an seine Familie, der allerdings vom MfS beschlagnahmt wurde, schrieb er unter anderem: »Übrigens ist die DDR, verglichen mit den meisten anderen Ländern, ein gutes Land, was nicht ausschließt, daß ich es zugleich noch für verbesserungsbedürftig hielt.« Das war, wie seine weiteren Äußerungen belegen, nicht geschrieben, um das MfS für den Schreiber einzunehmen.

Später war Bahro in der Vollzugsanstalt Bautzen II inhaftiert, seit den Zeiten des Königreichs Sachsen »Gelbes Elend« genannt. Die Biographie berichtet, was Bahro in Briefen darüber schrieb: »In seiner Freizeit treibe er Sport, nämlich Gymnastik und Laufen, auch spiele er Volleyball – wobei er seine Ballangaben rühmt, die von den anderen gefürchtet werden. (Dieses Mannschaftsspiel weist bereits auf das Ende der strengen Isolation.) Dann erwähnt er noch das Schachspielen. Sonst ist die Freizeit ausgefüllt mit dem Sprachenerlernen und Lesen.« Zweimal gelingt es ihm, Kassiber aus Bautzen herauszuschmuggeln. Im zweiten schreibt er laut Biographie, daß er gemessen an anderen DDR-Gefängnissen gut versorgt und untergebracht sei.

Bahro wurde durch den Prozeß und das Urteil nicht zu einem DDR-Feind. So wehrt er sich, wie die Biographen aus der Zeitung Neues Deutschland vom 7.5.1992 zitieren, »gegen die Bezeichnung ›Unrechtsstaat DDR‹ und findet – genau wie dessen pensionierte Generäle –, er könne sich keine größere Selbstbeschädigung vorstellen als das Amt von Herrn Gauck, das die Menschen ›niederdrücke‹«.

Noch deutlicher wurde Bahro am 21.6.1992. An diesem Tag sandte er einen Artikel an den Spiegel, dem er die Überschrift gab: »Wenn Erich heimkommt oder von der Legitimität der DDR«. Der Artikel erschien (natürlich) nicht, weder im Spiegel noch in der Biographie. In diesem Artikel heißt es unter anderem: »Es geht um nichts anderes als die lange überfällige, aber nachträglich alles andere als überflüssige geistige Anerkennung der DDR, nämlich ihrer ganz unzweifelhaften historischen Legitimität. Gewiß, in meinem damaligen Fall hat der Staat auch noch sein eigenes ohnehin machtwillkürlich gesetztes Recht gebrochen. ›Unrechtsstaat‹ – wenn ich mich mit der Froschperspektive begnüge. Aber laut Goethes ›Faust‹ wurden Ketzer meiner Art kaum wohl bloß eingesperrt, sondern ›von je gekreuzigt und verbrannt‹. – Weder die juristische Farce noch die Farce, die das greise Politbüro als Corpus war, reicht in jene Dimension, in der sich historische Legitimität entscheidet. Freilich kann Legitimität aufhören, und die der DDR hat irgendwann aufgehört. Den Grund sah Hegel, auf Robespierre bezogen, etwa so: ›Seine Kraft hat ihn verlassen, weil die Notwendigkeit ihn verlassen hatte. – Zunächst einmal verteidige ich mit der einstigen Legitimität der DDR, wenngleich nur nebenbei, auch mich selbst. Sofern Honecker und ein paar andere für die Schüsse an der Mauer vor Gericht sollen, gehöre ich zu den Mitangeklagten. Denn an jenem Augusttag 1961, an dem die Mauer kam, habe ich, in Greifswald fern vom Schuß, innerlich ausgerufen: ›Endlich!‹ – Also trage ich wesentlich dieselbe Verantwortung. Ich war mit knapp 26, wie mich das Ereignis antraf, wohl wie auch heute noch oft recht naiv, aber nicht so naiv, daß ich als politischer Mensch nicht gewußt hätte oder nicht hätte wissen müssen, das wird nicht ohne Opfer abgehen. – Blindwütig war das freilich unheimliche, unnatürliche und unmenschliche Grenzregime zu keiner Zeit konzipiert. Schließlich war das Ganze eine militärische Aktion, im Weltbürgerkrieg, an der geladensten Front der zwei Blöcke. Ich wollte die DDR, die ich um des mit ihr Versprochenen willen, und nicht ohne manichäischen Haß auf den nie gesehenen Feind, liebte, halten. Daraus folgte damals unweigerlich die Mauer. Ich möchte sehen, ob mir jemand zeigen kann, ich sei da abartiger gewesen als etwa auf der anderen Seite ein Karl Jaspers. Dieser Denker wußte um jene Zeit schon besser als ich, was die Atombombe bedeutet, und war, hinter dem Totalitarismusbegriff versteckt, zu feige, ohne ihren Schutz leben zu wollen. – Als noch vor Ende von Weltkrieg II über die Konstellation des Kalten Krieges entschieden wurde, dessen Episode der Mauerbau war, saß der Mann jener kommenden Stunde noch im Nazizuchthaus Brandenburg. Er hoffte naturgemäß auf einen andern Weltzustand als den, der aufkam und in dem er dann gut anderthalb Jahrzehnte später einen logischen nächsten Zug vollführte. Übrigens einen Verteidigungszug in der prekären Bauernstellung. Der 13. August war weder eine große noch eine kleine Rochade, schon gar kein Angriff am Königsflügel.«

Das veröffentlichte der Spiegel nicht, das durfte ein ehemaliges Opfer nicht gesagt haben. Bahro hat es aber gesagt. Wie mögen seine MfS-Vernehmer, seine Richter und Staatsanwälte von 1977/78 heute über ihn wie über ihr eigenes damaliges Verhalten denken? Was mögen die ehemaligen Mitglieder des Politbüros von ihren damaligen Entscheidungen heute halten? Machen sie sich überhaupt noch Gedanken darüber? Bahro war nicht der einzige »Staatsfeind«, der nach der totalen, unrühmlichen Niederlage der DDR noch unerschüttert an der sozialistischen Idee und an dem Staat, der sie zu realisieren getrachtet hatte, festhielt. Andere waren Wolfgang Harich (zehn Jahre Zuchthaus), Walter Janka (fünf Jahre Zuchthaus), Herbert Crüger (acht Jahre Zuchthaus). Das sind nur diejenigen, mit denen ich persönlich damals in Berührung gekommen bin (Janka und Crüger waren in diesen Auseinandersetzungen meine Mandaten, Bahro in einer anderen Sache). Es werden wohl noch viel mehr sein, die von ihren Gesinnungsgenossen verfolgt, verurteilt und der Freiheit beraubt wurden. Alle erwiesenermaßen kluge, ehrliche Kommunisten. Was sagt uns das heute? Vorschnelle Antworten helfen nicht weiter. Auch ihre Richter waren vielleicht ehrlich überzeugt, das Richtige zu tun. Das wissen wir nicht, dürfen es aber vermuten. Die Antwort, was damals hätte getan werden müssen, fällt nicht leicht.

Guntolf Herzberg, Kurt Seifert: »Rudolf Bahro – Glaube an das Veränderbare«, Ch. Links Verlag, 655 Seiten, 29,90 €